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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Ostern 1832.

Die Seuche ist erloschen. Man sieht viele
blasse, abgehärmte Gesichter umherwandeln.

In den Mulden der Waldberge und in den
Schluchten der Felsen schießen Wildwässer zur Tiefe.
Im Miesenbachgraben und in den Karlehnen don-
nern die Schneelahnen. Hoch über den Firnen
blaut der Himmel.

Da wir in der Kirche keine Auferstehungs-
feier haben, so drängt es die Leute, das Osterfest
in anderer Weise zu begehen.

Der Charsamstag ist vorbei; das Thurmkreuz
der Kirche schimmert im Abendroth viel glühender
als sonst. Es wird heute aber nicht Nacht; ein
neues Leben steht auf. Die Leute gehen im Fest-
kleide aus ihren Wohnungen hervor. Ein neuer Tag
bricht an am Abende und zahlreiche Festfeuer leuchten
auf den Höhen. -- Wer von diesen Menschen
weiß es denn, daß auch die alten Deutschen zu
dieser Jahreszeit der Göttin des Frühlinges Freuden-
feuer haben angezündet?

Wem nur dieser Einfall ist beigekommen? Da
oben auf dem Bühel steht ein alter, einzelner
Fichtenstamm; den haben sie vom Fuß bis zum

Oſtern 1832.

Die Seuche iſt erloſchen. Man ſieht viele
blaſſe, abgehärmte Geſichter umherwandeln.

In den Mulden der Waldberge und in den
Schluchten der Felſen ſchießen Wildwäſſer zur Tiefe.
Im Mieſenbachgraben und in den Karlehnen don-
nern die Schneelahnen. Hoch über den Firnen
blaut der Himmel.

Da wir in der Kirche keine Auferſtehungs-
feier haben, ſo drängt es die Leute, das Oſterfeſt
in anderer Weiſe zu begehen.

Der Charſamſtag iſt vorbei; das Thurmkreuz
der Kirche ſchimmert im Abendroth viel glühender
als ſonſt. Es wird heute aber nicht Nacht; ein
neues Leben ſteht auf. Die Leute gehen im Feſt-
kleide aus ihren Wohnungen hervor. Ein neuer Tag
bricht an am Abende und zahlreiche Feſtfeuer leuchten
auf den Höhen. — Wer von dieſen Menſchen
weiß es denn, daß auch die alten Deutſchen zu
dieſer Jahreszeit der Göttin des Frühlinges Freuden-
feuer haben angezündet?

Wem nur dieſer Einfall iſt beigekommen? Da
oben auf dem Bühel ſteht ein alter, einzelner
Fichtenſtamm; den haben ſie vom Fuß bis zum

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[375/0385] Oſtern 1832. Die Seuche iſt erloſchen. Man ſieht viele blaſſe, abgehärmte Geſichter umherwandeln. In den Mulden der Waldberge und in den Schluchten der Felſen ſchießen Wildwäſſer zur Tiefe. Im Mieſenbachgraben und in den Karlehnen don- nern die Schneelahnen. Hoch über den Firnen blaut der Himmel. Da wir in der Kirche keine Auferſtehungs- feier haben, ſo drängt es die Leute, das Oſterfeſt in anderer Weiſe zu begehen. Der Charſamſtag iſt vorbei; das Thurmkreuz der Kirche ſchimmert im Abendroth viel glühender als ſonſt. Es wird heute aber nicht Nacht; ein neues Leben ſteht auf. Die Leute gehen im Feſt- kleide aus ihren Wohnungen hervor. Ein neuer Tag bricht an am Abende und zahlreiche Feſtfeuer leuchten auf den Höhen. — Wer von dieſen Menſchen weiß es denn, daß auch die alten Deutſchen zu dieſer Jahreszeit der Göttin des Frühlinges Freuden- feuer haben angezündet? Wem nur dieſer Einfall iſt beigekommen? Da oben auf dem Bühel ſteht ein alter, einzelner Fichtenſtamm; den haben ſie vom Fuß bis zum

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/385>, abgerufen am 22.05.2024.