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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mehr. -- Du darfst nicht? Franz, du entgehst mir nicht. Fürchtest du Victor? Glaubst du, daß er dir die Neigung Mariens so schnell entwendet habe?

Entwendet? Weißt du denn, ob ich sie je besessen? Aber auch wenn das wäre -- von ihm droht keine Gefahr. Sie lacht mit ihm, nimmt seine Schmeicheleien hin, wie sie das zu thun pflegt, aber sie liebt ihn nicht. -- Wenn du das weißt, so weißt du auch mehr. Soll ein Freund es nicht erfahren, der dir gern mit Rath und That beistehen möchte?

Franz schwieg geraume Zeit. Dann ergriff er meine Hand und sagte: Ernst, wenn ich mich aussprechen dürfte, wärest du der Erste, dem ich mein ganzes Vertrauen schenkte. Aber das Schicksal will, daß ich es nicht soll. Ein unzeitiges Wort, und ich richte vielleicht eine unselige Verwirrung an. Laß mich daher schweigen! Du bleibst mehrere Wochen bei mir, in dieser Zeit muß sich Viel entwickeln. Dir wird, auch ohne daß ich rede, Vieles klar werden. Und endlich wird auch ein Tag kommen, wo ich dir ein offenes Bekenntniß ablegen darf. Bis dahin, bitte ich dich, ehre mein Schweigen und laß uns dies Thema vermeiden. Ich muß dir fürs Erste jede Erklärung verweigern.

Eine lange Pause folgte diesen Worten, wir schritten wortlos neben einander hin. Franz hatte sich mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen, daß ich nicht weiter in ihn dringen durfte. Aber dennoch

mehr. — Du darfst nicht? Franz, du entgehst mir nicht. Fürchtest du Victor? Glaubst du, daß er dir die Neigung Mariens so schnell entwendet habe?

Entwendet? Weißt du denn, ob ich sie je besessen? Aber auch wenn das wäre — von ihm droht keine Gefahr. Sie lacht mit ihm, nimmt seine Schmeicheleien hin, wie sie das zu thun pflegt, aber sie liebt ihn nicht. — Wenn du das weißt, so weißt du auch mehr. Soll ein Freund es nicht erfahren, der dir gern mit Rath und That beistehen möchte?

Franz schwieg geraume Zeit. Dann ergriff er meine Hand und sagte: Ernst, wenn ich mich aussprechen dürfte, wärest du der Erste, dem ich mein ganzes Vertrauen schenkte. Aber das Schicksal will, daß ich es nicht soll. Ein unzeitiges Wort, und ich richte vielleicht eine unselige Verwirrung an. Laß mich daher schweigen! Du bleibst mehrere Wochen bei mir, in dieser Zeit muß sich Viel entwickeln. Dir wird, auch ohne daß ich rede, Vieles klar werden. Und endlich wird auch ein Tag kommen, wo ich dir ein offenes Bekenntniß ablegen darf. Bis dahin, bitte ich dich, ehre mein Schweigen und laß uns dies Thema vermeiden. Ich muß dir fürs Erste jede Erklärung verweigern.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/76>, abgerufen am 04.05.2024.