§. 43. So höflich und wohlanständig es nun einem Wirth ist, wann er fleißig Sorge hat, daß seine Gäste nach Gebühr mit Speise und Tranck versorget werden mögen, so seltzam läst es, wenn er sie auf eine übermäßige Weise zum Essen nöthiget, ihren Appetit durch das viele nöthigen, gleichsam zwingen, und sie obwohl mit den grösten Com- plimens, zur Unmäßigkeit in Speisen verleiten will; mit dem nöthigen zum Essen hat es eine glei- che Bewandniß, als wie mit dem nöthigen zum Trincken.
§. 44. Nachdem ich in dem vorigen eine und die andere Regel denjenigen, so sich als Wirthe bey ei- ner Gasterey aufführen, vorgeschrieben, so will ich in den folgenden auch noch eine und die andere Lection, deren so als Gäste darzu eingeladen, mit- theilen. Vorerst rathe ich jungen Leuten, daß sie sich bey einer Gasterey des Essens im geringsten nicht schämen, denn daß Sprüchwort bleibet wohl allerdings wahr, daß man nicht Ursach habe, sich des Essens, (verstehe des mäßigen und erbaren,) des Arbeitens und Betens zu schämen. Einige, die in der großen Welt noch nicht sehr bekandt geworden, theils von dem männlichen, theils und insonderheit aber von dem weiblichen Geschlecht, vermeynen, es sey ein besonderer Wohlstand, und gehöre noth- wendig zur Klugheit zu leben, wenn sie bey einer Gasterey wenig speiseten, und fast halb hungrig wieder vom Tisch aufstünden. Sie erwerben aber durch ihr Züchten im geringsten keinen Ruhm.
§. 45.
II. Theil. IX. Capitul.
§. 43. So hoͤflich und wohlanſtaͤndig es nun einem Wirth iſt, wann er fleißig Sorge hat, daß ſeine Gaͤſte nach Gebuͤhr mit Speiſe und Tranck verſorget werden moͤgen, ſo ſeltzam laͤſt es, wenn er ſie auf eine uͤbermaͤßige Weiſe zum Eſſen noͤthiget, ihren Appetit durch das viele noͤthigen, gleichſam zwingen, und ſie obwohl mit den groͤſten Com- plimens, zur Unmaͤßigkeit in Speiſen verleiten will; mit dem noͤthigen zum Eſſen hat es eine glei- che Bewandniß, als wie mit dem noͤthigen zum Trincken.
§. 44. Nachdem ich in dem vorigen eine und die andere Regel denjenigen, ſo ſich als Wirthe bey ei- ner Gaſterey auffuͤhren, vorgeſchrieben, ſo will ich in den folgenden auch noch eine und die andere Lection, deren ſo als Gaͤſte darzu eingeladen, mit- theilen. Vorerſt rathe ich jungen Leuten, daß ſie ſich bey einer Gaſterey des Eſſens im geringſten nicht ſchaͤmen, denn daß Spruͤchwort bleibet wohl allerdings wahr, daß man nicht Urſach habe, ſich des Eſſens, (verſtehe des maͤßigen und erbaren,) des Arbeitens und Betens zu ſchaͤmen. Einige, die in der großen Welt noch nicht ſehr bekandt geworden, theils von dem maͤnnlichen, theils und inſonderheit aber von dem weiblichen Geſchlecht, vermeynen, es ſey ein beſonderer Wohlſtand, und gehoͤre noth- wendig zur Klugheit zu leben, wenn ſie bey einer Gaſterey wenig ſpeiſeten, und faſt halb hungrig wieder vom Tiſch aufſtuͤnden. Sie erwerben aber durch ihr Zuͤchten im geringſten keinen Ruhm.
§. 45.
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II. Theil. IX. Capitul.
§. 43. So hoͤflich und wohlanſtaͤndig es nun
einem Wirth iſt, wann er fleißig Sorge hat, daß
ſeine Gaͤſte nach Gebuͤhr mit Speiſe und Tranck
verſorget werden moͤgen, ſo ſeltzam laͤſt es, wenn er
ſie auf eine uͤbermaͤßige Weiſe zum Eſſen noͤthiget,
ihren Appetit durch das viele noͤthigen, gleichſam
zwingen, und ſie obwohl mit den groͤſten Com-
plimens, zur Unmaͤßigkeit in Speiſen verleiten
will; mit dem noͤthigen zum Eſſen hat es eine glei-
che Bewandniß, als wie mit dem noͤthigen zum
Trincken.
§. 44. Nachdem ich in dem vorigen eine und die
andere Regel denjenigen, ſo ſich als Wirthe bey ei-
ner Gaſterey auffuͤhren, vorgeſchrieben, ſo will ich
in den folgenden auch noch eine und die andere
Lection, deren ſo als Gaͤſte darzu eingeladen, mit-
theilen. Vorerſt rathe ich jungen Leuten, daß ſie
ſich bey einer Gaſterey des Eſſens im geringſten
nicht ſchaͤmen, denn daß Spruͤchwort bleibet wohl
allerdings wahr, daß man nicht Urſach habe, ſich
des Eſſens, (verſtehe des maͤßigen und erbaren,) des
Arbeitens und Betens zu ſchaͤmen. Einige, die in
der großen Welt noch nicht ſehr bekandt geworden,
theils von dem maͤnnlichen, theils und inſonderheit
aber von dem weiblichen Geſchlecht, vermeynen, es
ſey ein beſonderer Wohlſtand, und gehoͤre noth-
wendig zur Klugheit zu leben, wenn ſie bey einer
Gaſterey wenig ſpeiſeten, und faſt halb hungrig
wieder vom Tiſch aufſtuͤnden. Sie erwerben
aber durch ihr Zuͤchten im geringſten keinen Ruhm.
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/474>, abgerufen am 25.11.2024.
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