§. 55. Es ist besser, sich össters zur Beförderung der Gläser erinnern zu lassen, nur etwas weniges daraus zu trincken, oder sie auch wohl gantz und gar stehen zu lassen, als bey einem grossen Rausch sich in Gefahr setzen, an seiner Gesundheit, oder doch an seiner Reputation Schaden zu leiden. Wo die Regeln des Wohlstandes mit den übrigen Pflich- ten streiten, muß das Ceremoniel nachgeben. Bey jenem Fall büßt man nichts weiter ein, als daß man sich bey denen, die vom starcken Zutrincken Liebha- haber sind, nicht recommandirt, und sie uns in Zu- kunfft nicht gerne mehr in ihre Trunck- oder viel- mehr Sauff-Gesellschafften ziehen werden; doch dieses wird vor einem tugendhafften Menschen ein gar schlechtes Unglück seyn. Bey diesem aber kan man, nach dem unordentlichen Wesen, das aus dem Sauffen zu entspringen pflegt, gar viel ver- lieren.
§. 56. Auf was vor Art sich ein Christ bey der- gleichen Fällen zu bezeugen habe, hat der Christliche Sitten-Lehrer, Ernst Ludwig von Faramond in seiner Klugheit der wahren und Narrheit der fal- schen Christen wohl ausgeführt, wenn er auf folgen- de Weise, die Welt und einen Christen redend ein- führt: Die Welt sagt, man würde, wenn man an- dern ehrlichen Leuten den Trunck versagen, und nicht auf alle zugebrachte Gesundheiten Bescheid thun wolte, von jederman verachtet, verhaßet, und wohl gar mit Schlägen tractiret werden. Denn es ist nach der eingeführten Gewohnheit, ein gros-
ser
II. Theil. IX. Capitul.
§. 55. Es iſt beſſer, ſich oͤſſters zur Befoͤrderung der Glaͤſer erinnern zu laſſen, nur etwas weniges daraus zu trincken, oder ſie auch wohl gantz und gar ſtehen zu laſſen, als bey einem groſſen Rauſch ſich in Gefahr ſetzen, an ſeiner Geſundheit, oder doch an ſeiner Reputation Schaden zu leiden. Wo die Regeln des Wohlſtandes mit den uͤbrigen Pflich- ten ſtreiten, muß das Ceremoniel nachgeben. Bey jenem Fall buͤßt man nichts weiter ein, als daß man ſich bey denen, die vom ſtarcken Zutrincken Liebha- haber ſind, nicht recommandirt, und ſie uns in Zu- kunfft nicht gerne mehr in ihre Trunck- oder viel- mehr Sauff-Geſellſchafften ziehen werden; doch dieſes wird vor einem tugendhafften Menſchen ein gar ſchlechtes Ungluͤck ſeyn. Bey dieſem aber kan man, nach dem unordentlichen Weſen, das aus dem Sauffen zu entſpringen pflegt, gar viel ver- lieren.
§. 56. Auf was vor Art ſich ein Chriſt bey der- gleichen Faͤllen zu bezeugen habe, hat der Chriſtliche Sitten-Lehrer, Ernſt Ludwig von Faramond in ſeiner Klugheit der wahren und Narrheit der fal- ſchen Chriſten wohl ausgefuͤhrt, wenn er auf folgen- de Weiſe, die Welt und einen Chriſten redend ein- fuͤhrt: Die Welt ſagt, man wuͤrde, wenn man an- dern ehrlichen Leuten den Trunck verſagen, und nicht auf alle zugebrachte Geſundheiten Beſcheid thun wolte, von jederman verachtet, verhaßet, und wohl gar mit Schlaͤgen tractiret werden. Denn es iſt nach der eingefuͤhrten Gewohnheit, ein groſ-
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II. Theil. IX. Capitul.
§. 55. Es iſt beſſer, ſich oͤſſters zur Befoͤrderung
der Glaͤſer erinnern zu laſſen, nur etwas weniges
daraus zu trincken, oder ſie auch wohl gantz und gar
ſtehen zu laſſen, als bey einem groſſen Rauſch ſich in
Gefahr ſetzen, an ſeiner Geſundheit, oder doch an
ſeiner Reputation Schaden zu leiden. Wo die
Regeln des Wohlſtandes mit den uͤbrigen Pflich-
ten ſtreiten, muß das Ceremoniel nachgeben. Bey
jenem Fall buͤßt man nichts weiter ein, als daß man
ſich bey denen, die vom ſtarcken Zutrincken Liebha-
haber ſind, nicht recommandirt, und ſie uns in Zu-
kunfft nicht gerne mehr in ihre Trunck- oder viel-
mehr Sauff-Geſellſchafften ziehen werden; doch
dieſes wird vor einem tugendhafften Menſchen ein
gar ſchlechtes Ungluͤck ſeyn. Bey dieſem aber kan
man, nach dem unordentlichen Weſen, das aus
dem Sauffen zu entſpringen pflegt, gar viel ver-
lieren.
§. 56. Auf was vor Art ſich ein Chriſt bey der-
gleichen Faͤllen zu bezeugen habe, hat der Chriſtliche
Sitten-Lehrer, Ernſt Ludwig von Faramond in
ſeiner Klugheit der wahren und Narrheit der fal-
ſchen Chriſten wohl ausgefuͤhrt, wenn er auf folgen-
de Weiſe, die Welt und einen Chriſten redend ein-
fuͤhrt: Die Welt ſagt, man wuͤrde, wenn man an-
dern ehrlichen Leuten den Trunck verſagen, und
nicht auf alle zugebrachte Geſundheiten Beſcheid
thun wolte, von jederman verachtet, verhaßet, und
wohl gar mit Schlaͤgen tractiret werden. Denn
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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