vielen Sturmwüsten, die hundert Eisströme, die tausend und tausend Schneegräber, die gewesen sind zwischen uns und dem Vaterland! -- Wer mar- schiren kann und seine erstarrten Beine mag ab- schleifen bis auf die Knie; wer dem sterbenden Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen, um sich selber zu decken; wer das warme Blut will saugen aus seinen eigenen Adern, und das Fleisch von gefallenen Rossen und getödteten Wöl- fen will verzehren; wer mit den Decken des Schnee's sich kann erwärmen und in den Flüssen mit den Wellen des Wassers und mit den Schollen des Eises versteht zu ringen, und obendrein den Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß zu besiegen -- vielleicht, daß er seine Heimat sieht.
Erstarrt wie mein Leib ist meine Seel' und mein Gedanken -- in einer Wildniß, unter den schneebelasteten Aesten einer Tanne bin ich liegen geblieben . . . .
Ein räucherig Holzgelaß, und ein lebendig Feuer, und ein langbärtiger Mann, und ein braun- färbig Mädchen haben mich umgeben, als ich er- wacht bin auf einem Lager von Flechten. Eine Pelzhaut ist auf meinem Körper gelegen. Draußen hat es getost wie ein wildes Wasser oder wie ein Sturm. -- Das sind gute, freundliche Augen gewesen, die aus den zwei Menschen mich angeschaut haben.
vielen Sturmwüſten, die hundert Eisſtröme, die tauſend und tauſend Schneegräber, die geweſen ſind zwiſchen uns und dem Vaterland! — Wer mar- ſchiren kann und ſeine erſtarrten Beine mag ab- ſchleifen bis auf die Knie; wer dem ſterbenden Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen, um ſich ſelber zu decken; wer das warme Blut will ſaugen aus ſeinen eigenen Adern, und das Fleiſch von gefallenen Roſſen und getödteten Wöl- fen will verzehren; wer mit den Decken des Schnee’s ſich kann erwärmen und in den Flüſſen mit den Wellen des Waſſers und mit den Schollen des Eiſes verſteht zu ringen, und obendrein den Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß zu beſiegen — vielleicht, daß er ſeine Heimat ſieht.
Erſtarrt wie mein Leib iſt meine Seel’ und mein Gedanken — in einer Wildniß, unter den ſchneebelaſteten Aeſten einer Tanne bin ich liegen geblieben . . . .
Ein räucherig Holzgelaß, und ein lebendig Feuer, und ein langbärtiger Mann, und ein braun- färbig Mädchen haben mich umgeben, als ich er- wacht bin auf einem Lager von Flechten. Eine Pelzhaut iſt auf meinem Körper gelegen. Draußen hat es getoſt wie ein wildes Waſſer oder wie ein Sturm. — Das ſind gute, freundliche Augen geweſen, die aus den zwei Menſchen mich angeſchaut haben.
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vielen Sturmwüſten, die hundert Eisſtröme, die
tauſend und tauſend Schneegräber, die geweſen ſind
zwiſchen uns und dem Vaterland! — Wer mar-
ſchiren kann und ſeine erſtarrten Beine mag ab-
ſchleifen bis auf die Knie; wer dem ſterbenden
Gefährten den letzten Fetzen vom Leib mag reißen,
um ſich ſelber zu decken; wer das warme Blut
will ſaugen aus ſeinen eigenen Adern, und das
Fleiſch von gefallenen Roſſen und getödteten Wöl-
fen will verzehren; wer mit den Decken des
Schnee’s ſich kann erwärmen und in den Flüſſen
mit den Wellen des Waſſers und mit den Schollen
des Eiſes verſteht zu ringen, und obendrein den
Schreck und den Gram und die Verzweiflung weiß
zu beſiegen — vielleicht, daß er ſeine Heimat ſieht.
Erſtarrt wie mein Leib iſt meine Seel’ und
mein Gedanken — in einer Wildniß, unter den
ſchneebelaſteten Aeſten einer Tanne bin ich liegen
geblieben . . . .
Ein räucherig Holzgelaß, und ein lebendig
Feuer, und ein langbärtiger Mann, und ein braun-
färbig Mädchen haben mich umgeben, als ich er-
wacht bin auf einem Lager von Flechten. Eine
Pelzhaut iſt auf meinem Körper gelegen. Draußen
hat es getoſt wie ein wildes Waſſer oder wie ein
Sturm. — Das ſind gute, freundliche Augen geweſen,
die aus den zwei Menſchen mich angeſchaut haben.
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/65>, abgerufen am 23.11.2024.
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