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Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kannte meinen Freund und konnte ermessen, wie tief ein solches Geschick ihn berühren mochte. -- Hat Marie ihn förmlich abgewiesen? fragte ich. -- Das weiß ich eben nicht, rief Kascha eifrig. Mit mir spricht er ja darüber nicht, und wenn ich nur mal von Weitem anfange, so merkt er's gleich und redet andere Dinge. Denn er ist klug, Sie wissen es ja selbst, Herr Ernst, aus der Zeit, wo Sie zusammen lernten. Aber ich bin seine Mutter, und mir entgeht es nicht, daß es mit ihm schlecht aussieht. Und es ist einzig und allein von wegen des Mädchens. Denn seine Stelle bei der Schule ist ihm lieb, da klagt er nicht, und wenn auch sein Gehalt nur klein ist, so hat ihn doch die Erbschaft von meinem Bruder, auf die wir gar nicht rechneten, über alle Sorgen hinaus gebracht.

Ich suchte mir, während sie sprach, Mariens und Franzens Benehmen gegen einander am vergangenen Tage zu vergegenwärtigen, konnte aber keinen Zug finden, der auf ein gestörtes Verhältniß Beider hätte schließen lassen. Im Gegentheil, ich hatte überhaupt nicht einmal auf ein Verhältniß geschlossen. Sie saßen bei Tisch neben einander, sprachen harmlos, sie schien ihm voll Achtung zuzuhören, es war nichts von einer tieferen Beziehung zwischen ihnen zu erkennen. Ich sprach diese Bedenken halb tröstend gegen Kascha aus.

Das kann Alles sein, wandte sie ein, denn mein Franz ist auch stolz und wird sich vor Leuten nichts merken lassen! Aber so ein Stolz kann wie ein Gift

kannte meinen Freund und konnte ermessen, wie tief ein solches Geschick ihn berühren mochte. — Hat Marie ihn förmlich abgewiesen? fragte ich. — Das weiß ich eben nicht, rief Kascha eifrig. Mit mir spricht er ja darüber nicht, und wenn ich nur mal von Weitem anfange, so merkt er's gleich und redet andere Dinge. Denn er ist klug, Sie wissen es ja selbst, Herr Ernst, aus der Zeit, wo Sie zusammen lernten. Aber ich bin seine Mutter, und mir entgeht es nicht, daß es mit ihm schlecht aussieht. Und es ist einzig und allein von wegen des Mädchens. Denn seine Stelle bei der Schule ist ihm lieb, da klagt er nicht, und wenn auch sein Gehalt nur klein ist, so hat ihn doch die Erbschaft von meinem Bruder, auf die wir gar nicht rechneten, über alle Sorgen hinaus gebracht.

Ich suchte mir, während sie sprach, Mariens und Franzens Benehmen gegen einander am vergangenen Tage zu vergegenwärtigen, konnte aber keinen Zug finden, der auf ein gestörtes Verhältniß Beider hätte schließen lassen. Im Gegentheil, ich hatte überhaupt nicht einmal auf ein Verhältniß geschlossen. Sie saßen bei Tisch neben einander, sprachen harmlos, sie schien ihm voll Achtung zuzuhören, es war nichts von einer tieferen Beziehung zwischen ihnen zu erkennen. Ich sprach diese Bedenken halb tröstend gegen Kascha aus.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:15:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:15:33Z)

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Zitationshilfe: Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/50>, abgerufen am 27.04.2024.