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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. VI. Capitul.
solchen jungen Menschen sehr spöttisch und ver-
drüßlich seyn; andre aber, die über die Thorheiten
und Eitelkeiten der Jugend heulen, werden mit
dieser Ceremonie gerne verschont bleiben. Zum
vierdten, muß er sich von demjenigen, was die gan-
tze Gesellschafft thut, nicht ausschliessen, und sich
aus einer Blödigkeit, übermäßigen Sittsamkeit
oder Keuschheit weder von den Höhern, noch von
andern seinen Nachbarn nicht nöthigen lassen, sin-
temahl ein solcher Kuß mit den Regeln der Tugend
sich gar wohl vereinigen läst, und nicht anders anzu-
sehen, als ein Ceremoniel. Ob wohl die Anzahl
derer, die sich zu dem Kuß eines Frauenzimmers
sehr nöthigen laßen, so gar groß nicht ist, so findet
man doch wohl bißweilen einige, die wegen eines
und andern Vorurtheils, so sie sich in den Kopff
gesetzt, hierinnen scrupuleuser sind, als sie wohl sol-
ten. Zum vierdten müssen sie den Kuß ihren Nach-
barinnen mit Sittsamkeit und Höfligkeit geben,
sie nicht auf den Mund, sondern auf den Backen
küssen, und hierbey erweisen, daß es ihnen nicht so
wohl um das Küssen zu thun sey, als daß sie vielmehr
den Wohlstand beobachten und bey einer unschul-
digen Sache sich dem andern gleichförmig bezeu-
gen wollen, und also ein schön und ein heßliches
Gesicht mit gleicher Höflichkeit tractiren.

§. 20. Jst die Gasterey oder eine andere Solen-
nit
ät und Lustbarkeit zu Ende gebracht, und die Ge-
sellschafft gehet nunmehr auseinander, so erfordert
der Wohlstand, daß man eine Dame, zumahl die-

jenige,

II. Theil. VI. Capitul.
ſolchen jungen Menſchen ſehr ſpoͤttiſch und ver-
druͤßlich ſeyn; andre aber, die uͤber die Thorheiten
und Eitelkeiten der Jugend heulen, werden mit
dieſer Ceremonie gerne verſchont bleiben. Zum
vierdten, muß er ſich von demjenigen, was die gan-
tze Geſellſchafft thut, nicht ausſchlieſſen, und ſich
aus einer Bloͤdigkeit, uͤbermaͤßigen Sittſamkeit
oder Keuſchheit weder von den Hoͤhern, noch von
andern ſeinen Nachbarn nicht noͤthigen laſſen, ſin-
temahl ein ſolcher Kuß mit den Regeln der Tugend
ſich gar wohl vereinigen laͤſt, und nicht anders anzu-
ſehen, als ein Ceremoniel. Ob wohl die Anzahl
derer, die ſich zu dem Kuß eines Frauenzimmers
ſehr noͤthigen laßen, ſo gar groß nicht iſt, ſo findet
man doch wohl bißweilen einige, die wegen eines
und andern Vorurtheils, ſo ſie ſich in den Kopff
geſetzt, hierinnen ſcrupuleuſer ſind, als ſie wohl ſol-
ten. Zum vierdten muͤſſen ſie den Kuß ihren Nach-
barinnen mit Sittſamkeit und Hoͤfligkeit geben,
ſie nicht auf den Mund, ſondern auf den Backen
kuͤſſen, und hierbey erweiſen, daß es ihnen nicht ſo
wohl um das Kuͤſſen zu thun ſey, als daß ſie vielmehr
den Wohlſtand beobachten und bey einer unſchul-
digen Sache ſich dem andern gleichfoͤrmig bezeu-
gen wollen, und alſo ein ſchoͤn und ein heßliches
Geſicht mit gleicher Hoͤflichkeit tractiren.

§. 20. Jſt die Gaſterey oder eine andere Solen-
nit
aͤt und Luſtbarkeit zu Ende gebracht, und die Ge-
ſellſchafft gehet nunmehr auseinander, ſo erfordert
der Wohlſtand, daß man eine Dame, zumahl die-

jenige,
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[380/0400] II. Theil. VI. Capitul. ſolchen jungen Menſchen ſehr ſpoͤttiſch und ver- druͤßlich ſeyn; andre aber, die uͤber die Thorheiten und Eitelkeiten der Jugend heulen, werden mit dieſer Ceremonie gerne verſchont bleiben. Zum vierdten, muß er ſich von demjenigen, was die gan- tze Geſellſchafft thut, nicht ausſchlieſſen, und ſich aus einer Bloͤdigkeit, uͤbermaͤßigen Sittſamkeit oder Keuſchheit weder von den Hoͤhern, noch von andern ſeinen Nachbarn nicht noͤthigen laſſen, ſin- temahl ein ſolcher Kuß mit den Regeln der Tugend ſich gar wohl vereinigen laͤſt, und nicht anders anzu- ſehen, als ein Ceremoniel. Ob wohl die Anzahl derer, die ſich zu dem Kuß eines Frauenzimmers ſehr noͤthigen laßen, ſo gar groß nicht iſt, ſo findet man doch wohl bißweilen einige, die wegen eines und andern Vorurtheils, ſo ſie ſich in den Kopff geſetzt, hierinnen ſcrupuleuſer ſind, als ſie wohl ſol- ten. Zum vierdten muͤſſen ſie den Kuß ihren Nach- barinnen mit Sittſamkeit und Hoͤfligkeit geben, ſie nicht auf den Mund, ſondern auf den Backen kuͤſſen, und hierbey erweiſen, daß es ihnen nicht ſo wohl um das Kuͤſſen zu thun ſey, als daß ſie vielmehr den Wohlſtand beobachten und bey einer unſchul- digen Sache ſich dem andern gleichfoͤrmig bezeu- gen wollen, und alſo ein ſchoͤn und ein heßliches Geſicht mit gleicher Hoͤflichkeit tractiren. §. 20. Jſt die Gaſterey oder eine andere Solen- nitaͤt und Luſtbarkeit zu Ende gebracht, und die Ge- ſellſchafft gehet nunmehr auseinander, ſo erfordert der Wohlſtand, daß man eine Dame, zumahl die- jenige,

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/400>, abgerufen am 24.11.2024.