Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich selbst schon über ihn gedacht. Was mich aber geradezu bestürzt machte, war der Eifer, zu welchem sie sich gesteigert hatte. Ich konnte gar nicht zweifeln, daß ihr meine Absicht nicht entgangen sei, und daß sie wie zu ihrer eigenen Vertheidigung gesprochen habe. Indessen schien ihre Verlegenheit und die Ueberraschung über sich selbst auch nicht geringer als die meinige. Ehe ich noch ein Wort hervorbrachte, fuhr sie hastig, aber mit bebender Stimme fort: Ach Gott! Verzeihen Sie nur, er ist ja Ihr Freund! Wer einen solchen Freund hat -- ich will nichts, gar nichts gesagt haben! Hier gehen die Wege auseinander. Da auf dem großen Kanal kommen Sie in ein paar Minuten nach Leipe. Ohne ein weiteres Wort des Abschieds wendete sie ihren Kahn und verschwand im Finstern. Ich rief ihr noch meinen Dank für die Führung und ein: Gute Nacht, Marie! nach, erhielt aber keine Antwort. Die hellen Fenster des Dorfes schimmerten mir schon entgegen. Ich hatte nur kurze Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, da ich auf meinen Weg Acht geben mußte, um mein Fahrzeug zwischen all den angebundenen Nachen vor den Häusern durchzubringen. Franz und seine Mutter waren allerdings etwas in Sorge um mich gewesen, hatten sich aber schließlich mit dem Gedanken getröstet, ich sei auf der Lindenkaupe geblieben. Den Augen der guten Alten sah ich es jedoch an, daß inzwischen etwas vorgefallen sein müsse, ich selbst schon über ihn gedacht. Was mich aber geradezu bestürzt machte, war der Eifer, zu welchem sie sich gesteigert hatte. Ich konnte gar nicht zweifeln, daß ihr meine Absicht nicht entgangen sei, und daß sie wie zu ihrer eigenen Vertheidigung gesprochen habe. Indessen schien ihre Verlegenheit und die Ueberraschung über sich selbst auch nicht geringer als die meinige. Ehe ich noch ein Wort hervorbrachte, fuhr sie hastig, aber mit bebender Stimme fort: Ach Gott! Verzeihen Sie nur, er ist ja Ihr Freund! Wer einen solchen Freund hat — ich will nichts, gar nichts gesagt haben! Hier gehen die Wege auseinander. Da auf dem großen Kanal kommen Sie in ein paar Minuten nach Leipe. Ohne ein weiteres Wort des Abschieds wendete sie ihren Kahn und verschwand im Finstern. Ich rief ihr noch meinen Dank für die Führung und ein: Gute Nacht, Marie! nach, erhielt aber keine Antwort. Die hellen Fenster des Dorfes schimmerten mir schon entgegen. Ich hatte nur kurze Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, da ich auf meinen Weg Acht geben mußte, um mein Fahrzeug zwischen all den angebundenen Nachen vor den Häusern durchzubringen. Franz und seine Mutter waren allerdings etwas in Sorge um mich gewesen, hatten sich aber schließlich mit dem Gedanken getröstet, ich sei auf der Lindenkaupe geblieben. Den Augen der guten Alten sah ich es jedoch an, daß inzwischen etwas vorgefallen sein müsse, <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0085"/> ich selbst schon über ihn gedacht. Was mich aber geradezu bestürzt machte, war der Eifer, zu welchem sie sich gesteigert hatte. Ich konnte gar nicht zweifeln, daß ihr meine Absicht nicht entgangen sei, und daß sie wie zu ihrer eigenen Vertheidigung gesprochen habe. Indessen schien ihre Verlegenheit und die Ueberraschung über sich selbst auch nicht geringer als die meinige.</p><lb/> <p>Ehe ich noch ein Wort hervorbrachte, fuhr sie hastig, aber mit bebender Stimme fort: Ach Gott! Verzeihen Sie nur, er ist ja Ihr Freund! Wer einen solchen Freund hat — ich will nichts, gar nichts gesagt haben! Hier gehen die Wege auseinander. Da auf dem großen Kanal kommen Sie in ein paar Minuten nach Leipe.</p><lb/> <p>Ohne ein weiteres Wort des Abschieds wendete sie ihren Kahn und verschwand im Finstern. Ich rief ihr noch meinen Dank für die Führung und ein: Gute Nacht, Marie! nach, erhielt aber keine Antwort. Die hellen Fenster des Dorfes schimmerten mir schon entgegen. Ich hatte nur kurze Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, da ich auf meinen Weg Acht geben mußte, um mein Fahrzeug zwischen all den angebundenen Nachen vor den Häusern durchzubringen.</p><lb/> <p>Franz und seine Mutter waren allerdings etwas in Sorge um mich gewesen, hatten sich aber schließlich mit dem Gedanken getröstet, ich sei auf der Lindenkaupe geblieben. Den Augen der guten Alten sah ich es jedoch an, daß inzwischen etwas vorgefallen sein müsse,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
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Ehe ich noch ein Wort hervorbrachte, fuhr sie hastig, aber mit bebender Stimme fort: Ach Gott! Verzeihen Sie nur, er ist ja Ihr Freund! Wer einen solchen Freund hat — ich will nichts, gar nichts gesagt haben! Hier gehen die Wege auseinander. Da auf dem großen Kanal kommen Sie in ein paar Minuten nach Leipe.
Ohne ein weiteres Wort des Abschieds wendete sie ihren Kahn und verschwand im Finstern. Ich rief ihr noch meinen Dank für die Führung und ein: Gute Nacht, Marie! nach, erhielt aber keine Antwort. Die hellen Fenster des Dorfes schimmerten mir schon entgegen. Ich hatte nur kurze Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen, da ich auf meinen Weg Acht geben mußte, um mein Fahrzeug zwischen all den angebundenen Nachen vor den Häusern durchzubringen.
Franz und seine Mutter waren allerdings etwas in Sorge um mich gewesen, hatten sich aber schließlich mit dem Gedanken getröstet, ich sei auf der Lindenkaupe geblieben. Den Augen der guten Alten sah ich es jedoch an, daß inzwischen etwas vorgefallen sein müsse,
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Zitationshilfe: | Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/85>, abgerufen am 16.02.2025. |