§. 9. Nechst der Liebe wird Treu und Glaube an einem Landes-Fürsten erfodert, daß er nichts verspreche, was er nicht halten kan, was er aber versprochen, vest und unver- brüchlich leiste, solte er auch grossen Schaden dadurch leiden. Wer will dem trauen, der nicht hält, was er versprochen hat. Und ob schon einige das principium haben: Ein gros- ser Herr müsse kein Sclave seiner Worte seyn, so behaupten hingegen gewissenhaffte und weise Regenten: Wenn Treu und Glauben aus der Welt gejaget würden, so müsten sie doch in des Fürsten Pallast ihre Zuflucht finden. Als die Papisten Käyser Carln V. anreitzten, D. Luthern, da er zu Worms seine Lehre nicht revociren wolte, nicht zu dimittiren, vorwen- dende: Einem Ketzer wäre man nicht schuldig sein Versprechen zu halten, indem es wider der Kirchen Wohlfarth lieffe, so war er dennoch hierzu viel zu religieus, daß er ihn angetastet hätte, weil er ihn einmahl ein sicher Geleite versprochen.
§. 10. Es muß auch ein weiser Regente darauf bedacht seyn, daß er sich bey seiner Au- torität erhält. Nun scheinet zwar, daß die- ses keiner grossen Kunst bedürffe. Denn wie
wolte
Opffer des gemeinen Verdruſſes gebrauchet werden.
§. 9. Nechſt der Liebe wird Treu und Glaube an einem Landes-Fuͤrſten erfodert, daß er nichts verſpreche, was er nicht halten kan, was er aber verſprochen, veſt und unver- bruͤchlich leiſte, ſolte er auch groſſen Schaden dadurch leiden. Wer will dem trauen, der nicht haͤlt, was er verſprochen hat. Und ob ſchon einige das principium haben: Ein groſ- ſer Herr muͤſſe kein Sclave ſeiner Worte ſeyn, ſo behaupten hingegen gewiſſenhaffte und weiſe Regenten: Wenn Treu und Glauben aus der Welt gejaget wuͤrden, ſo muͤſten ſie doch in des Fuͤrſten Pallaſt ihre Zuflucht finden. Als die Papiſten Kaͤyſer Carln V. anreitzten, D. Luthern, da er zu Worms ſeine Lehre nicht revociren wolte, nicht zu dimittiren, vorwen- dende: Einem Ketzer waͤre man nicht ſchuldig ſein Verſprechen zu halten, indem es wider der Kirchen Wohlfarth lieffe, ſo war er dennoch hierzu viel zu religieus, daß er ihn angetaſtet haͤtte, weil er ihn einmahl ein ſicher Geleite verſprochen.
§. 10. Es muß auch ein weiſer Regente darauf bedacht ſeyn, daß er ſich bey ſeiner Au- toritaͤt erhaͤlt. Nun ſcheinet zwar, daß die- ſes keiner groſſen Kunſt beduͤrffe. Denn wie
wolte
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Opffer des gemeinen Verdruſſes gebrauchet
werden.
§. 9. Nechſt der Liebe wird Treu und
Glaube an einem Landes-Fuͤrſten erfodert,
daß er nichts verſpreche, was er nicht halten
kan, was er aber verſprochen, veſt und unver-
bruͤchlich leiſte, ſolte er auch groſſen Schaden
dadurch leiden. Wer will dem trauen, der
nicht haͤlt, was er verſprochen hat. Und ob
ſchon einige das principium haben: Ein groſ-
ſer Herr muͤſſe kein Sclave ſeiner Worte ſeyn,
ſo behaupten hingegen gewiſſenhaffte und
weiſe Regenten: Wenn Treu und Glauben
aus der Welt gejaget wuͤrden, ſo muͤſten ſie
doch in des Fuͤrſten Pallaſt ihre Zuflucht finden.
Als die Papiſten Kaͤyſer Carln V. anreitzten,
D. Luthern, da er zu Worms ſeine Lehre nicht
revociren wolte, nicht zu dimittiren, vorwen-
dende: Einem Ketzer waͤre man nicht ſchuldig
ſein Verſprechen zu halten, indem es wider der
Kirchen Wohlfarth lieffe, ſo war er dennoch
hierzu viel zu religieus, daß er ihn angetaſtet
haͤtte, weil er ihn einmahl ein ſicher Geleite
verſprochen.
§. 10. Es muß auch ein weiſer Regente
darauf bedacht ſeyn, daß er ſich bey ſeiner Au-
toritaͤt erhaͤlt. Nun ſcheinet zwar, daß die-
ſes keiner groſſen Kunſt beduͤrffe. Denn wie
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/63>, abgerufen am 25.11.2024.
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