dern Lande würde man sie vor schimpflich und ein- fältig achten, und darüber lachen; so verändern sie sich auch gewaltig nach den unterschiedenen Senti- mens der grossen Herren, oder ihrer Staats-Mini- stres und ihrer Favoriten. Mancher grosse Herr, der den Staat und die Magnificenze liebet, und der ambition sehr ergeben, ist überaus pointilleus in diesem Stück; er will, daß Einheimische und Auswärtige nach der grösten und schärffsten accu- ratesse das Ceremoniel gegen ihn beobachten sol- len, zumahl wenn er dabey von sehr hitzigen Natu- rell ist, und will denen andern, die ihm gewisse Eh- ren-Bezeugungen abfordern, nicht einen Nagel breit nachgeben. Es kommt aber nach ihm etwan ein anderer Nachfolger des Reichs, der die Wol- lust oder das Interesse den Ceremonien vorzieht: dieser räumet den andern bey den Gelegenheiten, da sie seine Passion contentiren, zu gantzen Händen voll ein; da hingegen sein Antecessor nicht einen Finger breit nachgeben wollen. Sind einige gros- se Herren so unglücklich, daß sie sich von ihren Mi- nistris beherrschen lassen, so werden die Ceremo- nien nach dem Maaß der Liebe, womit sie dem an- dern zugethan, oder des Nutzens, den solche Mini- stres davon tragen, zu der Zeit, so lange sie das Steuer-Ruder in Händen führen, ausgetheilt.
§. 12. Das Interesse giebt bey dem Ceremo- nien-Wesen, so wohl unter Privat-Personen als auch grossen Herren, ein trefflich Gewichte. Wenn man die Leute braucht, so giebet man ihnen zu der
Zeit
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Von dem Staats-Ceremoniel uͤberhaupt.
dern Lande wuͤrde man ſie vor ſchimpflich und ein- faͤltig achten, und daruͤber lachen; ſo veraͤndern ſie ſich auch gewaltig nach den unterſchiedenen Senti- mens der groſſen Herren, oder ihrer Staats-Mini- ſtres und ihrer Favoriten. Mancher groſſe Herr, der den Staat und die Magnificenze liebet, und der ambition ſehr ergeben, iſt uͤberaus pointilleus in dieſem Stuͤck; er will, daß Einheimiſche und Auswaͤrtige nach der groͤſten und ſchaͤrffſten accu- rateſſe das Ceremoniel gegen ihn beobachten ſol- len, zumahl wenn er dabey von ſehr hitzigen Natu- rell iſt, und will denen andern, die ihm gewiſſe Eh- ren-Bezeugungen abfordern, nicht einen Nagel breit nachgeben. Es kommt aber nach ihm etwan ein anderer Nachfolger des Reichs, der die Wol- luſt oder das Intereſſe den Ceremonien vorzieht: dieſer raͤumet den andern bey den Gelegenheiten, da ſie ſeine Paſſion contentiren, zu gantzen Haͤnden voll ein; da hingegen ſein Anteceſſor nicht einen Finger breit nachgeben wollen. Sind einige groſ- ſe Herren ſo ungluͤcklich, daß ſie ſich von ihren Mi- niſtris beherrſchen laſſen, ſo werden die Ceremo- nien nach dem Maaß der Liebe, womit ſie dem an- dern zugethan, oder des Nutzens, den ſolche Mini- ſtres davon tragen, zu der Zeit, ſo lange ſie das Steuer-Ruder in Haͤnden fuͤhren, ausgetheilt.
§. 12. Das Intereſſe giebt bey dem Ceremo- nien-Weſen, ſo wohl unter Privat-Perſonen als auch groſſen Herren, ein trefflich Gewichte. Wenn man die Leute braucht, ſo giebet man ihnen zu der
Zeit
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Von dem Staats-Ceremoniel uͤberhaupt.
dern Lande wuͤrde man ſie vor ſchimpflich und ein-
faͤltig achten, und daruͤber lachen; ſo veraͤndern ſie
ſich auch gewaltig nach den unterſchiedenen Senti-
mens der groſſen Herren, oder ihrer Staats-Mini-
ſtres und ihrer Favoriten. Mancher groſſe Herr,
der den Staat und die Magnificenze liebet, und
der ambition ſehr ergeben, iſt uͤberaus pointilleus
in dieſem Stuͤck; er will, daß Einheimiſche und
Auswaͤrtige nach der groͤſten und ſchaͤrffſten accu-
rateſſe das Ceremoniel gegen ihn beobachten ſol-
len, zumahl wenn er dabey von ſehr hitzigen Natu-
rell iſt, und will denen andern, die ihm gewiſſe Eh-
ren-Bezeugungen abfordern, nicht einen Nagel
breit nachgeben. Es kommt aber nach ihm etwan
ein anderer Nachfolger des Reichs, der die Wol-
luſt oder das Intereſſe den Ceremonien vorzieht:
dieſer raͤumet den andern bey den Gelegenheiten,
da ſie ſeine Paſſion contentiren, zu gantzen Haͤnden
voll ein; da hingegen ſein Anteceſſor nicht einen
Finger breit nachgeben wollen. Sind einige groſ-
ſe Herren ſo ungluͤcklich, daß ſie ſich von ihren Mi-
niſtris beherrſchen laſſen, ſo werden die Ceremo-
nien nach dem Maaß der Liebe, womit ſie dem an-
dern zugethan, oder des Nutzens, den ſolche Mini-
ſtres davon tragen, zu der Zeit, ſo lange ſie das
Steuer-Ruder in Haͤnden fuͤhren, ausgetheilt.
§. 12. Das Intereſſe giebt bey dem Ceremo-
nien-Weſen, ſo wohl unter Privat-Perſonen als
auch groſſen Herren, ein trefflich Gewichte. Wenn
man die Leute braucht, ſo giebet man ihnen zu der
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1729/31>, abgerufen am 26.11.2024.
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