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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. VIII. Capitul.
ruhe und thörichtes Wesen sie damit vereinigen.
Sie sitzen fünff, sechs Stunden, bißweilen auch noch
länger auf einem Flecke, mit der größten Beschwer-
lichkeit, und wenden alle ihre Gemüths-Kräffte und
all ihr Nachsinnen an, damit durch die Vermi-
schung und Veränderung einiger gemahlten Pa-
piere, oder anderer hierzu ausgedachter Werckzeu-
ge, entschieden werde, ob eine gewisse Summe Gel-
des, die sie im Beutel haben, ihr eigen verbleiben,
oder einem andern zu theil werden soll. Sie be-
unruhigen sich mit ihren Gedancken, wie sie ihr
Geld behalten, und des andern seines an sich ziehen.
Sie erreichen ihren Endzweck fast niemahls, sie
mögen verlieren oder gewinnen. Verlieren sie, so
sind sie in etwas unglücklicher, als sie vorhin waren.
Gewinnen sie, so sind sie darum nicht glückseliger,
denn sie müssen ihrem Gegner wieder Revenge ge-
ben, und stehen also stets in Gefahr, daß sie ihm
dasjenige, so sie ihm heute abgewonnen, morgen
wieder geben müssen, und noch dazu mit einem Zu-
satz ihres eigenen Geldes, so sie jetzo haben. Des
andern Unheyls, so vor Seele und Leib, vor Guth
und Ehre aus dem Spielen sehr öffters zu entsprin-
gen pflegt, zu geschweigen.

§. 2. Nachdem nun nicht selten mancherley un-
vernünfftiges und schändliches Wesen sich mit dem
Spielen vereiniget, so stehen auch viele Moralisten
in den Gedancken, das Spielen wäre keine Sache,
die einem klugen Menschen anständig. Der Au-
tor
der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in sei-

nem

II. Theil. VIII. Capitul.
ruhe und thoͤrichtes Weſen ſie damit vereinigen.
Sie ſitzen fuͤnff, ſechs Stunden, bißweilen auch noch
laͤnger auf einem Flecke, mit der groͤßten Beſchwer-
lichkeit, und wenden alle ihre Gemuͤths-Kraͤffte und
all ihr Nachſinnen an, damit durch die Vermi-
ſchung und Veraͤnderung einiger gemahlten Pa-
piere, oder anderer hierzu ausgedachter Werckzeu-
ge, entſchieden werde, ob eine gewiſſe Summe Gel-
des, die ſie im Beutel haben, ihr eigen verbleiben,
oder einem andern zu theil werden ſoll. Sie be-
unruhigen ſich mit ihren Gedancken, wie ſie ihr
Geld behalten, und des andern ſeines an ſich ziehen.
Sie erreichen ihren Endzweck faſt niemahls, ſie
moͤgen verlieren oder gewinnen. Verlieren ſie, ſo
ſind ſie in etwas ungluͤcklicher, als ſie vorhin waren.
Gewinnen ſie, ſo ſind ſie darum nicht gluͤckſeliger,
denn ſie muͤſſen ihrem Gegner wieder Revenge ge-
ben, und ſtehen alſo ſtets in Gefahr, daß ſie ihm
dasjenige, ſo ſie ihm heute abgewonnen, morgen
wieder geben muͤſſen, und noch dazu mit einem Zu-
ſatz ihres eigenen Geldes, ſo ſie jetzo haben. Des
andern Unheyls, ſo vor Seele und Leib, vor Guth
und Ehre aus dem Spielen ſehr oͤffters zu entſprin-
gen pflegt, zu geſchweigen.

§. 2. Nachdem nun nicht ſelten mancherley un-
vernuͤnfftiges und ſchaͤndliches Weſen ſich mit dem
Spielen vereiniget, ſo ſtehen auch viele Moraliſten
in den Gedancken, das Spielen waͤre keine Sache,
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tor
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[404/0424] II. Theil. VIII. Capitul. ruhe und thoͤrichtes Weſen ſie damit vereinigen. Sie ſitzen fuͤnff, ſechs Stunden, bißweilen auch noch laͤnger auf einem Flecke, mit der groͤßten Beſchwer- lichkeit, und wenden alle ihre Gemuͤths-Kraͤffte und all ihr Nachſinnen an, damit durch die Vermi- ſchung und Veraͤnderung einiger gemahlten Pa- piere, oder anderer hierzu ausgedachter Werckzeu- ge, entſchieden werde, ob eine gewiſſe Summe Gel- des, die ſie im Beutel haben, ihr eigen verbleiben, oder einem andern zu theil werden ſoll. Sie be- unruhigen ſich mit ihren Gedancken, wie ſie ihr Geld behalten, und des andern ſeines an ſich ziehen. Sie erreichen ihren Endzweck faſt niemahls, ſie moͤgen verlieren oder gewinnen. Verlieren ſie, ſo ſind ſie in etwas ungluͤcklicher, als ſie vorhin waren. Gewinnen ſie, ſo ſind ſie darum nicht gluͤckſeliger, denn ſie muͤſſen ihrem Gegner wieder Revenge ge- ben, und ſtehen alſo ſtets in Gefahr, daß ſie ihm dasjenige, ſo ſie ihm heute abgewonnen, morgen wieder geben muͤſſen, und noch dazu mit einem Zu- ſatz ihres eigenen Geldes, ſo ſie jetzo haben. Des andern Unheyls, ſo vor Seele und Leib, vor Guth und Ehre aus dem Spielen ſehr oͤffters zu entſprin- gen pflegt, zu geſchweigen. §. 2. Nachdem nun nicht ſelten mancherley un- vernuͤnfftiges und ſchaͤndliches Weſen ſich mit dem Spielen vereiniget, ſo ſtehen auch viele Moraliſten in den Gedancken, das Spielen waͤre keine Sache, die einem klugen Menſchen anſtaͤndig. Der Au- tor der Pflicht und Schuldigkeit, welche man in ſei- nem

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/424>, abgerufen am 24.11.2024.