so tugend hafften, ehrlichen und rechtschaffenen Gemüthern sind, daß sie auch nicht einmahl wider das natürliche Recht und Erbarkeit handeln, wenn sie gleich wissen, daß es ihnen ungestrafft hingehen solte, so sind doch dieses die allerwenigsten, und wenn die meisten solche ingenia hätten, so brauchte man freylich keine Regenten und keine Gesetze, sondern ein jedweder thäte was ihm zukäme, und beförder- te seines Nächsten Glückseeligkeit auf das aller- beste. Aber wie eine grosse Anzahl ist doch derer, die um Gewinnes willen sich nicht ent- blöden, ihren Nächsten um Haab und Gut, Leib und Leben zubringen, und die allerdings zu fürchten sind. Nicht mißtrauisch gegen sol- che zu seyn, wäre sich ihrer Boßheit und Gott- losigkeit freywillig zu unterwerffen.
§. 6. Ob auch gleich ferner das natürliche Recht an die Hand giebt, daß die entstandenen Zwistigkeiten entweder gütlich beygeleget oder gewisse Schieds-Leute zur Decision übergeben werden sollen, so ist dennoch auch hierdurch die Ruhe und Sicherheit eines ieden nicht satt- sam prospicirt. Denn so leicht es dem Men- schen ist, wider die andern Gesetze der Natur zu pecciren, so leicht ist es ihm auch die Schieds- Leute vorbey zu lassen und sich alsobald zum Waffen zu wenden. Und da die Partheyen
durch
ſo tugend hafften, ehrlichen und rechtſchaffenen Gemuͤthern ſind, daß ſie auch nicht einmahl wider das natuͤrliche Recht und Erbarkeit handeln, wenn ſie gleich wiſſen, daß es ihnen ungeſtrafft hingehen ſolte, ſo ſind doch dieſes die allerwenigſten, und wenn die meiſten ſolche ingenia haͤtten, ſo brauchte man freylich keine Regenten und keine Geſetze, ſondern ein jedweder thaͤte was ihm zukaͤme, und befoͤrder- te ſeines Naͤchſten Gluͤckſeeligkeit auf das aller- beſte. Aber wie eine groſſe Anzahl iſt doch derer, die um Gewinnes willen ſich nicht ent- bloͤden, ihren Naͤchſten um Haab und Gut, Leib und Leben zubringen, und die allerdings zu fuͤrchten ſind. Nicht mißtrauiſch gegen ſol- che zu ſeyn, waͤre ſich ihrer Boßheit und Gott- loſigkeit freywillig zu unterwerffen.
§. 6. Ob auch gleich ferner das natuͤrliche Recht an die Hand giebt, daß die entſtandenen Zwiſtigkeiten entweder guͤtlich beygeleget oder gewiſſe Schieds-Leute zur Deciſion uͤbergeben werden ſollen, ſo iſt dennoch auch hierdurch die Ruhe und Sicherheit eines ieden nicht ſatt- ſam proſpicirt. Denn ſo leicht es dem Men- ſchen iſt, wider die andern Geſetze der Natur zu pecciren, ſo leicht iſt es ihm auch die Schieds- Leute vorbey zu laſſen und ſich alſobald zum Waffen zu wenden. Und da die Partheyen
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ſo tugend hafften, ehrlichen und rechtſchaffenen
Gemuͤthern ſind, daß ſie auch nicht einmahl
wider das natuͤrliche Recht und Erbarkeit
handeln, wenn ſie gleich wiſſen, daß es ihnen
ungeſtrafft hingehen ſolte, ſo ſind doch dieſes
die allerwenigſten, und wenn die meiſten ſolche
ingenia haͤtten, ſo brauchte man freylich keine
Regenten und keine Geſetze, ſondern ein
jedweder thaͤte was ihm zukaͤme, und befoͤrder-
te ſeines Naͤchſten Gluͤckſeeligkeit auf das aller-
beſte. Aber wie eine groſſe Anzahl iſt doch
derer, die um Gewinnes willen ſich nicht ent-
bloͤden, ihren Naͤchſten um Haab und Gut,
Leib und Leben zubringen, und die allerdings zu
fuͤrchten ſind. Nicht mißtrauiſch gegen ſol-
che zu ſeyn, waͤre ſich ihrer Boßheit und Gott-
loſigkeit freywillig zu unterwerffen.
§. 6. Ob auch gleich ferner das natuͤrliche
Recht an die Hand giebt, daß die entſtandenen
Zwiſtigkeiten entweder guͤtlich beygeleget oder
gewiſſe Schieds-Leute zur Deciſion uͤbergeben
werden ſollen, ſo iſt dennoch auch hierdurch
die Ruhe und Sicherheit eines ieden nicht ſatt-
ſam proſpicirt. Denn ſo leicht es dem Men-
ſchen iſt, wider die andern Geſetze der Natur
zu pecciren, ſo leicht iſt es ihm auch die Schieds-
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Waffen zu wenden. Und da die Partheyen
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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