Decadence kommen werde, so daß nach dem Verlauf eines halben oder gantzen Seculi Si- gnor Tribonianus in Teutschland wenig oder gar keine Autorität mehr haben wird, Fiat!
§. 21. Jch concipire mir, wie in andern Ländern, also auch in unserm Teutschland, nicht mehr denn zweyerley Gesetze, die die Handlun- gen der Unterthanen dirigiren sollen, als das Göttliche Recht, welches wir theils aus GOt- tes heiligen und geoffenbahrten Worte, theils auch aus der gesunden Vernunfft erkennen, und insgemein das Recht der Natur genennt wird, und das Land-Recht, welches ein iedweder Re- gente seinen Unterthanen vorschreibet, was sie thun oder lassen sollen. Es ist das natürliche Recht und die gesunde Vernunfft billig vor das Fundament des Juris provincialis zu halten, und wenn ein Landes-Fürst etwas ohne Raison anbefiehlet, so ist es mehr eine Caprice und Phantasie, denn ein vernünfftig Gesetze, ob es gleich die Unterthanen, aus Furcht, gestrafft zu werden, wenn sie nicht Parition leisten, davor respectiren müssen. Wo das natürliche Recht aufhöret, fängt das Jus provinciale an. z. E. Die gesunde Vernunfft saget: Ein Mis- sethäter, der ein solch Verbrechen begehet, wo- durch dem Nächsten an seiner Glückseeligkeit Schaden zugefüget wird, verdienet eine Straf-
fe,
P p 2
Decadence kommen werde, ſo daß nach dem Verlauf eines halben oder gantzen Seculi Si- gnor Tribonianus in Teutſchland wenig oder gar keine Autoritaͤt mehr haben wird, Fiat!
§. 21. Jch concipire mir, wie in andern Laͤndern, alſo auch in unſerm Teutſchland, nicht mehr denn zweyerley Geſetze, die die Handlun- gen der Unterthanen dirigiren ſollen, als das Goͤttliche Recht, welches wir theils aus GOt- tes heiligen und geoffenbahrten Worte, theils auch aus der geſunden Vernunfft erkennen, und insgemein das Recht der Natur genennt wird, und das Land-Recht, welches ein iedweder Re- gente ſeinen Unterthanen vorſchreibet, was ſie thun oder laſſen ſollen. Es iſt das natuͤrliche Recht und die geſunde Vernunfft billig vor das Fundament des Juris provincialis zu halten, und wenn ein Landes-Fuͤrſt etwas ohne Raiſon anbefiehlet, ſo iſt es mehr eine Caprice und Phantaſie, denn ein vernuͤnfftig Geſetze, ob es gleich die Unterthanen, aus Furcht, geſtrafft zu werden, wenn ſie nicht Parition leiſten, davor reſpectiren muͤſſen. Wo das natuͤrliche Recht aufhoͤret, faͤngt das Jus provinciale an. z. E. Die geſunde Vernunfft ſaget: Ein Miſ- ſethaͤter, der ein ſolch Verbrechen begehet, wo- durch dem Naͤchſten an ſeiner Gluͤckſeeligkeit Schaden zugefuͤget wird, verdienet eine Straf-
fe,
P p 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0615"n="595"/><fwplace="top"type="header"><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></fw><hirendition="#aq">Decadence</hi> kommen werde, ſo daß nach dem<lb/>
Verlauf eines halben oder gantzen <hirendition="#aq">Seculi Si-<lb/>
gnor Tribonianus</hi> in Teutſchland wenig oder<lb/>
gar keine <hirendition="#aq">Autori</hi>taͤt mehr haben wird, <hirendition="#aq">Fiat!</hi></p><lb/><p>§. 21. Jch <hirendition="#aq">concipi</hi>re mir, wie in andern<lb/>
Laͤndern, alſo auch in unſerm Teutſchland, nicht<lb/>
mehr denn zweyerley Geſetze, die die Handlun-<lb/>
gen der Unterthanen <hirendition="#aq">dirigi</hi>ren ſollen, als das<lb/>
Goͤttliche Recht, welches wir theils aus GOt-<lb/>
tes heiligen und geoffenbahrten Worte, theils<lb/>
auch aus der geſunden Vernunfft erkennen, und<lb/>
insgemein das Recht der Natur genennt wird,<lb/>
und das Land-Recht, welches ein iedweder Re-<lb/>
gente ſeinen Unterthanen vorſchreibet, was ſie<lb/>
thun oder laſſen ſollen. Es iſt das natuͤrliche<lb/>
Recht und die geſunde Vernunfft billig vor das<lb/>
Fundament des <hirendition="#aq">Juris provincialis</hi> zu halten,<lb/>
und wenn ein Landes-Fuͤrſt etwas ohne <hirendition="#aq">Raiſon</hi><lb/>
anbefiehlet, ſo iſt es mehr eine <hirendition="#aq">Caprice</hi> und<lb/><hirendition="#aq">Phantaſie,</hi> denn ein vernuͤnfftig Geſetze, ob es<lb/>
gleich die Unterthanen, aus Furcht, geſtrafft zu<lb/>
werden, wenn ſie nicht <hirendition="#aq">Parition</hi> leiſten, davor<lb/><hirendition="#aq">reſpecti</hi>ren muͤſſen. Wo das natuͤrliche<lb/>
Recht aufhoͤret, faͤngt das <hirendition="#aq">Jus provinciale</hi> an.<lb/>
z. E. Die geſunde Vernunfft ſaget: Ein Miſ-<lb/>ſethaͤter, der ein ſolch Verbrechen begehet, wo-<lb/>
durch dem Naͤchſten an ſeiner Gluͤckſeeligkeit<lb/>
Schaden zugefuͤget wird, verdienet eine Straf-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P p 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">fe,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[595/0615]
Decadence kommen werde, ſo daß nach dem
Verlauf eines halben oder gantzen Seculi Si-
gnor Tribonianus in Teutſchland wenig oder
gar keine Autoritaͤt mehr haben wird, Fiat!
§. 21. Jch concipire mir, wie in andern
Laͤndern, alſo auch in unſerm Teutſchland, nicht
mehr denn zweyerley Geſetze, die die Handlun-
gen der Unterthanen dirigiren ſollen, als das
Goͤttliche Recht, welches wir theils aus GOt-
tes heiligen und geoffenbahrten Worte, theils
auch aus der geſunden Vernunfft erkennen, und
insgemein das Recht der Natur genennt wird,
und das Land-Recht, welches ein iedweder Re-
gente ſeinen Unterthanen vorſchreibet, was ſie
thun oder laſſen ſollen. Es iſt das natuͤrliche
Recht und die geſunde Vernunfft billig vor das
Fundament des Juris provincialis zu halten,
und wenn ein Landes-Fuͤrſt etwas ohne Raiſon
anbefiehlet, ſo iſt es mehr eine Caprice und
Phantaſie, denn ein vernuͤnfftig Geſetze, ob es
gleich die Unterthanen, aus Furcht, geſtrafft zu
werden, wenn ſie nicht Parition leiſten, davor
reſpectiren muͤſſen. Wo das natuͤrliche
Recht aufhoͤret, faͤngt das Jus provinciale an.
z. E. Die geſunde Vernunfft ſaget: Ein Miſ-
ſethaͤter, der ein ſolch Verbrechen begehet, wo-
durch dem Naͤchſten an ſeiner Gluͤckſeeligkeit
Schaden zugefuͤget wird, verdienet eine Straf-
fe,
P p 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/615>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.