fernen Höhen aufgerichtet, sanft lehnend, lichte Gletscher und röthlich leuchtende Tafeln der Wände, in welchen stetig meißelt der Griffel der Zeit, um einzugraben in den Bau der Alpen die ewige Ge- schichte und die ehernen Gesetze der Natur . . . .
Ich sehe es noch, sehe Alles noch vor meinen Augen -- es ist der See im Gesenke mit dem Bergstocke des grauen Zahn.
Ich habe Aehnliches schon geschaut, und den- noch hat mich die Herrlichkeit hingerissen. Der Frei- herr aber steht da wie ein Stein. Seine Augen haben sich verloren in dem unendlichen Bilde; seine Lippen saugen bebend die Seeluft ein.
Darnach sind wir hinabgestiegen zu den schat- tigen Ufern des Sees. Hier plätschert das Wasser an den stumpfkantigen Steinen.
"Der See kann auch wild sein," hat hier der Herr bemerkt, "sehen Sie, wie weit den Hang hinan die Steine glatt geschwemmt sind."
Aus diesen Worten habe ich ersehen, daß Her- mann ein verständiges Auge für die Natur besitzt. -- Freilich, freilich kann dieser See ein wüster Ge- selle werden, so mild und lieblich er heute ruht. -- -- -- Und jetzt kommt jählings das Wundersame, dort unten, wo das Gebüsche der Wilderlen in den See taucht -- dort guckt ein Menschenhaupt aus dem Wasser hervor! Es hebt sich das Haupt und von
fernen Höhen aufgerichtet, ſanft lehnend, lichte Gletſcher und röthlich leuchtende Tafeln der Wände, in welchen ſtetig meißelt der Griffel der Zeit, um einzugraben in den Bau der Alpen die ewige Ge- ſchichte und die ehernen Geſetze der Natur . . . .
Ich ſehe es noch, ſehe Alles noch vor meinen Augen — es iſt der See im Geſenke mit dem Bergſtocke des grauen Zahn.
Ich habe Aehnliches ſchon geſchaut, und den- noch hat mich die Herrlichkeit hingeriſſen. Der Frei- herr aber ſteht da wie ein Stein. Seine Augen haben ſich verloren in dem unendlichen Bilde; ſeine Lippen ſaugen bebend die Seeluft ein.
Darnach ſind wir hinabgeſtiegen zu den ſchat- tigen Ufern des Sees. Hier plätſchert das Waſſer an den ſtumpfkantigen Steinen.
„Der See kann auch wild ſein,“ hat hier der Herr bemerkt, „ſehen Sie, wie weit den Hang hinan die Steine glatt geſchwemmt ſind.“
Aus dieſen Worten habe ich erſehen, daß Her- mann ein verſtändiges Auge für die Natur beſitzt. — Freilich, freilich kann dieſer See ein wüſter Ge- ſelle werden, ſo mild und lieblich er heute ruht. — — — Und jetzt kommt jählings das Wunderſame, dort unten, wo das Gebüſche der Wilderlen in den See taucht — dort guckt ein Menſchenhaupt aus dem Waſſer hervor! Es hebt ſich das Haupt und von
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fernen Höhen aufgerichtet, ſanft lehnend, lichte
Gletſcher und röthlich leuchtende Tafeln der Wände,
in welchen ſtetig meißelt der Griffel der Zeit, um
einzugraben in den Bau der Alpen die ewige Ge-
ſchichte und die ehernen Geſetze der Natur . . . .
Ich ſehe es noch, ſehe Alles noch vor meinen
Augen — es iſt der See im Geſenke mit dem
Bergſtocke des grauen Zahn.
Ich habe Aehnliches ſchon geſchaut, und den-
noch hat mich die Herrlichkeit hingeriſſen. Der Frei-
herr aber ſteht da wie ein Stein. Seine Augen
haben ſich verloren in dem unendlichen Bilde; ſeine
Lippen ſaugen bebend die Seeluft ein.
Darnach ſind wir hinabgeſtiegen zu den ſchat-
tigen Ufern des Sees. Hier plätſchert das Waſſer
an den ſtumpfkantigen Steinen.
„Der See kann auch wild ſein,“ hat hier der
Herr bemerkt, „ſehen Sie, wie weit den Hang
hinan die Steine glatt geſchwemmt ſind.“
Aus dieſen Worten habe ich erſehen, daß Her-
mann ein verſtändiges Auge für die Natur beſitzt.
— Freilich, freilich kann dieſer See ein wüſter Ge-
ſelle werden, ſo mild und lieblich er heute ruht. —
— — Und jetzt kommt jählings das Wunderſame,
dort unten, wo das Gebüſche der Wilderlen in den
See taucht — dort guckt ein Menſchenhaupt aus dem
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/414>, abgerufen am 24.11.2024.
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