Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ebenso räthselhaft und unbegreiflich. Marie liebte mich! Mich -- war es denn möglich? Konnte sie so blind sein, daß sie dasselbe Wesen, welches sie in Franz tadelte, in mir nicht zum Theil ebenfalls erkannte?

Ich versank in ein Chaos von widerstreitenden Gedanken. Was sollte ich thun? Es ist ein großes, vielleicht das größte Glück des Lebens, geliebt zu werden. Ich war noch sehr jung, hatte eben erst mein fünfundzwanzigstes Jahr zurückgelegt. Und so gestehe ich, daß sich mitten im Wachen ein Traum über mich senkte, der mir auch das letzte Räthsel in beseligende Wahrheit auflös'te. Ich war wieder glücklich, liebte und wurde geliebt, mein Leben war nicht mehr einsam, es hatte wieder einen Inhalt. Ich führte die Freude in Marien's Gestalt in mein Haus, zu meiner Familch zurück -- --

Da riß der trügerische, goldene Nebel meines Traums auseinander, ich sah die Wirklichkeit wieder. Verräther! Pflichtvergessener! tönte es durch meine Brust, und mein Gewissen strafte mich durch das bitterste Schuldbewußtsein. Eitelkeit nannte ich es, aus so ungenügenden Anzeichen herzuleiten, daß ich geliebt würde. Abscheulich war es, mich in einen Liebestraum einzuwiegen, da ich meines Freundes Liebe zu Marien kannte. Als Abtrünnigkeit und Leichtfertigkeit mußte ich es erkennen, an einen Ersatz des Glückes zu denken, das mir vor kaum einem Jahre mit meinem theuren Weibe gestorben war. Ihr schönes Bild stand plötzlich

ebenso räthselhaft und unbegreiflich. Marie liebte mich! Mich — war es denn möglich? Konnte sie so blind sein, daß sie dasselbe Wesen, welches sie in Franz tadelte, in mir nicht zum Theil ebenfalls erkannte?

Ich versank in ein Chaos von widerstreitenden Gedanken. Was sollte ich thun? Es ist ein großes, vielleicht das größte Glück des Lebens, geliebt zu werden. Ich war noch sehr jung, hatte eben erst mein fünfundzwanzigstes Jahr zurückgelegt. Und so gestehe ich, daß sich mitten im Wachen ein Traum über mich senkte, der mir auch das letzte Räthsel in beseligende Wahrheit auflös'te. Ich war wieder glücklich, liebte und wurde geliebt, mein Leben war nicht mehr einsam, es hatte wieder einen Inhalt. Ich führte die Freude in Marien's Gestalt in mein Haus, zu meiner Familch zurück — —

Da riß der trügerische, goldene Nebel meines Traums auseinander, ich sah die Wirklichkeit wieder. Verräther! Pflichtvergessener! tönte es durch meine Brust, und mein Gewissen strafte mich durch das bitterste Schuldbewußtsein. Eitelkeit nannte ich es, aus so ungenügenden Anzeichen herzuleiten, daß ich geliebt würde. Abscheulich war es, mich in einen Liebestraum einzuwiegen, da ich meines Freundes Liebe zu Marien kannte. Als Abtrünnigkeit und Leichtfertigkeit mußte ich es erkennen, an einen Ersatz des Glückes zu denken, das mir vor kaum einem Jahre mit meinem theuren Weibe gestorben war. Ihr schönes Bild stand plötzlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="8">
        <p><pb facs="#f0090"/>
ebenso                räthselhaft und unbegreiflich. Marie liebte mich! Mich &#x2014; war es denn möglich? Konnte                sie so blind sein, daß sie dasselbe Wesen, welches sie in Franz tadelte, in mir nicht                zum Theil ebenfalls erkannte?</p><lb/>
        <p>Ich versank in ein Chaos von widerstreitenden Gedanken. Was sollte ich thun? Es ist                ein großes, vielleicht das größte Glück des Lebens, geliebt zu werden. Ich war noch                sehr jung, hatte eben erst mein fünfundzwanzigstes Jahr zurückgelegt. Und so gestehe                ich, daß sich mitten im Wachen ein Traum über mich senkte, der mir auch das letzte                Räthsel in beseligende Wahrheit auflös'te. Ich war wieder glücklich, liebte und wurde                geliebt, mein Leben war nicht mehr einsam, es hatte wieder einen Inhalt. Ich führte                die Freude in Marien's Gestalt in mein Haus, zu meiner Familch zurück &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Da riß der trügerische, goldene Nebel meines Traums auseinander, ich sah die                Wirklichkeit wieder. Verräther! Pflichtvergessener! tönte es durch meine Brust, und                mein Gewissen strafte mich durch das bitterste Schuldbewußtsein. Eitelkeit nannte ich                es, aus so ungenügenden Anzeichen herzuleiten, daß ich geliebt würde. Abscheulich war                es, mich in einen Liebestraum einzuwiegen, da ich meines Freundes Liebe zu Marien                kannte. Als Abtrünnigkeit und Leichtfertigkeit mußte ich es erkennen, an einen Ersatz                des Glückes zu denken, das mir vor kaum einem Jahre mit meinem theuren Weibe                gestorben war. Ihr schönes Bild stand plötzlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] ebenso räthselhaft und unbegreiflich. Marie liebte mich! Mich — war es denn möglich? Konnte sie so blind sein, daß sie dasselbe Wesen, welches sie in Franz tadelte, in mir nicht zum Theil ebenfalls erkannte? Ich versank in ein Chaos von widerstreitenden Gedanken. Was sollte ich thun? Es ist ein großes, vielleicht das größte Glück des Lebens, geliebt zu werden. Ich war noch sehr jung, hatte eben erst mein fünfundzwanzigstes Jahr zurückgelegt. Und so gestehe ich, daß sich mitten im Wachen ein Traum über mich senkte, der mir auch das letzte Räthsel in beseligende Wahrheit auflös'te. Ich war wieder glücklich, liebte und wurde geliebt, mein Leben war nicht mehr einsam, es hatte wieder einen Inhalt. Ich führte die Freude in Marien's Gestalt in mein Haus, zu meiner Familch zurück — — Da riß der trügerische, goldene Nebel meines Traums auseinander, ich sah die Wirklichkeit wieder. Verräther! Pflichtvergessener! tönte es durch meine Brust, und mein Gewissen strafte mich durch das bitterste Schuldbewußtsein. Eitelkeit nannte ich es, aus so ungenügenden Anzeichen herzuleiten, daß ich geliebt würde. Abscheulich war es, mich in einen Liebestraum einzuwiegen, da ich meines Freundes Liebe zu Marien kannte. Als Abtrünnigkeit und Leichtfertigkeit mußte ich es erkennen, an einen Ersatz des Glückes zu denken, das mir vor kaum einem Jahre mit meinem theuren Weibe gestorben war. Ihr schönes Bild stand plötzlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/90
Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/90>, abgerufen am 04.05.2024.