Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich
zu Gott, daß er dich so glücklich lassen werden möge,
als ich es bin, daß du wie ich ein Bruder Jesu
Christi werdest zum Heile deiner Seele und zum
Wohle des heiligen Glaubens.

Von diesem Tage an, als mein geistlicher
Hofmeister so gesprochen hat, empfinde ich die Last
und das Unstäte in mir doppelt schwer; aber, als
ich mich ernstlich prüfe, sehe ich, daß es mir un-
möglich wäre, der Welt zu entsagen.

-- Du hast mich nicht verstanden, sagt hier-
auf mein Erzieher einmal, und es wundert mich,
daß du nach den vielen Jahren christlicher Erziehung
deinen Freund so mißverstehen kannst. Wer sagt
dir, daß du den Freuden der Welt entsagen sollest?
Die Freuden der Welt sind ein Geschenk Gottes;
aber sie nicht genießen, seiner selbst willen, sondern
zu Gottes Ehre, das ist es, was uns wahre Be-
friedigung gewährt.

So geht mir nun ein neues Leben auf; mein
sittliches Gefühl, das mich sonst zurückgehalten, eifert
mich jetzt an, daß ich all den verlangenden Sinnen
meines Wesens Sättigung verschaffe. In Freude
und Genuß Gott dem Herrn dienen -- so gibt es
keinen Zwiespalt mehr in diesem Leben.

Mein Freund lächelt und läßt gewähren. Die
Welt ist schön, wenn man jung, und auch gut,

einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich
zu Gott, daß er dich ſo glücklich laſſen werden möge,
als ich es bin, daß du wie ich ein Bruder Jeſu
Chriſti werdeſt zum Heile deiner Seele und zum
Wohle des heiligen Glaubens.

Von dieſem Tage an, als mein geiſtlicher
Hofmeiſter ſo geſprochen hat, empfinde ich die Laſt
und das Unſtäte in mir doppelt ſchwer; aber, als
ich mich ernſtlich prüfe, ſehe ich, daß es mir un-
möglich wäre, der Welt zu entſagen.

— Du haſt mich nicht verſtanden, ſagt hier-
auf mein Erzieher einmal, und es wundert mich,
daß du nach den vielen Jahren chriſtlicher Erziehung
deinen Freund ſo mißverſtehen kannſt. Wer ſagt
dir, daß du den Freuden der Welt entſagen ſolleſt?
Die Freuden der Welt ſind ein Geſchenk Gottes;
aber ſie nicht genießen, ſeiner ſelbſt willen, ſondern
zu Gottes Ehre, das iſt es, was uns wahre Be-
friedigung gewährt.

So geht mir nun ein neues Leben auf; mein
ſittliches Gefühl, das mich ſonſt zurückgehalten, eifert
mich jetzt an, daß ich all den verlangenden Sinnen
meines Weſens Sättigung verſchaffe. In Freude
und Genuß Gott dem Herrn dienen — ſo gibt es
keinen Zwieſpalt mehr in dieſem Leben.

Mein Freund lächelt und läßt gewähren. Die
Welt iſt ſchön, wenn man jung, und auch gut,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0279" n="269"/>
einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich<lb/>
zu Gott, daß er dich &#x017F;o glücklich la&#x017F;&#x017F;en werden möge,<lb/>
als ich es bin, daß du wie ich ein Bruder Je&#x017F;u<lb/>
Chri&#x017F;ti werde&#x017F;t zum Heile deiner Seele und zum<lb/>
Wohle des heiligen Glaubens.</p><lb/>
          <p>Von die&#x017F;em Tage an, als mein gei&#x017F;tlicher<lb/>
Hofmei&#x017F;ter &#x017F;o ge&#x017F;prochen hat, empfinde ich die La&#x017F;t<lb/>
und das Un&#x017F;täte in mir doppelt &#x017F;chwer; aber, als<lb/>
ich mich ern&#x017F;tlich prüfe, &#x017F;ehe ich, daß es mir un-<lb/>
möglich wäre, der Welt zu ent&#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>&#x2014; Du ha&#x017F;t mich nicht ver&#x017F;tanden, &#x017F;agt hier-<lb/>
auf mein Erzieher einmal, und es wundert mich,<lb/>
daß du nach den vielen Jahren chri&#x017F;tlicher Erziehung<lb/>
deinen Freund &#x017F;o mißver&#x017F;tehen kann&#x017F;t. Wer &#x017F;agt<lb/>
dir, daß du den Freuden der Welt ent&#x017F;agen &#x017F;olle&#x017F;t?<lb/>
Die Freuden der Welt &#x017F;ind ein Ge&#x017F;chenk Gottes;<lb/>
aber &#x017F;ie nicht genießen, &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen, &#x017F;ondern<lb/>
zu Gottes Ehre, das i&#x017F;t es, was uns wahre Be-<lb/>
friedigung gewährt.</p><lb/>
          <p>So geht mir nun ein neues Leben auf; mein<lb/>
&#x017F;ittliches Gefühl, das mich &#x017F;on&#x017F;t zurückgehalten, eifert<lb/>
mich jetzt an, daß ich all den verlangenden Sinnen<lb/>
meines We&#x017F;ens Sättigung ver&#x017F;chaffe. In Freude<lb/>
und Genuß Gott dem Herrn dienen &#x2014; &#x017F;o gibt es<lb/>
keinen Zwie&#x017F;palt mehr in die&#x017F;em Leben.</p><lb/>
          <p>Mein Freund lächelt und läßt gewähren. Die<lb/>
Welt i&#x017F;t <hi rendition="#g">&#x017F;chön</hi>, wenn man jung, und auch <hi rendition="#g">gut</hi>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0279] einführen. Mein lieber Freund, alle Tage bete ich zu Gott, daß er dich ſo glücklich laſſen werden möge, als ich es bin, daß du wie ich ein Bruder Jeſu Chriſti werdeſt zum Heile deiner Seele und zum Wohle des heiligen Glaubens. Von dieſem Tage an, als mein geiſtlicher Hofmeiſter ſo geſprochen hat, empfinde ich die Laſt und das Unſtäte in mir doppelt ſchwer; aber, als ich mich ernſtlich prüfe, ſehe ich, daß es mir un- möglich wäre, der Welt zu entſagen. — Du haſt mich nicht verſtanden, ſagt hier- auf mein Erzieher einmal, und es wundert mich, daß du nach den vielen Jahren chriſtlicher Erziehung deinen Freund ſo mißverſtehen kannſt. Wer ſagt dir, daß du den Freuden der Welt entſagen ſolleſt? Die Freuden der Welt ſind ein Geſchenk Gottes; aber ſie nicht genießen, ſeiner ſelbſt willen, ſondern zu Gottes Ehre, das iſt es, was uns wahre Be- friedigung gewährt. So geht mir nun ein neues Leben auf; mein ſittliches Gefühl, das mich ſonſt zurückgehalten, eifert mich jetzt an, daß ich all den verlangenden Sinnen meines Weſens Sättigung verſchaffe. In Freude und Genuß Gott dem Herrn dienen — ſo gibt es keinen Zwieſpalt mehr in dieſem Leben. Mein Freund lächelt und läßt gewähren. Die Welt iſt ſchön, wenn man jung, und auch gut,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/279
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/279>, abgerufen am 24.11.2024.