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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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konnten mich seine räthselhaften Gründe keineswegs befriedigen. Im Gegentheil, ich war ungehalten, im Stillen verdrießlich über ihn. Da haben wir wieder einmal so ein Gemüth, dachte ich, das sich selbst und Andere quält, aus Rücksichten, die ihm nichts nützen und die der Andere nicht empfindet, ja, wenn er sie kennte, nicht einmal anerkennen würde! So ein Träumer ist die unglücklichste Natur. Er sieht nie den Gegenständen ins Auge, er blickt geflissentlich darüber hinaus. Anstatt kühn zu wagen, wartet er ab, ob die Sache nicht von selbst an ihn heran käme, und darüber verliert er Hoffnung und Glück.

Ich fühlte in mir selbst ein Theil von diesem Wesen, darum konnte ich es verstehen und beurtheilen. Aber ich hatte es immer zu bekämpfen gesucht, und das Leben war mir behülflich gewesen, mich in eine praktischere Richtung zu leiten.

Es vergingen einige Tage. Victor kam, entschuldigte sich bei Franz wegen seiner so schnellen Umquartierung, und da ich inzwischen nicht auf der Lindenkaupe gewesen war, so mochte sich seine Furcht vor meiner Nebenbuhlerschaft wohl gelegt haben, und er zeigte sich sehr heiter und liebenswürdig. Indessen war unser Verhältniß doch gestört, und alle Drei kamen wir zu keinem Behagen mit einander.

Eines Tages fuhr ich, während Franz seine Nachmittagsschule hielt, allein in den Wald hinein. Ich pflegte ab und zu etwas zu zeichnen -- wahrscheinlich

konnten mich seine räthselhaften Gründe keineswegs befriedigen. Im Gegentheil, ich war ungehalten, im Stillen verdrießlich über ihn. Da haben wir wieder einmal so ein Gemüth, dachte ich, das sich selbst und Andere quält, aus Rücksichten, die ihm nichts nützen und die der Andere nicht empfindet, ja, wenn er sie kennte, nicht einmal anerkennen würde! So ein Träumer ist die unglücklichste Natur. Er sieht nie den Gegenständen ins Auge, er blickt geflissentlich darüber hinaus. Anstatt kühn zu wagen, wartet er ab, ob die Sache nicht von selbst an ihn heran käme, und darüber verliert er Hoffnung und Glück.

Ich fühlte in mir selbst ein Theil von diesem Wesen, darum konnte ich es verstehen und beurtheilen. Aber ich hatte es immer zu bekämpfen gesucht, und das Leben war mir behülflich gewesen, mich in eine praktischere Richtung zu leiten.

Es vergingen einige Tage. Victor kam, entschuldigte sich bei Franz wegen seiner so schnellen Umquartierung, und da ich inzwischen nicht auf der Lindenkaupe gewesen war, so mochte sich seine Furcht vor meiner Nebenbuhlerschaft wohl gelegt haben, und er zeigte sich sehr heiter und liebenswürdig. Indessen war unser Verhältniß doch gestört, und alle Drei kamen wir zu keinem Behagen mit einander.

Eines Tages fuhr ich, während Franz seine Nachmittagsschule hielt, allein in den Wald hinein. Ich pflegte ab und zu etwas zu zeichnen — wahrscheinlich

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[0077] konnten mich seine räthselhaften Gründe keineswegs befriedigen. Im Gegentheil, ich war ungehalten, im Stillen verdrießlich über ihn. Da haben wir wieder einmal so ein Gemüth, dachte ich, das sich selbst und Andere quält, aus Rücksichten, die ihm nichts nützen und die der Andere nicht empfindet, ja, wenn er sie kennte, nicht einmal anerkennen würde! So ein Träumer ist die unglücklichste Natur. Er sieht nie den Gegenständen ins Auge, er blickt geflissentlich darüber hinaus. Anstatt kühn zu wagen, wartet er ab, ob die Sache nicht von selbst an ihn heran käme, und darüber verliert er Hoffnung und Glück. Ich fühlte in mir selbst ein Theil von diesem Wesen, darum konnte ich es verstehen und beurtheilen. Aber ich hatte es immer zu bekämpfen gesucht, und das Leben war mir behülflich gewesen, mich in eine praktischere Richtung zu leiten. Es vergingen einige Tage. Victor kam, entschuldigte sich bei Franz wegen seiner so schnellen Umquartierung, und da ich inzwischen nicht auf der Lindenkaupe gewesen war, so mochte sich seine Furcht vor meiner Nebenbuhlerschaft wohl gelegt haben, und er zeigte sich sehr heiter und liebenswürdig. Indessen war unser Verhältniß doch gestört, und alle Drei kamen wir zu keinem Behagen mit einander. Eines Tages fuhr ich, während Franz seine Nachmittagsschule hielt, allein in den Wald hinein. Ich pflegte ab und zu etwas zu zeichnen — wahrscheinlich

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/77>, abgerufen am 22.11.2024.