Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sie noch im Tode glücklich, so von ihrem Manne betrauert zu werden. Und soll man nicht Antheil nehmen, wenn man von so einem Schicksal hört? -- Nun ja, es ist beklagenswerth. Aber was ist das? Victor sprang plötzlich auf und nahm aus dem Gebüsch einen halb verwelkten Kranz hervor.

Ein Kranz, weiter nichts! sagte Marie mit leichtem Erröthen, indem sie die Augen fest auf ihre Arbeit richtete. Haben Sie ihn gewunden, Marie? -- Warum? Dann behalte ich ihn zum Andenken. -- Das staubige, verwelkte Zeug! Was wollen Sie damit?

Und wenn ich Sie nun zuerst in einem solchen Kranze gesehen hätte?

Nun gut, Sie haben mich gesehen, ich habe es mir gestern schon gedacht. Mich wundert nur, daß ich und die Kinder Sie nicht bemerkten. -- Wir waren gut versteckt und hielten uns ruhig, um zu beobachten, wie die reizende Scene sich entwickeln würde. Wie schön, wie wunderschön war die Schlangenkönigin!

Wirklich? Ein schalkhaftes Lächeln ging durch Mariens Züge. Sie ließ die Arbeit ruhen und steckte die rechte Hand in die Tasche. -- Das schöne blonde Haar, das jetzt unter dem Kopftuche versteckt ist, fiel so malerisch um die Schultern. O nehmen Sie das Tuch einmal ab! Darf ich --? -- Sie sind nicht gescheidt! rief Marie, seine Hand abwehrend, ohne daß jedoch ihr verschmitztes Lächeln einem Ausdruck des Unwillens gewichen wäre.

sie noch im Tode glücklich, so von ihrem Manne betrauert zu werden. Und soll man nicht Antheil nehmen, wenn man von so einem Schicksal hört? — Nun ja, es ist beklagenswerth. Aber was ist das? Victor sprang plötzlich auf und nahm aus dem Gebüsch einen halb verwelkten Kranz hervor.

Ein Kranz, weiter nichts! sagte Marie mit leichtem Erröthen, indem sie die Augen fest auf ihre Arbeit richtete. Haben Sie ihn gewunden, Marie? — Warum? Dann behalte ich ihn zum Andenken. — Das staubige, verwelkte Zeug! Was wollen Sie damit?

Und wenn ich Sie nun zuerst in einem solchen Kranze gesehen hätte?

Nun gut, Sie haben mich gesehen, ich habe es mir gestern schon gedacht. Mich wundert nur, daß ich und die Kinder Sie nicht bemerkten. — Wir waren gut versteckt und hielten uns ruhig, um zu beobachten, wie die reizende Scene sich entwickeln würde. Wie schön, wie wunderschön war die Schlangenkönigin!

Wirklich? Ein schalkhaftes Lächeln ging durch Mariens Züge. Sie ließ die Arbeit ruhen und steckte die rechte Hand in die Tasche. — Das schöne blonde Haar, das jetzt unter dem Kopftuche versteckt ist, fiel so malerisch um die Schultern. O nehmen Sie das Tuch einmal ab! Darf ich —? — Sie sind nicht gescheidt! rief Marie, seine Hand abwehrend, ohne daß jedoch ihr verschmitztes Lächeln einem Ausdruck des Unwillens gewichen wäre.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <p><pb facs="#f0061"/>
sie noch im Tode                glücklich, so von ihrem Manne betrauert zu werden. Und soll man nicht Antheil nehmen,                wenn man von so einem Schicksal hört? &#x2014; Nun ja, es ist beklagenswerth. Aber was ist                das? Victor sprang plötzlich auf und nahm aus dem Gebüsch einen halb verwelkten Kranz                hervor.</p><lb/>
        <p>Ein Kranz, weiter nichts! sagte Marie mit leichtem Erröthen, indem sie die Augen fest                auf ihre Arbeit richtete. Haben Sie ihn gewunden, Marie? &#x2014; Warum? Dann behalte ich                ihn zum Andenken. &#x2014; Das staubige, verwelkte Zeug! Was wollen Sie damit?</p><lb/>
        <p>Und wenn ich Sie nun zuerst in einem solchen Kranze gesehen hätte?</p><lb/>
        <p>Nun gut, Sie haben mich gesehen, ich habe es mir gestern schon gedacht. Mich wundert                nur, daß ich und die Kinder Sie nicht bemerkten. &#x2014; Wir waren gut versteckt und                hielten uns ruhig, um zu beobachten, wie die reizende Scene sich entwickeln würde.                Wie schön, wie wunderschön war die Schlangenkönigin!</p><lb/>
        <p>Wirklich? Ein schalkhaftes Lächeln ging durch Mariens Züge. Sie ließ die Arbeit ruhen                und steckte die rechte Hand in die Tasche. &#x2014; Das schöne blonde Haar, das jetzt unter                dem Kopftuche versteckt ist, fiel so malerisch um die Schultern. O nehmen Sie das                Tuch einmal ab! Darf ich &#x2014;? &#x2014; Sie sind nicht gescheidt! rief Marie, seine Hand                abwehrend, ohne daß jedoch ihr verschmitztes Lächeln einem Ausdruck des Unwillens                gewichen wäre.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] sie noch im Tode glücklich, so von ihrem Manne betrauert zu werden. Und soll man nicht Antheil nehmen, wenn man von so einem Schicksal hört? — Nun ja, es ist beklagenswerth. Aber was ist das? Victor sprang plötzlich auf und nahm aus dem Gebüsch einen halb verwelkten Kranz hervor. Ein Kranz, weiter nichts! sagte Marie mit leichtem Erröthen, indem sie die Augen fest auf ihre Arbeit richtete. Haben Sie ihn gewunden, Marie? — Warum? Dann behalte ich ihn zum Andenken. — Das staubige, verwelkte Zeug! Was wollen Sie damit? Und wenn ich Sie nun zuerst in einem solchen Kranze gesehen hätte? Nun gut, Sie haben mich gesehen, ich habe es mir gestern schon gedacht. Mich wundert nur, daß ich und die Kinder Sie nicht bemerkten. — Wir waren gut versteckt und hielten uns ruhig, um zu beobachten, wie die reizende Scene sich entwickeln würde. Wie schön, wie wunderschön war die Schlangenkönigin! Wirklich? Ein schalkhaftes Lächeln ging durch Mariens Züge. Sie ließ die Arbeit ruhen und steckte die rechte Hand in die Tasche. — Das schöne blonde Haar, das jetzt unter dem Kopftuche versteckt ist, fiel so malerisch um die Schultern. O nehmen Sie das Tuch einmal ab! Darf ich —? — Sie sind nicht gescheidt! rief Marie, seine Hand abwehrend, ohne daß jedoch ihr verschmitztes Lächeln einem Ausdruck des Unwillens gewichen wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/61
Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/61>, abgerufen am 04.05.2024.