Für's Erste ist sie in ihren Namen hinein- gewachsen und hat etwas von einer Lilie an sich; so schlank und weiß und mild, und doch verspürt man auf ihren runden Wangen und auf ihren frischen Lippen den Kuß der Sonne. Für's Zweite ist ihr von den Rehen jener langen Winternacht was geblieben, die anmutige Behendigkeit und das Auge . . . .
Du, Andreas! Siehst du jeden deiner Schüler so genau an?
Ja, sie gefällt aber Allen.
Sie gefällt den Armen, denen sie beizustehen weiß. Manchen Traurigen hat sie schon getröstet durch ihre milden, warmherzigen Worte; manchen Verzagten hat sie erheitert durch ihren liebholden Gesang. Und es ist zu herzig, alle Kinder von Winkelsteg kennen die Waldlilie und hängen ihr an. Thät' nur der Pfarrer noch leben, der hat an so Leuten seine Freude gehabt.
Und ritterlich ist das Mädchen, trutz wilder Thiere und böser Leute steigt sie im Gebirge umher, um Früchte und Pflanzen zu sammeln. Es steht ja geschrieben auf ihrer Stirne: "Machtlos ist vor dir alles Böse!"
Letztlich bringt sie mir eine blaue Enziane mit hochrothen Streifen, wie solche nur drüben im Gesenke wachsen.
Für’s Erſte iſt ſie in ihren Namen hinein- gewachſen und hat etwas von einer Lilie an ſich; ſo ſchlank und weiß und mild, und doch verſpürt man auf ihren runden Wangen und auf ihren friſchen Lippen den Kuß der Sonne. Für’s Zweite iſt ihr von den Rehen jener langen Winternacht was geblieben, die anmutige Behendigkeit und das Auge . . . .
Du, Andreas! Siehſt du jeden deiner Schüler ſo genau an?
Ja, ſie gefällt aber Allen.
Sie gefällt den Armen, denen ſie beizuſtehen weiß. Manchen Traurigen hat ſie ſchon getröſtet durch ihre milden, warmherzigen Worte; manchen Verzagten hat ſie erheitert durch ihren liebholden Geſang. Und es iſt zu herzig, alle Kinder von Winkelſteg kennen die Waldlilie und hängen ihr an. Thät’ nur der Pfarrer noch leben, der hat an ſo Leuten ſeine Freude gehabt.
Und ritterlich iſt das Mädchen, trutz wilder Thiere und böſer Leute ſteigt ſie im Gebirge umher, um Früchte und Pflanzen zu ſammeln. Es ſteht ja geſchrieben auf ihrer Stirne: „Machtlos iſt vor dir alles Böſe!“
Letztlich bringt ſie mir eine blaue Enziane mit hochrothen Streifen, wie ſolche nur drüben im Geſenke wachſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0420"n="410"/><p>Für’s Erſte iſt ſie in ihren Namen hinein-<lb/>
gewachſen und hat etwas von einer Lilie an ſich;<lb/>ſo ſchlank und weiß und mild, und doch verſpürt<lb/>
man auf ihren runden Wangen und auf ihren<lb/>
friſchen Lippen den Kuß der Sonne. Für’s Zweite<lb/>
iſt ihr von den Rehen jener langen Winternacht<lb/>
was geblieben, die anmutige Behendigkeit und das<lb/>
Auge . . . .</p><lb/><p>Du, Andreas! Siehſt du jeden deiner Schüler<lb/>ſo genau an?</p><lb/><p>Ja, ſie gefällt aber Allen.</p><lb/><p>Sie gefällt den Armen, denen ſie beizuſtehen<lb/>
weiß. Manchen Traurigen hat ſie ſchon getröſtet<lb/>
durch ihre milden, warmherzigen Worte; manchen<lb/>
Verzagten hat ſie erheitert durch ihren liebholden<lb/>
Geſang. Und es iſt zu herzig, alle Kinder von<lb/>
Winkelſteg kennen die Waldlilie und hängen ihr<lb/>
an. Thät’ nur der Pfarrer noch leben, der hat an<lb/>ſo Leuten ſeine Freude gehabt.</p><lb/><p>Und ritterlich iſt das Mädchen, trutz wilder<lb/>
Thiere und böſer Leute ſteigt ſie im Gebirge umher,<lb/>
um Früchte und Pflanzen zu ſammeln. Es ſteht ja<lb/>
geſchrieben auf ihrer Stirne: „Machtlos iſt vor<lb/>
dir alles Böſe!“</p><lb/><p>Letztlich bringt ſie mir eine blaue Enziane<lb/>
mit hochrothen Streifen, wie ſolche nur drüben im<lb/>
Geſenke wachſen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[410/0420]
Für’s Erſte iſt ſie in ihren Namen hinein-
gewachſen und hat etwas von einer Lilie an ſich;
ſo ſchlank und weiß und mild, und doch verſpürt
man auf ihren runden Wangen und auf ihren
friſchen Lippen den Kuß der Sonne. Für’s Zweite
iſt ihr von den Rehen jener langen Winternacht
was geblieben, die anmutige Behendigkeit und das
Auge . . . .
Du, Andreas! Siehſt du jeden deiner Schüler
ſo genau an?
Ja, ſie gefällt aber Allen.
Sie gefällt den Armen, denen ſie beizuſtehen
weiß. Manchen Traurigen hat ſie ſchon getröſtet
durch ihre milden, warmherzigen Worte; manchen
Verzagten hat ſie erheitert durch ihren liebholden
Geſang. Und es iſt zu herzig, alle Kinder von
Winkelſteg kennen die Waldlilie und hängen ihr
an. Thät’ nur der Pfarrer noch leben, der hat an
ſo Leuten ſeine Freude gehabt.
Und ritterlich iſt das Mädchen, trutz wilder
Thiere und böſer Leute ſteigt ſie im Gebirge umher,
um Früchte und Pflanzen zu ſammeln. Es ſteht ja
geſchrieben auf ihrer Stirne: „Machtlos iſt vor
dir alles Böſe!“
Letztlich bringt ſie mir eine blaue Enziane
mit hochrothen Streifen, wie ſolche nur drüben im
Geſenke wachſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/420>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.