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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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deinen Vater. Da blickt mich der Junge mit seinen
großen Augen glückselig an.

Wir haben nicht gar viel miteinander geschwätzt,
aber um so gewichtiger und überlegter ist jedes ge-
sprochene Wort gewesen. Er scheint mich lieb gehabt
zu haben, er hat jeden Wunsch meiner Augen zu
erfüllen gesucht. Nach meiner Weisung hat er mich
den Bruder Paulus geheißen.

Wol, es ist eine gewagte Art gewesen, wie
ich den Knaben zu mir gerissen und geschult habe;
aber ich mag hoffen, daß er glücklich auf einen
besseren Weg geleitet ist. -- O, mein Freund, wie
oft habe ich mir gesagt: Einem, und wenn auch
nur Einem Menschen mußt du von allen Seelen-
gaben, die dem Priester zu Gebote stehen, die Gabe
der Selbstbeherrschung eigen machen, dann bist
du erlöst.

Ich habe mich im Laufe des Jahres oft nach
der Mutter des Knaben umgesehen; und sosehr ich
mich selbst an den Knaben gewöhnt, habe ich doch
den Tag ersehnt, an welchem ich dem armen Weibe
das verschollene Kind wieder zurückgeben kann, wie
ein Stück reinen Goldes nach der Läuterung.

Da finden wir eines Abends das Kreuz nicht
mehr auf dem Steingrunde. Es war dagestanden,
ehe ich das Felsenthal durchwandelt und an seinem
Fuße Erbauung und Zuflucht gefunden. Es war

deinen Vater. Da blickt mich der Junge mit ſeinen
großen Augen glückſelig an.

Wir haben nicht gar viel miteinander geſchwätzt,
aber um ſo gewichtiger und überlegter iſt jedes ge-
ſprochene Wort geweſen. Er ſcheint mich lieb gehabt
zu haben, er hat jeden Wunſch meiner Augen zu
erfüllen geſucht. Nach meiner Weiſung hat er mich
den Bruder Paulus geheißen.

Wol, es iſt eine gewagte Art geweſen, wie
ich den Knaben zu mir geriſſen und geſchult habe;
aber ich mag hoffen, daß er glücklich auf einen
beſſeren Weg geleitet iſt. — O, mein Freund, wie
oft habe ich mir geſagt: Einem, und wenn auch
nur Einem Menſchen mußt du von allen Seelen-
gaben, die dem Prieſter zu Gebote ſtehen, die Gabe
der Selbſtbeherrſchung eigen machen, dann biſt
du erlöſt.

Ich habe mich im Laufe des Jahres oft nach
der Mutter des Knaben umgeſehen; und ſoſehr ich
mich ſelbſt an den Knaben gewöhnt, habe ich doch
den Tag erſehnt, an welchem ich dem armen Weibe
das verſchollene Kind wieder zurückgeben kann, wie
ein Stück reinen Goldes nach der Läuterung.

Da finden wir eines Abends das Kreuz nicht
mehr auf dem Steingrunde. Es war dageſtanden,
ehe ich das Felſenthal durchwandelt und an ſeinem
Fuße Erbauung und Zuflucht gefunden. Es war

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[298/0308] deinen Vater. Da blickt mich der Junge mit ſeinen großen Augen glückſelig an. Wir haben nicht gar viel miteinander geſchwätzt, aber um ſo gewichtiger und überlegter iſt jedes ge- ſprochene Wort geweſen. Er ſcheint mich lieb gehabt zu haben, er hat jeden Wunſch meiner Augen zu erfüllen geſucht. Nach meiner Weiſung hat er mich den Bruder Paulus geheißen. Wol, es iſt eine gewagte Art geweſen, wie ich den Knaben zu mir geriſſen und geſchult habe; aber ich mag hoffen, daß er glücklich auf einen beſſeren Weg geleitet iſt. — O, mein Freund, wie oft habe ich mir geſagt: Einem, und wenn auch nur Einem Menſchen mußt du von allen Seelen- gaben, die dem Prieſter zu Gebote ſtehen, die Gabe der Selbſtbeherrſchung eigen machen, dann biſt du erlöſt. Ich habe mich im Laufe des Jahres oft nach der Mutter des Knaben umgeſehen; und ſoſehr ich mich ſelbſt an den Knaben gewöhnt, habe ich doch den Tag erſehnt, an welchem ich dem armen Weibe das verſchollene Kind wieder zurückgeben kann, wie ein Stück reinen Goldes nach der Läuterung. Da finden wir eines Abends das Kreuz nicht mehr auf dem Steingrunde. Es war dageſtanden, ehe ich das Felſenthal durchwandelt und an ſeinem Fuße Erbauung und Zuflucht gefunden. Es war

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/308>, abgerufen am 24.11.2024.