Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie ich darüber noch sinne, kommt die alte
Haushälterin des Winkelhüterhauses, meine ehmalige
Wirtin, herbeigewackelt. Sie guckt auch in die
Grube, fährt sich mit der Hand hastig über das
Gesicht, tappt nach meinem Arm und sagt: "Gott
geb' ihm den ewigen Frieden! Das ist ein braver
Mann gewesen. Aber ein Fabelhans auch -- ein
arger Fabelhans! Wie ein toller Vogel ist sein
Sinn herumgeflogen in der weiten Welt, und auf
keinem Fleck, hat er gesagt, wär' die Welt mit
Brettern verschlagen. Und jetzt -- gucket einmal
recht hinab, Schulmeister! da unten ist sie -- Gott
geb' ihm den ewigen Frieden -- da unten ist sie
mit Brettern verschlagen."

Das Wort ist gesagt und hastig humpelt sie
auf ihren Krücken davon.

Die Alte hat Recht. So unbegrenzt der mensch-
liche Geist auch fliegen mag in den Weiten, sein
großes Ziel wird umschlossen von den Brettern des
Sarges. -- Glücklicher Schläfer, dir ist ein unend-
licher Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang, und
dir war zu eng die unendliche Welt. --

Großer Dichter, vergib, daß ich dein Wiegen-
lied zur Grabschrift wandle.



Wie ich darüber noch ſinne, kommt die alte
Haushälterin des Winkelhüterhauſes, meine ehmalige
Wirtin, herbeigewackelt. Sie guckt auch in die
Grube, fährt ſich mit der Hand haſtig über das
Geſicht, tappt nach meinem Arm und ſagt: „Gott
geb’ ihm den ewigen Frieden! Das iſt ein braver
Mann geweſen. Aber ein Fabelhans auch — ein
arger Fabelhans! Wie ein toller Vogel iſt ſein
Sinn herumgeflogen in der weiten Welt, und auf
keinem Fleck, hat er geſagt, wär’ die Welt mit
Brettern verſchlagen. Und jetzt — gucket einmal
recht hinab, Schulmeiſter! da unten iſt ſie — Gott
geb’ ihm den ewigen Frieden — da unten iſt ſie
mit Brettern verſchlagen.“

Das Wort iſt geſagt und haſtig humpelt ſie
auf ihren Krücken davon.

Die Alte hat Recht. So unbegrenzt der menſch-
liche Geiſt auch fliegen mag in den Weiten, ſein
großes Ziel wird umſchloſſen von den Brettern des
Sarges. — Glücklicher Schläfer, dir iſt ein unend-
licher Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang, und
dir war zu eng die unendliche Welt. —

Großer Dichter, vergib, daß ich dein Wiegen-
lied zur Grabſchrift wandle.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0384" n="374"/>
          <p>Wie ich darüber noch &#x017F;inne, kommt die alte<lb/>
Haushälterin des Winkelhüterhau&#x017F;es, meine ehmalige<lb/>
Wirtin, herbeigewackelt. Sie guckt auch in die<lb/>
Grube, fährt &#x017F;ich mit der Hand ha&#x017F;tig über das<lb/>
Ge&#x017F;icht, tappt nach meinem Arm und &#x017F;agt: &#x201E;Gott<lb/>
geb&#x2019; ihm den ewigen Frieden! Das i&#x017F;t ein braver<lb/>
Mann gewe&#x017F;en. Aber ein Fabelhans auch &#x2014; ein<lb/>
arger Fabelhans! Wie ein toller Vogel i&#x017F;t &#x017F;ein<lb/>
Sinn herumgeflogen in der weiten Welt, und auf<lb/>
keinem Fleck, hat er ge&#x017F;agt, wär&#x2019; die Welt mit<lb/>
Brettern ver&#x017F;chlagen. Und jetzt &#x2014; gucket einmal<lb/>
recht hinab, Schulmei&#x017F;ter! da unten i&#x017F;t &#x017F;ie &#x2014; Gott<lb/>
geb&#x2019; ihm den ewigen Frieden &#x2014; da unten i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
mit Brettern ver&#x017F;chlagen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Wort i&#x017F;t ge&#x017F;agt und ha&#x017F;tig humpelt &#x017F;ie<lb/>
auf ihren Krücken davon.</p><lb/>
          <p>Die Alte hat Recht. So unbegrenzt der men&#x017F;ch-<lb/>
liche Gei&#x017F;t auch fliegen mag in den Weiten, &#x017F;ein<lb/>
großes Ziel wird um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en von den Brettern des<lb/>
Sarges. &#x2014; Glücklicher Schläfer, dir i&#x017F;t ein unend-<lb/>
licher Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang, und<lb/>
dir war zu eng die unendliche Welt. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Großer Dichter, vergib, daß ich dein Wiegen-<lb/>
lied zur Grab&#x017F;chrift wandle.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[374/0384] Wie ich darüber noch ſinne, kommt die alte Haushälterin des Winkelhüterhauſes, meine ehmalige Wirtin, herbeigewackelt. Sie guckt auch in die Grube, fährt ſich mit der Hand haſtig über das Geſicht, tappt nach meinem Arm und ſagt: „Gott geb’ ihm den ewigen Frieden! Das iſt ein braver Mann geweſen. Aber ein Fabelhans auch — ein arger Fabelhans! Wie ein toller Vogel iſt ſein Sinn herumgeflogen in der weiten Welt, und auf keinem Fleck, hat er geſagt, wär’ die Welt mit Brettern verſchlagen. Und jetzt — gucket einmal recht hinab, Schulmeiſter! da unten iſt ſie — Gott geb’ ihm den ewigen Frieden — da unten iſt ſie mit Brettern verſchlagen.“ Das Wort iſt geſagt und haſtig humpelt ſie auf ihren Krücken davon. Die Alte hat Recht. So unbegrenzt der menſch- liche Geiſt auch fliegen mag in den Weiten, ſein großes Ziel wird umſchloſſen von den Brettern des Sarges. — Glücklicher Schläfer, dir iſt ein unend- licher Raum jetzt die Truhe. Noch nicht lang, und dir war zu eng die unendliche Welt. — Großer Dichter, vergib, daß ich dein Wiegen- lied zur Grabſchrift wandle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/384
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/384>, abgerufen am 22.11.2024.