Seele, die das Zünglein hält und ruft: er hat mich gerettet, er sei erlöst!
Und als es in mir so ringt und schreit, da ist plötzlich ein klägliches Stöhnen vor dem Schuber des Beichtstuhles, als kniete jener Mann noch davor mit seiner Schuld. Ich fahre empor, aber -- es hat mich betrogen; -- öde und still ist es, und das helle Mondlicht rinnt durch das Fenster.
So sind meine Jahre verronnen, die goldenen Jahre -- in den Sand. -- Guter Freund, ein solches Unglück könnt ihr nimmer verstehen. -- Endlich hebe ich an schmerzlich zu weinen.
Gewiß, ich hätte in meinem einflußreichen Stande die Menschen geliebt und ihnen gedient. Abgeleitet bin ich worden; und mein einziger Freund ist nicht mein Freund gewesen. -- Wie viele Jahre sind mir noch gegeben, daß ich sie mißbrauche? Nein und nimmer. O Gott führe mich weg von deinem Altare, dem ich ein unwürdiger Diener gewesen; führe mich aus deinem Tempel, in dem ich deinen Namen eitel genannt. Und von den Menschen führe mich weg; ich habe dich ihnen so gottlos gefälscht. Führe mich zu einer stillen, einsamen Stätte, wo ich mich selbst erlösen kann!
Diese Sehnsucht hat sich wie Thau gelegt auf mein Gemüth; ruhiger ist es geworden und meine Augen sind gesunken.
Seele, die das Zünglein hält und ruft: er hat mich gerettet, er ſei erlöſt!
Und als es in mir ſo ringt und ſchreit, da iſt plötzlich ein klägliches Stöhnen vor dem Schuber des Beichtſtuhles, als kniete jener Mann noch davor mit ſeiner Schuld. Ich fahre empor, aber — es hat mich betrogen; — öde und ſtill iſt es, und das helle Mondlicht rinnt durch das Fenſter.
So ſind meine Jahre verronnen, die goldenen Jahre — in den Sand. — Guter Freund, ein ſolches Unglück könnt ihr nimmer verſtehen. — Endlich hebe ich an ſchmerzlich zu weinen.
Gewiß, ich hätte in meinem einflußreichen Stande die Menſchen geliebt und ihnen gedient. Abgeleitet bin ich worden; und mein einziger Freund iſt nicht mein Freund geweſen. — Wie viele Jahre ſind mir noch gegeben, daß ich ſie mißbrauche? Nein und nimmer. O Gott führe mich weg von deinem Altare, dem ich ein unwürdiger Diener geweſen; führe mich aus deinem Tempel, in dem ich deinen Namen eitel genannt. Und von den Menſchen führe mich weg; ich habe dich ihnen ſo gottlos gefälſcht. Führe mich zu einer ſtillen, einſamen Stätte, wo ich mich ſelbſt erlöſen kann!
Dieſe Sehnſucht hat ſich wie Thau gelegt auf mein Gemüth; ruhiger iſt es geworden und meine Augen ſind geſunken.
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Seele, die das Zünglein hält und ruft: er hat
mich gerettet, er ſei erlöſt!
Und als es in mir ſo ringt und ſchreit, da
iſt plötzlich ein klägliches Stöhnen vor dem Schuber
des Beichtſtuhles, als kniete jener Mann noch davor
mit ſeiner Schuld. Ich fahre empor, aber — es
hat mich betrogen; — öde und ſtill iſt es, und
das helle Mondlicht rinnt durch das Fenſter.
So ſind meine Jahre verronnen, die goldenen
Jahre — in den Sand. — Guter Freund, ein
ſolches Unglück könnt ihr nimmer verſtehen. —
Endlich hebe ich an ſchmerzlich zu weinen.
Gewiß, ich hätte in meinem einflußreichen Stande
die Menſchen geliebt und ihnen gedient. Abgeleitet
bin ich worden; und mein einziger Freund iſt nicht
mein Freund geweſen. — Wie viele Jahre ſind
mir noch gegeben, daß ich ſie mißbrauche? Nein
und nimmer. O Gott führe mich weg von deinem
Altare, dem ich ein unwürdiger Diener geweſen;
führe mich aus deinem Tempel, in dem ich deinen
Namen eitel genannt. Und von den Menſchen führe
mich weg; ich habe dich ihnen ſo gottlos gefälſcht.
Führe mich zu einer ſtillen, einſamen Stätte, wo
ich mich ſelbſt erlöſen kann!
Dieſe Sehnſucht hat ſich wie Thau gelegt auf
mein Gemüth; ruhiger iſt es geworden und meine
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/296>, abgerufen am 23.11.2024.
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