§. 8. Die Klugheit der Landes-Fürsten, oder die Staats-Klugheit, ist eine Geschicklig- keit des Verstandes, vermöge welcher Regen- ten fähig sind, nicht allein ihre eigene, sondern auch ihrer sämmtlichen Unterthanen wahre Glückseeligkeit zu befördern. Es ist dieselbi- ge viel weitläufftiger und schwerer, als die Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta, mit welchen sie umgehet. Die Fauten, die bey der Staats-Klugheit vorgehen, sind viel eclatanter und wichtiger, als die Versehen der Privat-Klugheit. Denn bey dieser leidet nur eine eintzige Person, bey jener aber wohl bißweilen etliche tausend Menschen, werden auch eher public und von andern observiret, denn jene. Sie wird auch sonst raison d'Etat genennt, und ist wiederum eine wahre oder fal- sche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht glücklich seyn, wenn er nicht auch zugleich auf die Glückseeligkeit und das Wohl seiner Unter- thanen sein Absehen mit richtet. Die falsche aber: Ein Regente muß seinen Passionen Sa- tisfaction leisten, es mag alles drunter oder drüber gehen, sein Land darüber ruiniret wer- den, oder nicht, wenn er nur seinen Zweck er- hält, und seinen Willen hat.
§. 9. Ferner läst sich auch die Staats-
Klug-
§. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten, oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig- keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen- ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi- ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta, mit welchen ſie umgehet. Die Fauten, die bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel eclatanter und wichtiger, als die Verſehen der Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden auch eher public und von andern obſerviret, denn jene. Sie wird auch ſonſt raiſon d’Etat genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal- ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter- thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche aber: Ein Regente muß ſeinen Paſſionen Sa- tisfaction leiſten, es mag alles drunter oder druͤber gehen, ſein Land daruͤber ruiniret wer- den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er- haͤlt, und ſeinen Willen hat.
§. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats-
Klug-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0031"n="11"/><fwplace="top"type="header"><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></fw><p>§. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten,<lb/>
oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig-<lb/>
keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen-<lb/>
ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern<lb/>
auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre<lb/>
Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi-<lb/>
ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die<lb/>
Privat-Klugheit, und hat vielmehr <hirendition="#aq">Objecta,</hi><lb/>
mit welchen ſie umgehet. Die <hirendition="#aq">Faut</hi>en, die<lb/>
bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel<lb/><hirendition="#aq">eclatant</hi>er und wichtiger, als die Verſehen der<lb/>
Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet<lb/>
nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl<lb/>
bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden<lb/>
auch eher <hirendition="#aq">public</hi> und von andern <hirendition="#aq">obſervi</hi>ret,<lb/>
denn jene. Sie wird auch ſonſt <hirendition="#aq">raiſon d’Etat</hi><lb/>
genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal-<lb/>ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu<lb/>
ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht<lb/>
gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf<lb/>
die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter-<lb/>
thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche<lb/>
aber: Ein Regente muß ſeinen <hirendition="#aq">Paſſion</hi>en <hirendition="#aq">Sa-<lb/>
tisfaction</hi> leiſten, es mag alles drunter oder<lb/>
druͤber gehen, ſein Land daruͤber <hirendition="#aq">ruini</hi>ret wer-<lb/>
den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er-<lb/>
haͤlt, und ſeinen Willen hat.</p><lb/><p>§. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Klug-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[11/0031]
§. 8. Die Klugheit der Landes-Fuͤrſten,
oder die Staats-Klugheit, iſt eine Geſchicklig-
keit des Verſtandes, vermoͤge welcher Regen-
ten faͤhig ſind, nicht allein ihre eigene, ſondern
auch ihrer ſaͤmmtlichen Unterthanen wahre
Gluͤckſeeligkeit zu befoͤrdern. Es iſt dieſelbi-
ge viel weitlaͤufftiger und ſchwerer, als die
Privat-Klugheit, und hat vielmehr Objecta,
mit welchen ſie umgehet. Die Fauten, die
bey der Staats-Klugheit vorgehen, ſind viel
eclatanter und wichtiger, als die Verſehen der
Privat-Klugheit. Denn bey dieſer leidet
nur eine eintzige Perſon, bey jener aber wohl
bißweilen etliche tauſend Menſchen, werden
auch eher public und von andern obſerviret,
denn jene. Sie wird auch ſonſt raiſon d’Etat
genennt, und iſt wiederum eine wahre oder fal-
ſche Staats-Klugheit. Die wahre hat zu
ihrem Grunde: Es kan ein Lands-Herr nicht
gluͤcklich ſeyn, wenn er nicht auch zugleich auf
die Gluͤckſeeligkeit und das Wohl ſeiner Unter-
thanen ſein Abſehen mit richtet. Die falſche
aber: Ein Regente muß ſeinen Paſſionen Sa-
tisfaction leiſten, es mag alles drunter oder
druͤber gehen, ſein Land daruͤber ruiniret wer-
den, oder nicht, wenn er nur ſeinen Zweck er-
haͤlt, und ſeinen Willen hat.
§. 9. Ferner laͤſt ſich auch die Staats-
Klug-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/31>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.