Die Symmetrie ist unter den formalen Bestimmungen des Schönen noch nicht die letzte, denn in der Gleichheit ihrer Wiederholung liegt noch eine Verständigkeit, die an sich zwar wohlthuend, allein nur als solche auch äußerlich und, wie die Unterschiede der bloßen Regularität, langweilig ist. Die Aegyptische Kunst zeigt uns ein großartiges Bild der ästhetischen Monotonie, die aus dem Standpunct der Regel¬ mäßigkeit und Symmetrie nicht zu freiern Formen sich erhebt. Weil z. B. die hieroglyphischen Figuren eines Index bedürfen, ob sie von rechts nach links oder umgekehrt gelesen werden sollen, so müssen sie in der einen oder andern Wendung bei einer Inschrift alle übereinstimmen. Daher diese weiten Mauerflächen, auf denen alle Figuren, oft tausende, sämmt¬ lich im Profil nur nach einer und derselben Seite hingerichtet erscheinen; ein außerordentlich ermüdender Anblick, mit welchem nur die an den Thoreingängen sitzenden Kolosse en face contrastiren. Natur und Kunst streben daher oft mit einer gewissen Gewaltsamkeit darnach, die Starrheit der Symmetrie zu überwinden. Um die Harmonie der großen Verhältnisse zu erreichen und zu erhalten, opfert die geniale Kühnheit unbedenklich die Regularität und Symmetrie der untergeord¬ neteren Beziehungen, wie wir dies in umfassenden architek¬ tonischen Conceptionen, z. B. dem so bewundernswerthen Marienburger Schloß (21), in musikalischen z. B. in einigen Beethovenschen Sonaten, in poetischen, z. B. in Shakespeare's historischen Dramen, sehen können. Das Schöne kann den Unterschied bis zur Entzweiung des Widerspruchs entwickeln, sofern es den Widerspruch sich selbst
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C. Die Disharmonie.
Die Symmetrie iſt unter den formalen Beſtimmungen des Schönen noch nicht die letzte, denn in der Gleichheit ihrer Wiederholung liegt noch eine Verſtändigkeit, die an ſich zwar wohlthuend, allein nur als ſolche auch äußerlich und, wie die Unterſchiede der bloßen Regularität, langweilig iſt. Die Aegyptiſche Kunſt zeigt uns ein großartiges Bild der äſthetiſchen Monotonie, die aus dem Standpunct der Regel¬ mäßigkeit und Symmetrie nicht zu freiern Formen ſich erhebt. Weil z. B. die hieroglyphiſchen Figuren eines Index bedürfen, ob ſie von rechts nach links oder umgekehrt geleſen werden ſollen, ſo müſſen ſie in der einen oder andern Wendung bei einer Inſchrift alle übereinſtimmen. Daher dieſe weiten Mauerflächen, auf denen alle Figuren, oft tauſende, ſämmt¬ lich im Profil nur nach einer und derſelben Seite hingerichtet erſcheinen; ein außerordentlich ermüdender Anblick, mit welchem nur die an den Thoreingängen ſitzenden Koloſſe en face contraſtiren. Natur und Kunſt ſtreben daher oft mit einer gewiſſen Gewaltſamkeit darnach, die Starrheit der Symmetrie zu überwinden. Um die Harmonie der großen Verhältniſſe zu erreichen und zu erhalten, opfert die geniale Kühnheit unbedenklich die Regularität und Symmetrie der untergeord¬ neteren Beziehungen, wie wir dies in umfaſſenden architek¬ toniſchen Conceptionen, z. B. dem ſo bewundernswerthen Marienburger Schloß (21), in muſikaliſchen z. B. in einigen Beethovenſchen Sonaten, in poetiſchen, z. B. in Shakeſpeare's hiſtoriſchen Dramen, ſehen können. Das Schöne kann den Unterſchied bis zur Entzweiung des Widerſpruchs entwickeln, ſofern es den Widerſpruch ſich ſelbſt
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C.
Die Disharmonie.
Die Symmetrie iſt unter den formalen Beſtimmungen
des Schönen noch nicht die letzte, denn in der Gleichheit
ihrer Wiederholung liegt noch eine Verſtändigkeit, die an ſich
zwar wohlthuend, allein nur als ſolche auch äußerlich und,
wie die Unterſchiede der bloßen Regularität, langweilig iſt.
Die Aegyptiſche Kunſt zeigt uns ein großartiges Bild der
äſthetiſchen Monotonie, die aus dem Standpunct der Regel¬
mäßigkeit und Symmetrie nicht zu freiern Formen ſich erhebt.
Weil z. B. die hieroglyphiſchen Figuren eines Index bedürfen,
ob ſie von rechts nach links oder umgekehrt geleſen werden
ſollen, ſo müſſen ſie in der einen oder andern Wendung bei
einer Inſchrift alle übereinſtimmen. Daher dieſe weiten
Mauerflächen, auf denen alle Figuren, oft tauſende, ſämmt¬
lich im Profil nur nach einer und derſelben Seite hingerichtet
erſcheinen; ein außerordentlich ermüdender Anblick, mit welchem
nur die an den Thoreingängen ſitzenden Koloſſe en face
contraſtiren. Natur und Kunſt ſtreben daher oft mit einer
gewiſſen Gewaltſamkeit darnach, die Starrheit der Symmetrie
zu überwinden. Um die Harmonie der großen Verhältniſſe
zu erreichen und zu erhalten, opfert die geniale Kühnheit
unbedenklich die Regularität und Symmetrie der untergeord¬
neteren Beziehungen, wie wir dies in umfaſſenden architek¬
toniſchen Conceptionen, z. B. dem ſo bewundernswerthen
Marienburger Schloß (21), in muſikaliſchen z. B. in
einigen Beethovenſchen Sonaten, in poetiſchen, z. B.
in Shakeſpeare's hiſtoriſchen Dramen, ſehen können.
Das Schöne kann den Unterſchied bis zur Entzweiung des
Widerſpruchs entwickeln, ſofern es den Widerſpruch ſich ſelbſt
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/121>, abgerufen am 23.11.2024.
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