Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Alte sitzt noch eine Weile und bewegt
sich nicht. Er starrt auf die zerrissene Harfe, er
wischt sich mit beiden Händen die Augen, er will
sich aus dem Traume helfen; er kann es nicht
glauben, daß es wahrhaftig sei. Sein Alles und
Einziges haben sie ihm zerstört -- sein Saitenspiel.

Erst als oben in den Felsen schon der helle
Sonnenschein liegt, erhebt sich das alte Weißhaupt.
Den Astreifen mit dem Strohgewirre hat er sich
umgehangen, zu den goldigbeleuchteten Wänden hat
er emporgestarrt, und mit schweren Schritten ist er
davongewankt, hinan gegen die Schroffen, über
welche ein Wasserfall stürzt und niederrieselt, im
Sonnenleuchten zu sehen wie flüßiges Gold . . . .

An dem Abende desselben Tages ist es, daß
die beiden Hirten wieder lustig um den Herd ihrer
Hütte wirten, wie sie es gewohnt. Sie kochen
Mehlklößchen, welche sie "Fuchsen" nennen, da sie
fuchsbraun geröstet sind. Die Herde ist von ihren
Weiden geholt und in die Sicherheit des Stalles
gebracht.

Lustig sind die Jodelbuben allerwege, aber
zum Feierabend am lustigsten. Ist der alte Harfner
in der Hütte, so necken sie diesen; ist er nicht da,
so necken sie sich selbander. Der Harfner ist heute
noch nicht da, so hüpft der Klaus wie ein Affe
dem Veit auf die Achseln, reitet auf dessen Nacken,

Der Alte ſitzt noch eine Weile und bewegt
ſich nicht. Er ſtarrt auf die zerriſſene Harfe, er
wiſcht ſich mit beiden Händen die Augen, er will
ſich aus dem Traume helfen; er kann es nicht
glauben, daß es wahrhaftig ſei. Sein Alles und
Einziges haben ſie ihm zerſtört — ſein Saitenſpiel.

Erſt als oben in den Felſen ſchon der helle
Sonnenſchein liegt, erhebt ſich das alte Weißhaupt.
Den Aſtreifen mit dem Strohgewirre hat er ſich
umgehangen, zu den goldigbeleuchteten Wänden hat
er emporgeſtarrt, und mit ſchweren Schritten iſt er
davongewankt, hinan gegen die Schroffen, über
welche ein Waſſerfall ſtürzt und niederrieſelt, im
Sonnenleuchten zu ſehen wie flüßiges Gold . . . .

An dem Abende desſelben Tages iſt es, daß
die beiden Hirten wieder luſtig um den Herd ihrer
Hütte wirten, wie ſie es gewohnt. Sie kochen
Mehlklößchen, welche ſie „Fuchſen“ nennen, da ſie
fuchsbraun geröſtet ſind. Die Herde iſt von ihren
Weiden geholt und in die Sicherheit des Stalles
gebracht.

Luſtig ſind die Jodelbuben allerwege, aber
zum Feierabend am luſtigſten. Iſt der alte Harfner
in der Hütte, ſo necken ſie dieſen; iſt er nicht da,
ſo necken ſie ſich ſelbander. Der Harfner iſt heute
noch nicht da, ſo hüpft der Klaus wie ein Affe
dem Veit auf die Achſeln, reitet auf deſſen Nacken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0396" n="386"/>
          <p>Der Alte &#x017F;itzt noch eine Weile und bewegt<lb/>
&#x017F;ich nicht. Er &#x017F;tarrt auf die zerri&#x017F;&#x017F;ene Harfe, er<lb/>
wi&#x017F;cht &#x017F;ich mit beiden Händen die Augen, er will<lb/>
&#x017F;ich aus dem Traume helfen; er kann es nicht<lb/>
glauben, daß es wahrhaftig &#x017F;ei. Sein Alles und<lb/>
Einziges haben &#x017F;ie ihm zer&#x017F;tört &#x2014; &#x017F;ein Saiten&#x017F;piel.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;t als oben in den Fel&#x017F;en &#x017F;chon der helle<lb/>
Sonnen&#x017F;chein liegt, erhebt &#x017F;ich das alte Weißhaupt.<lb/>
Den A&#x017F;treifen mit dem Strohgewirre hat er &#x017F;ich<lb/>
umgehangen, zu den goldigbeleuchteten Wänden hat<lb/>
er emporge&#x017F;tarrt, und mit &#x017F;chweren Schritten i&#x017F;t er<lb/>
davongewankt, hinan gegen die Schroffen, über<lb/>
welche ein Wa&#x017F;&#x017F;erfall &#x017F;türzt und niederrie&#x017F;elt, im<lb/>
Sonnenleuchten zu &#x017F;ehen wie flüßiges Gold . . . .</p><lb/>
          <p>An dem Abende des&#x017F;elben Tages i&#x017F;t es, daß<lb/>
die beiden Hirten wieder lu&#x017F;tig um den Herd ihrer<lb/>
Hütte wirten, wie &#x017F;ie es gewohnt. Sie kochen<lb/>
Mehlklößchen, welche &#x017F;ie &#x201E;Fuch&#x017F;en&#x201C; nennen, da &#x017F;ie<lb/>
fuchsbraun gerö&#x017F;tet &#x017F;ind. Die Herde i&#x017F;t von ihren<lb/>
Weiden geholt und in die Sicherheit des Stalles<lb/>
gebracht.</p><lb/>
          <p>Lu&#x017F;tig &#x017F;ind die Jodelbuben allerwege, aber<lb/>
zum Feierabend am lu&#x017F;tig&#x017F;ten. I&#x017F;t der alte Harfner<lb/>
in der Hütte, &#x017F;o necken &#x017F;ie die&#x017F;en; i&#x017F;t er nicht da,<lb/>
&#x017F;o necken &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elbander. Der Harfner i&#x017F;t heute<lb/>
noch nicht da, &#x017F;o hüpft der Klaus wie ein Affe<lb/>
dem Veit auf die Ach&#x017F;eln, reitet auf de&#x017F;&#x017F;en Nacken,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0396] Der Alte ſitzt noch eine Weile und bewegt ſich nicht. Er ſtarrt auf die zerriſſene Harfe, er wiſcht ſich mit beiden Händen die Augen, er will ſich aus dem Traume helfen; er kann es nicht glauben, daß es wahrhaftig ſei. Sein Alles und Einziges haben ſie ihm zerſtört — ſein Saitenſpiel. Erſt als oben in den Felſen ſchon der helle Sonnenſchein liegt, erhebt ſich das alte Weißhaupt. Den Aſtreifen mit dem Strohgewirre hat er ſich umgehangen, zu den goldigbeleuchteten Wänden hat er emporgeſtarrt, und mit ſchweren Schritten iſt er davongewankt, hinan gegen die Schroffen, über welche ein Waſſerfall ſtürzt und niederrieſelt, im Sonnenleuchten zu ſehen wie flüßiges Gold . . . . An dem Abende desſelben Tages iſt es, daß die beiden Hirten wieder luſtig um den Herd ihrer Hütte wirten, wie ſie es gewohnt. Sie kochen Mehlklößchen, welche ſie „Fuchſen“ nennen, da ſie fuchsbraun geröſtet ſind. Die Herde iſt von ihren Weiden geholt und in die Sicherheit des Stalles gebracht. Luſtig ſind die Jodelbuben allerwege, aber zum Feierabend am luſtigſten. Iſt der alte Harfner in der Hütte, ſo necken ſie dieſen; iſt er nicht da, ſo necken ſie ſich ſelbander. Der Harfner iſt heute noch nicht da, ſo hüpft der Klaus wie ein Affe dem Veit auf die Achſeln, reitet auf deſſen Nacken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/396
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/396>, abgerufen am 24.11.2024.