"Ja, jetzo ist keine Zeit mehr für müßige Gedanken," fährt der Einsiedler fort. "Kurze Zeit darnach habe ich den Lazarus fortgeführt aus die- sem Felsenthale und hinaus zur neuen Kirche, auf daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von Herzen gesegnet, denn ich habe wol gewußt, daß er mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felsenhaus.
Und allein habe ich weiter gelebt, wol ver- lassener als je, und doch beruhigter, und mein Herz hat sich gehoben, als wollte der Bann anheben zu schwinden. Oefter und öfter bin ich hinausgegangen zur neuen Kirche, in der mein Kreuz steht. Und die Menschen haben mich nicht mehr gemieden; Almosen haben sie mir gereicht, auf daß ich beten möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe ich wol mit Beschämung ersehen, daß sie mich für besser halten, als sich selber.
Ich bin auch wieder in das Haus des Bartel- mei gegangen, in dem sie mehr von mir wissen, als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter, die Kath, ist schon seit Jahren krank, die bittet mich, daß ich um Gottes Erbarmung Willen doch einmal eine Messe für sie lese zu einem glück- lichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein gerne versprochen und die Messe habe ich ge- lesen und zwar vor meinem Kreuze in der Kirche am Steg."
„Ja, jetzo iſt keine Zeit mehr für müßige Gedanken,“ fährt der Einſiedler fort. „Kurze Zeit darnach habe ich den Lazarus fortgeführt aus die- ſem Felſenthale und hinaus zur neuen Kirche, auf daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von Herzen geſegnet, denn ich habe wol gewußt, daß er mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felſenhaus.
Und allein habe ich weiter gelebt, wol ver- laſſener als je, und doch beruhigter, und mein Herz hat ſich gehoben, als wollte der Bann anheben zu ſchwinden. Oefter und öfter bin ich hinausgegangen zur neuen Kirche, in der mein Kreuz ſteht. Und die Menſchen haben mich nicht mehr gemieden; Almoſen haben ſie mir gereicht, auf daß ich beten möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe ich wol mit Beſchämung erſehen, daß ſie mich für beſſer halten, als ſich ſelber.
Ich bin auch wieder in das Haus des Bartel- mei gegangen, in dem ſie mehr von mir wiſſen, als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter, die Kath, iſt ſchon ſeit Jahren krank, die bittet mich, daß ich um Gottes Erbarmung Willen doch einmal eine Meſſe für ſie leſe zu einem glück- lichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein gerne verſprochen und die Meſſe habe ich ge- leſen und zwar vor meinem Kreuze in der Kirche am Steg.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0310"n="300"/><p>„Ja, jetzo iſt keine Zeit mehr für müßige<lb/>
Gedanken,“ fährt der Einſiedler fort. „Kurze Zeit<lb/>
darnach habe ich den Lazarus fortgeführt aus die-<lb/>ſem Felſenthale und hinaus zur neuen Kirche, auf<lb/>
daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von<lb/>
Herzen geſegnet, denn ich habe wol gewußt, daß er<lb/>
mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felſenhaus.</p><lb/><p>Und allein habe ich weiter gelebt, wol ver-<lb/>
laſſener als je, und doch beruhigter, und mein Herz<lb/>
hat ſich gehoben, als wollte der Bann anheben zu<lb/>ſchwinden. Oefter und öfter bin ich hinausgegangen<lb/>
zur neuen Kirche, in der mein Kreuz ſteht. Und<lb/>
die Menſchen haben mich nicht mehr gemieden;<lb/>
Almoſen haben ſie mir gereicht, auf daß ich beten<lb/>
möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe<lb/>
ich wol mit Beſchämung erſehen, daß ſie mich für<lb/>
beſſer halten, als ſich ſelber.</p><lb/><p>Ich bin auch wieder in das Haus des Bartel-<lb/>
mei gegangen, in dem ſie mehr von mir wiſſen,<lb/>
als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter,<lb/>
die Kath, iſt ſchon ſeit Jahren krank, die bittet<lb/>
mich, daß ich um Gottes Erbarmung Willen doch<lb/>
einmal eine Meſſe für ſie leſe zu einem glück-<lb/>
lichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein<lb/>
gerne verſprochen und die Meſſe habe ich ge-<lb/>
leſen und zwar vor meinem Kreuze in der Kirche<lb/>
am Steg.“</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[300/0310]
„Ja, jetzo iſt keine Zeit mehr für müßige
Gedanken,“ fährt der Einſiedler fort. „Kurze Zeit
darnach habe ich den Lazarus fortgeführt aus die-
ſem Felſenthale und hinaus zur neuen Kirche, auf
daß er vor dem Kreuze bete. Ich habe ihn von
Herzen geſegnet, denn ich habe wol gewußt, daß er
mir nicht mehr zurückkehren wird in das Felſenhaus.
Und allein habe ich weiter gelebt, wol ver-
laſſener als je, und doch beruhigter, und mein Herz
hat ſich gehoben, als wollte der Bann anheben zu
ſchwinden. Oefter und öfter bin ich hinausgegangen
zur neuen Kirche, in der mein Kreuz ſteht. Und
die Menſchen haben mich nicht mehr gemieden;
Almoſen haben ſie mir gereicht, auf daß ich beten
möge vor Gott für ihr Seelenheil. Daraus habe
ich wol mit Beſchämung erſehen, daß ſie mich für
beſſer halten, als ſich ſelber.
Ich bin auch wieder in das Haus des Bartel-
mei gegangen, in dem ſie mehr von mir wiſſen,
als in den anderen Hütten. Des Köhlers Mutter,
die Kath, iſt ſchon ſeit Jahren krank, die bittet
mich, daß ich um Gottes Erbarmung Willen doch
einmal eine Meſſe für ſie leſe zu einem glück-
lichen Sterben. Das habe ich dem alten Weiblein
gerne verſprochen und die Meſſe habe ich ge-
leſen und zwar vor meinem Kreuze in der Kirche
am Steg.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/310>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.