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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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mir meine Jahre und Lebensumstände den Kopf
schon vollgepfropft gehabt mit tausend anderen
Dingen.

Eine mannigfaltige Speiskarte ist mein Wo-
chenkalender gewesen. Mein Mittagstisch ist gestan-
den: Am Montag bei einem Lehrer; am Dienstag
bei einem Freiherrn; am Mittwoch bei einem
Kaufmann; am Donnerstag bei einem Schul-
genossen, der ein reicher Tuchmacherssohn gewesen
und mich zu sich in einen Gasthof geladen hat.
Am Freitag hab ich bei einem alten Obersten
gegessen; am Samstag bei sehr armen Leuten in
einer Dachstube, denen ich dafür die Kinder im
Rechnen unterrichtet; und am Sonntag bin ich bei
meinem Schutzherrn gewesen, dem Vorsteher der
Bücherei. Auch habe ich von all diesen Menschen
Kleider an meinem Leibe getragen.

So ist es jahrelang gewesen. Da hat mich
mein Dienstagtischherr für sein Söhnlein zum
Hauslehrer bestellt. Jetzo ist's schon besser gegangen.
Zuerst habe ich den armen Leuten in der Dach-
stube das Mittagsmahl nachgelassen, aber die
Pflicht empfunden, den Unterricht ihrer Kinder
fortzusetzen. Ein Weiteres ist gewesen, daß ich ein-
mal meinen Frack anziehe -- der ist sehr fein und
vornehm, ist auch für mich nicht gemacht worden --
und meine Muhme besuche. Meine Muhme macht

mir meine Jahre und Lebensumſtände den Kopf
ſchon vollgepfropft gehabt mit tauſend anderen
Dingen.

Eine mannigfaltige Speiskarte iſt mein Wo-
chenkalender geweſen. Mein Mittagstiſch iſt geſtan-
den: Am Montag bei einem Lehrer; am Dienſtag
bei einem Freiherrn; am Mittwoch bei einem
Kaufmann; am Donnerſtag bei einem Schul-
genoſſen, der ein reicher Tuchmachersſohn geweſen
und mich zu ſich in einen Gaſthof geladen hat.
Am Freitag hab ich bei einem alten Oberſten
gegeſſen; am Samſtag bei ſehr armen Leuten in
einer Dachſtube, denen ich dafür die Kinder im
Rechnen unterrichtet; und am Sonntag bin ich bei
meinem Schutzherrn geweſen, dem Vorſteher der
Bücherei. Auch habe ich von all dieſen Menſchen
Kleider an meinem Leibe getragen.

So iſt es jahrelang geweſen. Da hat mich
mein Dienſtagtiſchherr für ſein Söhnlein zum
Hauslehrer beſtellt. Jetzo iſt’s ſchon beſſer gegangen.
Zuerſt habe ich den armen Leuten in der Dach-
ſtube das Mittagsmahl nachgelaſſen, aber die
Pflicht empfunden, den Unterricht ihrer Kinder
fortzuſetzen. Ein Weiteres iſt geweſen, daß ich ein-
mal meinen Frack anziehe — der iſt ſehr fein und
vornehm, iſt auch für mich nicht gemacht worden —
und meine Muhme beſuche. Meine Muhme macht

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[40/0050] mir meine Jahre und Lebensumſtände den Kopf ſchon vollgepfropft gehabt mit tauſend anderen Dingen. Eine mannigfaltige Speiskarte iſt mein Wo- chenkalender geweſen. Mein Mittagstiſch iſt geſtan- den: Am Montag bei einem Lehrer; am Dienſtag bei einem Freiherrn; am Mittwoch bei einem Kaufmann; am Donnerſtag bei einem Schul- genoſſen, der ein reicher Tuchmachersſohn geweſen und mich zu ſich in einen Gaſthof geladen hat. Am Freitag hab ich bei einem alten Oberſten gegeſſen; am Samſtag bei ſehr armen Leuten in einer Dachſtube, denen ich dafür die Kinder im Rechnen unterrichtet; und am Sonntag bin ich bei meinem Schutzherrn geweſen, dem Vorſteher der Bücherei. Auch habe ich von all dieſen Menſchen Kleider an meinem Leibe getragen. So iſt es jahrelang geweſen. Da hat mich mein Dienſtagtiſchherr für ſein Söhnlein zum Hauslehrer beſtellt. Jetzo iſt’s ſchon beſſer gegangen. Zuerſt habe ich den armen Leuten in der Dach- ſtube das Mittagsmahl nachgelaſſen, aber die Pflicht empfunden, den Unterricht ihrer Kinder fortzuſetzen. Ein Weiteres iſt geweſen, daß ich ein- mal meinen Frack anziehe — der iſt ſehr fein und vornehm, iſt auch für mich nicht gemacht worden — und meine Muhme beſuche. Meine Muhme macht

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/50>, abgerufen am 26.04.2024.