Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

und mein Vater schickt mich her -- der Vater schickt
mich her . . . ."

Der Schlingel hat die Ansprache auswendig
gelernt und bleibt stecken und wird roth und will
sich wieder von dannen wenden. Ich habe Mühe,
bis ich es erfahre, daß sein Vater mir sagen lassen,
er sei völlig geheilt und mir wünsche er dasselbe,
und er komme demnächst zu mir, um sich zu be-
danken, und er schicke zwei übermütige Schopfmeisen,
und er möchte mir, da ich, wie er wisse, noch nicht
in das Freie gehen könne, das ganze Frühjahr in
die Stube senden.

Was fange ich mit den kleinen Thieren an?
sie flattern wirr im Käfig umher und zerstoßen sich
vor Angst die Köpfchen an den Spangen. Ich lasse
sie in unseres Herrgotts Vogelkäfig, in den Mai
hinausfliegen.

Und als endlich die Zeit erfüllt, da bin ich
eines frühen Morgens hinausgetreten in den freien
Mai. -- Der Haushahn kräht, der Morgenstern
guckt helläugig über den dunkeln Waldberg. Der
Morgenstern ist ein guter Geselle; der leuchtet getreu-
lich, so lange es noch dunkel ist, und tritt beschei-
den in den Hintergrund, sobald die Sonne kommt.

Leise schleiche ich durch das Hausthor, daß ich
die Leute nicht wecke, die haben nicht wochenlang
so ausgerastet, wie ich; denen liegt noch der gestrige

13*

und mein Vater ſchickt mich her — der Vater ſchickt
mich her . . . .“

Der Schlingel hat die Anſprache auswendig
gelernt und bleibt ſtecken und wird roth und will
ſich wieder von dannen wenden. Ich habe Mühe,
bis ich es erfahre, daß ſein Vater mir ſagen laſſen,
er ſei völlig geheilt und mir wünſche er dasſelbe,
und er komme demnächſt zu mir, um ſich zu be-
danken, und er ſchicke zwei übermütige Schopfmeiſen,
und er möchte mir, da ich, wie er wiſſe, noch nicht
in das Freie gehen könne, das ganze Frühjahr in
die Stube ſenden.

Was fange ich mit den kleinen Thieren an?
ſie flattern wirr im Käfig umher und zerſtoßen ſich
vor Angſt die Köpfchen an den Spangen. Ich laſſe
ſie in unſeres Herrgotts Vogelkäfig, in den Mai
hinausfliegen.

Und als endlich die Zeit erfüllt, da bin ich
eines frühen Morgens hinausgetreten in den freien
Mai. — Der Haushahn kräht, der Morgenſtern
guckt helläugig über den dunkeln Waldberg. Der
Morgenſtern iſt ein guter Geſelle; der leuchtet getreu-
lich, ſo lange es noch dunkel iſt, und tritt beſchei-
den in den Hintergrund, ſobald die Sonne kommt.

Leiſe ſchleiche ich durch das Hausthor, daß ich
die Leute nicht wecke, die haben nicht wochenlang
ſo ausgeraſtet, wie ich; denen liegt noch der geſtrige

13*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0205" n="195"/>
und mein Vater &#x017F;chickt mich her &#x2014; der Vater &#x017F;chickt<lb/>
mich her . . . .&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Schlingel hat die An&#x017F;prache auswendig<lb/>
gelernt und bleibt &#x017F;tecken und wird roth und will<lb/>
&#x017F;ich wieder von dannen wenden. Ich habe Mühe,<lb/>
bis ich es erfahre, daß &#x017F;ein Vater mir &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
er &#x017F;ei völlig geheilt und mir wün&#x017F;che er das&#x017F;elbe,<lb/>
und er komme demnäch&#x017F;t zu mir, um &#x017F;ich zu be-<lb/>
danken, und er &#x017F;chicke zwei übermütige Schopfmei&#x017F;en,<lb/>
und er möchte mir, da ich, wie er wi&#x017F;&#x017F;e, noch nicht<lb/>
in das Freie gehen könne, das ganze Frühjahr in<lb/>
die Stube &#x017F;enden.</p><lb/>
        <p>Was fange ich mit den kleinen Thieren an?<lb/>
&#x017F;ie flattern wirr im Käfig umher und zer&#x017F;toßen &#x017F;ich<lb/>
vor Ang&#x017F;t die Köpfchen an den Spangen. Ich la&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ie in un&#x017F;eres Herrgotts Vogelkäfig, in den Mai<lb/>
hinausfliegen.</p><lb/>
        <p>Und als endlich die Zeit erfüllt, da bin ich<lb/>
eines frühen Morgens hinausgetreten in den freien<lb/>
Mai. &#x2014; Der Haushahn kräht, der Morgen&#x017F;tern<lb/>
guckt helläugig über den dunkeln Waldberg. Der<lb/>
Morgen&#x017F;tern i&#x017F;t ein guter Ge&#x017F;elle; der leuchtet getreu-<lb/>
lich, &#x017F;o lange es noch dunkel i&#x017F;t, und tritt be&#x017F;chei-<lb/>
den in den Hintergrund, &#x017F;obald die Sonne kommt.</p><lb/>
        <p>Lei&#x017F;e &#x017F;chleiche ich durch das Hausthor, daß ich<lb/>
die Leute nicht wecke, die haben nicht wochenlang<lb/>
&#x017F;o ausgera&#x017F;tet, wie ich; denen liegt noch der ge&#x017F;trige<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">13*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0205] und mein Vater ſchickt mich her — der Vater ſchickt mich her . . . .“ Der Schlingel hat die Anſprache auswendig gelernt und bleibt ſtecken und wird roth und will ſich wieder von dannen wenden. Ich habe Mühe, bis ich es erfahre, daß ſein Vater mir ſagen laſſen, er ſei völlig geheilt und mir wünſche er dasſelbe, und er komme demnächſt zu mir, um ſich zu be- danken, und er ſchicke zwei übermütige Schopfmeiſen, und er möchte mir, da ich, wie er wiſſe, noch nicht in das Freie gehen könne, das ganze Frühjahr in die Stube ſenden. Was fange ich mit den kleinen Thieren an? ſie flattern wirr im Käfig umher und zerſtoßen ſich vor Angſt die Köpfchen an den Spangen. Ich laſſe ſie in unſeres Herrgotts Vogelkäfig, in den Mai hinausfliegen. Und als endlich die Zeit erfüllt, da bin ich eines frühen Morgens hinausgetreten in den freien Mai. — Der Haushahn kräht, der Morgenſtern guckt helläugig über den dunkeln Waldberg. Der Morgenſtern iſt ein guter Geſelle; der leuchtet getreu- lich, ſo lange es noch dunkel iſt, und tritt beſchei- den in den Hintergrund, ſobald die Sonne kommt. Leiſe ſchleiche ich durch das Hausthor, daß ich die Leute nicht wecke, die haben nicht wochenlang ſo ausgeraſtet, wie ich; denen liegt noch der geſtrige 13*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/205
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/205>, abgerufen am 23.11.2024.