Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht
braust dahin mit einem grellen Pfiff und ein
armes Waldhuhn muß sein Leben enden. Alle
Wildtauben sind auf und girren ihr Sterbegebet
-- da knallt es, und nieder inmitten des schim-
mernden, wogenden Kranzes der Tauben stürzt der
getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will
seine Klaue noch ein Opfer haschen und in dem
brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.

All mein Lebtag hab ich keine so merk-
würdige Webematte gesehen, als dieses bunte, wun-
derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das ist ein
Wald im Kleinen und in dem Schooße seines
Schattens ruhen vielleicht wieder Wesen, die wie
ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten.
Hei, wie die Ameisen eilen und rennen, wie sie
mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge
kleinste umklammern, mit ihrem ätzenden Saft
alles feindliche zu vergiften meinen; sie wollen
gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem
jüngsten Tag.

Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge-
sehen, er denkt verächtlich über die mühsam Krie-
chenden, denn er selbst hat Flügel. Jetzt flattert er
übermütig empor und funkelnd kreist er hin, und
plötzlich ist er umgarnt und gefesselt in zahllosen
Stricken. Die Spinne hat an diesem Dinge schon

in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht
brauſt dahin mit einem grellen Pfiff und ein
armes Waldhuhn muß ſein Leben enden. Alle
Wildtauben ſind auf und girren ihr Sterbegebet
— da knallt es, und nieder inmitten des ſchim-
mernden, wogenden Kranzes der Tauben ſtürzt der
getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will
ſeine Klaue noch ein Opfer haſchen und in dem
brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.

All mein Lebtag hab ich keine ſo merk-
würdige Webematte geſehen, als dieſes bunte, wun-
derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das iſt ein
Wald im Kleinen und in dem Schooße ſeines
Schattens ruhen vielleicht wieder Weſen, die wie
ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten.
Hei, wie die Ameiſen eilen und rennen, wie ſie
mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge
kleinſte umklammern, mit ihrem ätzenden Saft
alles feindliche zu vergiften meinen; ſie wollen
gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem
jüngſten Tag.

Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge-
ſehen, er denkt verächtlich über die mühſam Krie-
chenden, denn er ſelbſt hat Flügel. Jetzt flattert er
übermütig empor und funkelnd kreiſt er hin, und
plötzlich iſt er umgarnt und gefeſſelt in zahlloſen
Stricken. Die Spinne hat an dieſem Dinge ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="79"/>
in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht<lb/>
brau&#x017F;t dahin mit einem grellen Pfiff und ein<lb/>
armes Waldhuhn muß &#x017F;ein Leben enden. Alle<lb/>
Wildtauben &#x017F;ind auf und girren ihr Sterbegebet<lb/>
&#x2014; da knallt es, und nieder inmitten des &#x017F;chim-<lb/>
mernden, wogenden Kranzes der Tauben &#x017F;türzt der<lb/>
getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will<lb/>
&#x017F;eine Klaue noch ein Opfer ha&#x017F;chen und in dem<lb/>
brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier.</p><lb/>
          <p>All mein Lebtag hab ich keine &#x017F;o merk-<lb/>
würdige Webematte ge&#x017F;ehen, als die&#x017F;es bunte, wun-<lb/>
derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das i&#x017F;t ein<lb/>
Wald im Kleinen und in dem Schooße &#x017F;eines<lb/>
Schattens ruhen vielleicht wieder We&#x017F;en, die wie<lb/>
ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten.<lb/>
Hei, wie die Amei&#x017F;en eilen und rennen, wie &#x017F;ie<lb/>
mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge<lb/>
klein&#x017F;te umklammern, mit ihrem ätzenden Saft<lb/>
alles feindliche zu vergiften meinen; &#x017F;ie wollen<lb/>
gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem<lb/>
jüng&#x017F;ten Tag.</p><lb/>
          <p>Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge-<lb/>
&#x017F;ehen, er denkt verächtlich über die müh&#x017F;am Krie-<lb/>
chenden, denn er &#x017F;elb&#x017F;t hat Flügel. Jetzt flattert er<lb/>
übermütig empor und funkelnd krei&#x017F;t er hin, und<lb/>
plötzlich i&#x017F;t er umgarnt und gefe&#x017F;&#x017F;elt in zahllo&#x017F;en<lb/>
Stricken. Die Spinne hat an die&#x017F;em Dinge &#x017F;chon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0089] in dürren Strünken niedertänzeln? Ein Habicht brauſt dahin mit einem grellen Pfiff und ein armes Waldhuhn muß ſein Leben enden. Alle Wildtauben ſind auf und girren ihr Sterbegebet — da knallt es, und nieder inmitten des ſchim- mernden, wogenden Kranzes der Tauben ſtürzt der getroffene Raubvogel. Unterwegs zum Grab will ſeine Klaue noch ein Opfer haſchen und in dem brechenden Auge funkelt lange noch die Raubgier. All mein Lebtag hab ich keine ſo merk- würdige Webematte geſehen, als dieſes bunte, wun- derbare Flechtwerk des Moosbodens. Das iſt ein Wald im Kleinen und in dem Schooße ſeines Schattens ruhen vielleicht wieder Weſen, die wie ich das ewige Gewebe der Schöpfung betrachten. Hei, wie die Ameiſen eilen und rennen, wie ſie mit ihren haardicken Armen der kleinen Dinge kleinſte umklammern, mit ihrem ätzenden Saft alles feindliche zu vergiften meinen; ſie wollen gewiß auch noch die Welt gewinnen vor dem jüngſten Tag. Ein glänzender Käfer hat ihnen lange zuge- ſehen, er denkt verächtlich über die mühſam Krie- chenden, denn er ſelbſt hat Flügel. Jetzt flattert er übermütig empor und funkelnd kreiſt er hin, und plötzlich iſt er umgarnt und gefeſſelt in zahlloſen Stricken. Die Spinne hat an dieſem Dinge ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/89
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/89>, abgerufen am 23.11.2024.