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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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Dann nach einer kleinen Weile fährt der Rüppel
fort: "Und weil in der heutigen Nacht wir mit
dem Kreuze gehen, so haben wir gar den ewigen
Juden gesehen. Er hat uns geladen ein zur Ruh'
auf den Stein, das wäre gewesen nicht unsere
Rast, aber die Ruhe sein."

In der Kohlstatt der hinteren Lautergräben
haben uns vier Männer aus dem Winkelthale
erwartet. Diese nehmen uns das Kreuz ab, legen
es auf eine grünsprossige Bahre und tragen es
davon.

Wie wir herauskommen zu unserem Thale,
da bricht der Tag an. Und es klingt und zittert
ein Ton durch die Luft, der nicht vergleichbar ist
mit Menschengesang und Saitenspiel und aller
Musik auf Erden. Schon jahrelang habe ich diesen
Ton nicht gehört, weiß ihn kaum mehr zu deuten.
Wir alle stehen still und horchen; es ist die Glocke
von unserer neuen Kirche.

Während wir im Felsenthale gewesen, sind die
Glocken angekommen und erhöht worden.

Wie ich an diesem Morgen das Glöcklein
gehört, da habt ich es nicht lassen mögen, habe
laut gerufen: "Leute, jetzt sind wir nimmer allein!
alle Gemeinden draußen läuten zu dieser Stunde;
wir haben mit ihnen den gleichen Morgengruß,
den gleichen Gedanken. Wir sind nicht mehr stumm

Dann nach einer kleinen Weile fährt der Rüppel
fort: „Und weil in der heutigen Nacht wir mit
dem Kreuze gehen, ſo haben wir gar den ewigen
Juden geſehen. Er hat uns geladen ein zur Ruh’
auf den Stein, das wäre geweſen nicht unſere
Raſt, aber die Ruhe ſein.“

In der Kohlſtatt der hinteren Lautergräben
haben uns vier Männer aus dem Winkelthale
erwartet. Dieſe nehmen uns das Kreuz ab, legen
es auf eine grünſproſſige Bahre und tragen es
davon.

Wie wir herauskommen zu unſerem Thale,
da bricht der Tag an. Und es klingt und zittert
ein Ton durch die Luft, der nicht vergleichbar iſt
mit Menſchengeſang und Saitenſpiel und aller
Muſik auf Erden. Schon jahrelang habe ich dieſen
Ton nicht gehört, weiß ihn kaum mehr zu deuten.
Wir alle ſtehen ſtill und horchen; es iſt die Glocke
von unſerer neuen Kirche.

Während wir im Felſenthale geweſen, ſind die
Glocken angekommen und erhöht worden.

Wie ich an dieſem Morgen das Glöcklein
gehört, da habt ich es nicht laſſen mögen, habe
laut gerufen: „Leute, jetzt ſind wir nimmer allein!
alle Gemeinden draußen läuten zu dieſer Stunde;
wir haben mit ihnen den gleichen Morgengruß,
den gleichen Gedanken. Wir ſind nicht mehr ſtumm

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[242/0252] Dann nach einer kleinen Weile fährt der Rüppel fort: „Und weil in der heutigen Nacht wir mit dem Kreuze gehen, ſo haben wir gar den ewigen Juden geſehen. Er hat uns geladen ein zur Ruh’ auf den Stein, das wäre geweſen nicht unſere Raſt, aber die Ruhe ſein.“ In der Kohlſtatt der hinteren Lautergräben haben uns vier Männer aus dem Winkelthale erwartet. Dieſe nehmen uns das Kreuz ab, legen es auf eine grünſproſſige Bahre und tragen es davon. Wie wir herauskommen zu unſerem Thale, da bricht der Tag an. Und es klingt und zittert ein Ton durch die Luft, der nicht vergleichbar iſt mit Menſchengeſang und Saitenſpiel und aller Muſik auf Erden. Schon jahrelang habe ich dieſen Ton nicht gehört, weiß ihn kaum mehr zu deuten. Wir alle ſtehen ſtill und horchen; es iſt die Glocke von unſerer neuen Kirche. Während wir im Felſenthale geweſen, ſind die Glocken angekommen und erhöht worden. Wie ich an dieſem Morgen das Glöcklein gehört, da habt ich es nicht laſſen mögen, habe laut gerufen: „Leute, jetzt ſind wir nimmer allein! alle Gemeinden draußen läuten zu dieſer Stunde; wir haben mit ihnen den gleichen Morgengruß, den gleichen Gedanken. Wir ſind nicht mehr ſtumm

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/252>, abgerufen am 16.05.2024.