in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht braust dahin mit einem grellen Pfiff und ein armes Waldhuhn muß sein Leben enden. Alle Wildtauben sind auf und girren ihr Sterbegebet -- da knallt es, und nieder inmitten des schim- mernden, wogenden Kranzes der Tauben stürzt der getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will seine Klaue noch ein Opfer haschen und in dem brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.
All mein Lebtag hab ich keine so merk- würdige Webematte gesehen, als dieses bunte, wun- derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das ist ein Wald im Kleinen und in dem Schooße seines Schattens ruhen vielleicht wieder Wesen, die wie ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten. Hei, wie die Ameisen eilen und rennen, wie sie mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge kleinste umklammern, mit ihrem ätzenden Saft alles feindliche zu vergiften meinen; sie wollen gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem jüngsten Tag.
Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge- sehen, er denkt verächtlich über die mühsam Krie- chenden, denn er selbst hat Flügel. Jetzt flattert er übermütig empor und funkelnd kreist er hin, und plötzlich ist er umgarnt und gefesselt in zahllosen Stricken. Die Spinne hat an diesem Dinge schon
in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht brauſt dahin mit einem grellen Pfiff und ein armes Waldhuhn muß ſein Leben enden. Alle Wildtauben ſind auf und girren ihr Sterbegebet — da knallt es, und nieder inmitten des ſchim- mernden, wogenden Kranzes der Tauben ſtürzt der getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will ſeine Klaue noch ein Opfer haſchen und in dem brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.
All mein Lebtag hab ich keine ſo merk- würdige Webematte geſehen, als dieſes bunte, wun- derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das iſt ein Wald im Kleinen und in dem Schooße ſeines Schattens ruhen vielleicht wieder Weſen, die wie ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten. Hei, wie die Ameiſen eilen und rennen, wie ſie mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge kleinſte umklammern, mit ihrem ätzenden Saft alles feindliche zu vergiften meinen; ſie wollen gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem jüngſten Tag.
Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge- ſehen, er denkt verächtlich über die mühſam Krie- chenden, denn er ſelbſt hat Flügel. Jetzt flattert er übermütig empor und funkelnd kreiſt er hin, und plötzlich iſt er umgarnt und gefeſſelt in zahlloſen Stricken. Die Spinne hat an dieſem Dinge ſchon
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in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht
brauſt dahin mit einem grellen Pfiff und ein
armes Waldhuhn muß ſein Leben enden. Alle
Wildtauben ſind auf und girren ihr Sterbegebet
— da knallt es, und nieder inmitten des ſchim-
mernden, wogenden Kranzes der Tauben ſtürzt der
getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will
ſeine Klaue noch ein Opfer haſchen und in dem
brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.
All mein Lebtag hab ich keine ſo merk-
würdige Webematte geſehen, als dieſes bunte, wun-
derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das iſt ein
Wald im Kleinen und in dem Schooße ſeines
Schattens ruhen vielleicht wieder Weſen, die wie
ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten.
Hei, wie die Ameiſen eilen und rennen, wie ſie
mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge
kleinſte umklammern, mit ihrem ätzenden Saft
alles feindliche zu vergiften meinen; ſie wollen
gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem
jüngſten Tag.
Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge-
ſehen, er denkt verächtlich über die mühſam Krie-
chenden, denn er ſelbſt hat Flügel. Jetzt flattert er
übermütig empor und funkelnd kreiſt er hin, und
plötzlich iſt er umgarnt und gefeſſelt in zahlloſen
Stricken. Die Spinne hat an dieſem Dinge ſchon
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/89>, abgerufen am 23.11.2024.
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