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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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den braunen, langen Locken und von dem blühen-
den Antlitz rieseln die Tropfen der Fluth. Hals
und Nacken sind ein wenig sonnengebräunt, aber
die sanftgebauten, wiegenden Achseln schimmern
durch das Wasser wie schneeweißer Marmor. Ein
junges, schönes Weib, eine Wasserjungfrau! Weiß
Gott, ein Dichter könnt' Einer werden, wahrhaftig!
-- Und es hat sich noch mehr zugetragen.

Der Waldherr ist kurzsichtiger als ich, und
hat sich dem Bilde genähert; in demselben Augen-
blicke ist die Gestalt untergesunken und nur die
Erlen haben gefächelt über dem Wasser und sonst
haben wir nichts mehr gesehen.

Hermann starrt mich an. Ich starre in den
See. Der wirft im Hauche sanfte Reifen, schwarze
Linien, ist hier spiegelglatt, dort zitternd und rie-
selnd. Und das Haupt taucht nicht mehr hervor.

Minuten vergehen. Ich spähe mit Herzklopfen
nach dem badenden Wesen; wer weiß, ob es schwim-
men kann? Mir fährt es durch den Kopf: Wie,
wenn sich das Mädchen aus Schamgfühl im Wasser
vergräbt?

Nach einer Weile der Angst und Noth habe
ich das athemlose Kind aus den Wellen hervor-
gezogen. -- Mit der wenigen Erfahrung, die uns
zu Gebote steht, haben wir sein Leben wieder er-
weckt, sein siebzehnjähriges Leben. Und siehe das

den braunen, langen Locken und von dem blühen-
den Antlitz rieſeln die Tropfen der Fluth. Hals
und Nacken ſind ein wenig ſonnengebräunt, aber
die ſanftgebauten, wiegenden Achſeln ſchimmern
durch das Waſſer wie ſchneeweißer Marmor. Ein
junges, ſchönes Weib, eine Waſſerjungfrau! Weiß
Gott, ein Dichter könnt’ Einer werden, wahrhaftig!
— Und es hat ſich noch mehr zugetragen.

Der Waldherr iſt kurzſichtiger als ich, und
hat ſich dem Bilde genähert; in demſelben Augen-
blicke iſt die Geſtalt untergeſunken und nur die
Erlen haben gefächelt über dem Waſſer und ſonſt
haben wir nichts mehr geſehen.

Hermann ſtarrt mich an. Ich ſtarre in den
See. Der wirft im Hauche ſanfte Reifen, ſchwarze
Linien, iſt hier ſpiegelglatt, dort zitternd und rie-
ſelnd. Und das Haupt taucht nicht mehr hervor.

Minuten vergehen. Ich ſpähe mit Herzklopfen
nach dem badenden Weſen; wer weiß, ob es ſchwim-
men kann? Mir fährt es durch den Kopf: Wie,
wenn ſich das Mädchen aus Schamgfühl im Waſſer
vergräbt?

Nach einer Weile der Angſt und Noth habe
ich das athemloſe Kind aus den Wellen hervor-
gezogen. — Mit der wenigen Erfahrung, die uns
zu Gebote ſteht, haben wir ſein Leben wieder er-
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[405/0415] den braunen, langen Locken und von dem blühen- den Antlitz rieſeln die Tropfen der Fluth. Hals und Nacken ſind ein wenig ſonnengebräunt, aber die ſanftgebauten, wiegenden Achſeln ſchimmern durch das Waſſer wie ſchneeweißer Marmor. Ein junges, ſchönes Weib, eine Waſſerjungfrau! Weiß Gott, ein Dichter könnt’ Einer werden, wahrhaftig! — Und es hat ſich noch mehr zugetragen. Der Waldherr iſt kurzſichtiger als ich, und hat ſich dem Bilde genähert; in demſelben Augen- blicke iſt die Geſtalt untergeſunken und nur die Erlen haben gefächelt über dem Waſſer und ſonſt haben wir nichts mehr geſehen. Hermann ſtarrt mich an. Ich ſtarre in den See. Der wirft im Hauche ſanfte Reifen, ſchwarze Linien, iſt hier ſpiegelglatt, dort zitternd und rie- ſelnd. Und das Haupt taucht nicht mehr hervor. Minuten vergehen. Ich ſpähe mit Herzklopfen nach dem badenden Weſen; wer weiß, ob es ſchwim- men kann? Mir fährt es durch den Kopf: Wie, wenn ſich das Mädchen aus Schamgfühl im Waſſer vergräbt? Nach einer Weile der Angſt und Noth habe ich das athemloſe Kind aus den Wellen hervor- gezogen. — Mit der wenigen Erfahrung, die uns zu Gebote ſteht, haben wir ſein Leben wieder er- weckt, ſein ſiebzehnjähriges Leben. Und ſiehe das

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/415>, abgerufen am 15.05.2024.