Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn man reich ist. Ich lasse mir sie sehr gut
sein; ich will ihren süßesten Becher leeren, ehe ich
am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes
trinken soll.

Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden-
becher geleert, bis zum Bodensatz. Da eckelt mich,
da bin ich satt und übersatt. Und die Welt lang-
weilt mich.

Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig
geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge-
sprochen, und auf seinen Rath habe ich mich ent-
schlossen, dem Dienste Gottes und dem Heile der
Menschen zu leben. Ich trete in den Orden der
"Glaubensväter," und gerne thue ich nun das Ge-
lübde der Geduld und der Keuschheit und der
Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden
zu, und ich leiste das Gelöbniß des unbedingten
Gehorsams.

Und nun -- -- da ist eines Tages ein
Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge-
sehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich,
daß ich es mit dem Kinde nicht verlassen möge;
es bittet um Gottes Willen. Allein -- ich bin
bettelarm, darf mich auch für sie an niemand
Andern wenden, ich habe ausschließlich nur meinem
Orden zu leben -- so gebietet es der blinde Ge-
horsam.


wenn man reich iſt. Ich laſſe mir ſie ſehr gut
ſein; ich will ihren ſüßeſten Becher leeren, ehe ich
am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes
trinken ſoll.

Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden-
becher geleert, bis zum Bodenſatz. Da eckelt mich,
da bin ich ſatt und überſatt. Und die Welt lang-
weilt mich.

Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig
geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge-
ſprochen, und auf ſeinen Rath habe ich mich ent-
ſchloſſen, dem Dienſte Gottes und dem Heile der
Menſchen zu leben. Ich trete in den Orden der
„Glaubensväter,“ und gerne thue ich nun das Ge-
lübde der Geduld und der Keuſchheit und der
Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden
zu, und ich leiſte das Gelöbniß des unbedingten
Gehorſams.

Und nun — — da iſt eines Tages ein
Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge-
ſehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich,
daß ich es mit dem Kinde nicht verlaſſen möge;
es bittet um Gottes Willen. Allein — ich bin
bettelarm, darf mich auch für ſie an niemand
Andern wenden, ich habe ausſchließlich nur meinem
Orden zu leben — ſo gebietet es der blinde Ge-
horſam.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0280" n="270"/>
wenn man reich i&#x017F;t. Ich la&#x017F;&#x017F;e mir &#x017F;ie &#x017F;ehr gut<lb/>
&#x017F;ein; ich will ihren &#x017F;üße&#x017F;ten Becher leeren, ehe ich<lb/>
am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes<lb/>
trinken &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden-<lb/>
becher geleert, bis zum Boden&#x017F;atz. Da eckelt mich,<lb/>
da bin ich &#x017F;att und über&#x017F;att. Und die Welt lang-<lb/>
weilt mich.</p><lb/>
          <p>Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig<lb/>
geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge-<lb/>
&#x017F;prochen, und auf &#x017F;einen Rath habe ich mich ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, dem Dien&#x017F;te Gottes und dem Heile der<lb/>
Men&#x017F;chen zu leben. Ich trete in den Orden der<lb/>
&#x201E;Glaubensväter,&#x201C; und gerne thue ich nun das Ge-<lb/>
lübde der Geduld und der Keu&#x017F;chheit und der<lb/>
Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden<lb/>
zu, und ich lei&#x017F;te das Gelöbniß des unbedingten<lb/>
Gehor&#x017F;ams.</p><lb/>
          <p>Und nun &#x2014; &#x2014; da i&#x017F;t eines Tages ein<lb/>
Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge-<lb/>
&#x017F;ehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich,<lb/>
daß ich es mit dem Kinde nicht verla&#x017F;&#x017F;en möge;<lb/>
es bittet um Gottes Willen. Allein &#x2014; ich bin<lb/>
bettelarm, darf mich auch für &#x017F;ie an niemand<lb/>
Andern wenden, ich habe aus&#x017F;chließlich nur meinem<lb/>
Orden zu leben &#x2014; &#x017F;o gebietet es der blinde Ge-<lb/>
hor&#x017F;am.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] wenn man reich iſt. Ich laſſe mir ſie ſehr gut ſein; ich will ihren ſüßeſten Becher leeren, ehe ich am Altare den Kelch des göttlichen Opferblutes trinken ſoll. Und nach wenigen Jahren habe ich den Freuden- becher geleert, bis zum Bodenſatz. Da eckelt mich, da bin ich ſatt und überſatt. Und die Welt lang- weilt mich. Und nun, da ich mittlerweile auch großjährig geworden, hat mein Freund wieder ein Wort ge- ſprochen, und auf ſeinen Rath habe ich mich ent- ſchloſſen, dem Dienſte Gottes und dem Heile der Menſchen zu leben. Ich trete in den Orden der „Glaubensväter,“ und gerne thue ich nun das Ge- lübde der Geduld und der Keuſchheit und der Armut. Mein ganzes Vermögen fällt dem Orden zu, und ich leiſte das Gelöbniß des unbedingten Gehorſams. Und nun — — da iſt eines Tages ein Mädchen zu mir gekommen, das ich früher oft ge- ſehen. Jetzt darf ich es nicht kennen. Es bittet mich, daß ich es mit dem Kinde nicht verlaſſen möge; es bittet um Gottes Willen. Allein — ich bin bettelarm, darf mich auch für ſie an niemand Andern wenden, ich habe ausſchließlich nur meinem Orden zu leben — ſo gebietet es der blinde Ge- horſam.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/280
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/280>, abgerufen am 24.11.2024.