mehr in mir gewesen, meine Gedanken und meine Empfindungen aufzuschreiben, da ich an unserem Pfarrer einen vortrefflichen Freund ge- funden habe, dem ich mich unverholen mittheilen kann, wie er sich mir mittheilt, und mir seine selt- same Lebensgeschichte dargelegt, ehe er mich noch gekannt hat. Das ist einer der Wenigen, die durch Drangsale geläutert edel und rein aus den Wirren und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler lieben ihn von Herzen; er leitet sie nicht durch Worte bloß, sondern mehr durch seine Thaten. Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochen- tagen durch Beispiele. Er opfert sich auf, er ist den Leuten Alles. Seine Haare sind nicht mehr schwarz, wie vormaleinst im Felsenthale, sein Ge- sicht ist ernst und heiter wie Regenbogenschein. Die Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden Trost.
Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank oder um den Tisch beisammen sitzen, von der weiten, schönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern, von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen dabei aus, denn Alles hört ihm zu mit Ohren und Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüter- hause erklärt des Pfarrers Erzählungen für vor- witzige Fabeleien; ein ordentlicher Priester, meint sie, müsse hübsch von Himmel und Fegfeuer reden,
mehr in mir geweſen, meine Gedanken und meine Empfindungen aufzuſchreiben, da ich an unſerem Pfarrer einen vortrefflichen Freund ge- funden habe, dem ich mich unverholen mittheilen kann, wie er ſich mir mittheilt, und mir ſeine ſelt- ſame Lebensgeſchichte dargelegt, ehe er mich noch gekannt hat. Das iſt einer der Wenigen, die durch Drangſale geläutert edel und rein aus den Wirren und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler lieben ihn von Herzen; er leitet ſie nicht durch Worte bloß, ſondern mehr durch ſeine Thaten. Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochen- tagen durch Beiſpiele. Er opfert ſich auf, er iſt den Leuten Alles. Seine Haare ſind nicht mehr ſchwarz, wie vormaleinſt im Felſenthale, ſein Ge- ſicht iſt ernſt und heiter wie Regenbogenſchein. Die Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden Troſt.
Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank oder um den Tiſch beiſammen ſitzen, von der weiten, ſchönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern, von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen dabei aus, denn Alles hört ihm zu mit Ohren und Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüter- hauſe erklärt des Pfarrers Erzählungen für vor- witzige Fabeleien; ein ordentlicher Prieſter, meint ſie, müſſe hübſch von Himmel und Fegfeuer reden,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0332"n="322"/>
mehr in mir geweſen, meine Gedanken und<lb/>
meine Empfindungen aufzuſchreiben, da ich an<lb/>
unſerem Pfarrer einen vortrefflichen Freund ge-<lb/>
funden habe, dem ich mich unverholen mittheilen<lb/>
kann, wie er ſich mir mittheilt, und mir ſeine ſelt-<lb/>ſame Lebensgeſchichte dargelegt, ehe er mich noch<lb/>
gekannt hat. Das iſt einer der Wenigen, die durch<lb/>
Drangſale geläutert edel und rein aus den Wirren<lb/>
und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler<lb/>
lieben ihn von Herzen; er leitet ſie nicht durch<lb/>
Worte bloß, ſondern mehr durch ſeine Thaten.<lb/>
Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochen-<lb/>
tagen durch Beiſpiele. Er opfert ſich auf, er iſt<lb/>
den Leuten Alles. Seine Haare ſind nicht mehr<lb/>ſchwarz, wie vormaleinſt im Felſenthale, ſein Ge-<lb/>ſicht iſt ernſt und heiter wie Regenbogenſchein. Die<lb/>
Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden<lb/>
Troſt.</p><lb/><p>Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank<lb/>
oder um den Tiſch beiſammen ſitzen, von der weiten,<lb/>ſchönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern,<lb/>
von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen<lb/>
dabei aus, denn Alles hört ihm zu mit Ohren und<lb/>
Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüter-<lb/>
hauſe erklärt des Pfarrers Erzählungen für vor-<lb/>
witzige Fabeleien; ein ordentlicher Prieſter, meint<lb/>ſie, müſſe hübſch von Himmel und Fegfeuer reden,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[322/0332]
mehr in mir geweſen, meine Gedanken und
meine Empfindungen aufzuſchreiben, da ich an
unſerem Pfarrer einen vortrefflichen Freund ge-
funden habe, dem ich mich unverholen mittheilen
kann, wie er ſich mir mittheilt, und mir ſeine ſelt-
ſame Lebensgeſchichte dargelegt, ehe er mich noch
gekannt hat. Das iſt einer der Wenigen, die durch
Drangſale geläutert edel und rein aus den Wirren
und Irren der Welt hervorgehen. Die Wäldler
lieben ihn von Herzen; er leitet ſie nicht durch
Worte bloß, ſondern mehr durch ſeine Thaten.
Seine Sonntagspredigten erhärtet er an den Wochen-
tagen durch Beiſpiele. Er opfert ſich auf, er iſt
den Leuten Alles. Seine Haare ſind nicht mehr
ſchwarz, wie vormaleinſt im Felſenthale, ſein Ge-
ſicht iſt ernſt und heiter wie Regenbogenſchein. Die
Betrübten blicken ihm in die Augen und empfinden
Troſt.
Gerne erzählt er, wenn wir auf der Bank
oder um den Tiſch beiſammen ſitzen, von der weiten,
ſchönen Welt, von fremden, merkwürdigen Ländern,
von den Wundern der Natur. Pfeifenfeuer gehen
dabei aus, denn Alles hört ihm zu mit Ohren und
Mund. Nur die alte Frau aus dem Winkelhüter-
hauſe erklärt des Pfarrers Erzählungen für vor-
witzige Fabeleien; ein ordentlicher Prieſter, meint
ſie, müſſe hübſch von Himmel und Fegfeuer reden,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/332>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.