Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

dem grünen Rasen, wo die Hirschlein und Rehlein
grasen. Er sagt sein erstes, mächtiges Wort, da
steigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er
spricht sein zweites mit hellem Schall, das weckt
jeglich Saamenkorn im Thal, daß es mag reifen
und werden zum täglichen Brot. Und gegen Un-
gewitter Noth ruft er sein drittes Wort; da müssen
die Donner schweigen und die Blitze sich neigen,
und vor seinem Hauch sind die bösen Schlossen in
Wasser zerflossen. O, dir sei Preis und Ehr', du
großmächtiger Herr! Und wirst du einstmal dein
letztes Wort sprechen, so werden die Berge beben
und die Felsen brechen; werden die Himmel krachen,
werden die Todten erwachen; wird das Feuer die
Welt vernichten. Zu dieser lieblichen Stund' im
grünen Wald sei gebeten, o Gott in Brotesgestalt:
thu' uns gnädiglich richten!"

Der alte absonderliche Mann weiß an's Herz
zu stoßen mit seinen Worten. Erschüttert und ge-
hoben sind wir wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und
das grüne Birkengezelt mit den weißen Tragsäulen
wird über dem Altare stehen, bis seine tausend zar-
ten Blätterherzen werden verwelkt sein.




Rosegger: Waldschulmeister. 23

dem grünen Raſen, wo die Hirſchlein und Rehlein
graſen. Er ſagt ſein erſtes, mächtiges Wort, da
ſteigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er
ſpricht ſein zweites mit hellem Schall, das weckt
jeglich Saamenkorn im Thal, daß es mag reifen
und werden zum täglichen Brot. Und gegen Un-
gewitter Noth ruft er ſein drittes Wort; da müſſen
die Donner ſchweigen und die Blitze ſich neigen,
und vor ſeinem Hauch ſind die böſen Schloſſen in
Waſſer zerfloſſen. O, dir ſei Preis und Ehr’, du
großmächtiger Herr! Und wirſt du einſtmal dein
letztes Wort ſprechen, ſo werden die Berge beben
und die Felſen brechen; werden die Himmel krachen,
werden die Todten erwachen; wird das Feuer die
Welt vernichten. Zu dieſer lieblichen Stund’ im
grünen Wald ſei gebeten, o Gott in Brotesgeſtalt:
thu’ uns gnädiglich richten!“

Der alte abſonderliche Mann weiß an’s Herz
zu ſtoßen mit ſeinen Worten. Erſchüttert und ge-
hoben ſind wir wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und
das grüne Birkengezelt mit den weißen Tragſäulen
wird über dem Altare ſtehen, bis ſeine tauſend zar-
ten Blätterherzen werden verwelkt ſein.




Roſegger: Waldſchulmeiſter. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0363" n="353"/>
dem grünen Ra&#x017F;en, wo die Hir&#x017F;chlein und Rehlein<lb/>
gra&#x017F;en. Er &#x017F;agt &#x017F;ein er&#x017F;tes, mächtiges Wort, da<lb/>
&#x017F;teigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er<lb/>
&#x017F;pricht &#x017F;ein zweites mit hellem Schall, das weckt<lb/>
jeglich Saamenkorn im Thal, daß es mag reifen<lb/>
und werden zum täglichen Brot. Und gegen Un-<lb/>
gewitter Noth ruft er &#x017F;ein drittes Wort; da mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
die Donner &#x017F;chweigen und die Blitze &#x017F;ich neigen,<lb/>
und vor &#x017F;einem Hauch &#x017F;ind die bö&#x017F;en Schlo&#x017F;&#x017F;en in<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er zerflo&#x017F;&#x017F;en. O, dir &#x017F;ei Preis und Ehr&#x2019;, du<lb/>
großmächtiger Herr! Und wir&#x017F;t du ein&#x017F;tmal dein<lb/>
letztes Wort &#x017F;prechen, &#x017F;o werden die Berge beben<lb/>
und die Fel&#x017F;en brechen; werden die Himmel krachen,<lb/>
werden die Todten erwachen; wird das Feuer die<lb/>
Welt vernichten. Zu die&#x017F;er lieblichen Stund&#x2019; im<lb/>
grünen Wald &#x017F;ei gebeten, o Gott in Brotesge&#x017F;talt:<lb/>
thu&#x2019; uns gnädiglich richten!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der alte ab&#x017F;onderliche Mann weiß an&#x2019;s Herz<lb/>
zu &#x017F;toßen mit &#x017F;einen Worten. Er&#x017F;chüttert und ge-<lb/>
hoben &#x017F;ind wir wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und<lb/>
das grüne Birkengezelt mit den weißen Trag&#x017F;äulen<lb/>
wird über dem Altare &#x017F;tehen, bis &#x017F;eine tau&#x017F;end zar-<lb/>
ten Blätterherzen werden verwelkt &#x017F;ein.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">Ro&#x017F;egger: Wald&#x017F;chulmei&#x017F;ter. 23</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0363] dem grünen Raſen, wo die Hirſchlein und Rehlein graſen. Er ſagt ſein erſtes, mächtiges Wort, da ſteigen alle Blümlein aus der Erden hervor. Er ſpricht ſein zweites mit hellem Schall, das weckt jeglich Saamenkorn im Thal, daß es mag reifen und werden zum täglichen Brot. Und gegen Un- gewitter Noth ruft er ſein drittes Wort; da müſſen die Donner ſchweigen und die Blitze ſich neigen, und vor ſeinem Hauch ſind die böſen Schloſſen in Waſſer zerfloſſen. O, dir ſei Preis und Ehr’, du großmächtiger Herr! Und wirſt du einſtmal dein letztes Wort ſprechen, ſo werden die Berge beben und die Felſen brechen; werden die Himmel krachen, werden die Todten erwachen; wird das Feuer die Welt vernichten. Zu dieſer lieblichen Stund’ im grünen Wald ſei gebeten, o Gott in Brotesgeſtalt: thu’ uns gnädiglich richten!“ Der alte abſonderliche Mann weiß an’s Herz zu ſtoßen mit ſeinen Worten. Erſchüttert und ge- hoben ſind wir wieder zurückgekehrt zur Kirche. Und das grüne Birkengezelt mit den weißen Tragſäulen wird über dem Altare ſtehen, bis ſeine tauſend zar- ten Blätterherzen werden verwelkt ſein. Roſegger: Waldſchulmeiſter. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/363
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/363>, abgerufen am 22.05.2024.