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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. II. Capitul.
das rechte Tempo treffen, damit man nicht den
Schein einer Ruhmräthigkeit von sich gebe, als ob
man vor allen andern am würdigsten sey, zu reden,
und am geschicktesten, die Gesellschafft zu unter-
halten.

§. 8. Es ist überhaupt eine unangenehme Sa-
che, andern Leuten zu widersprechen, wo es nicht
Pflicht und Gewissen erfordert, insonderheit aber
ist es wider den Wohlstand, wenn man es bey den
Höhern thut, denen man Ehrerbietung schuldig ist;
Solte man auch das gröste Compliment dazu
machen, daß sie es einen zu Gnaden solten halten,
so wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen,
und vor einen sehr plumpen Menschen angesehen
werden. Es gehet dieses auch so weit, daß man
sie bey ihren Reden, wenn sie in einem und andern
etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es wäre denn
daß sie uns befragten, und wolten eines andern be-
lehret seyn, alsdenn ist man verbunden, mit Höf-
lichkeit, Sittsamkeit und einer guten Tour ihre Feh-
le zu verbessern.

§. 9. Bißweilen finden die Höhern einen Ge-
fallen drinnen, wenn sie Gelegenheit haben, mit
einem vernünfftigen jungen Menschen, der in Stu-
diis
etwas gethan, über dieser oder jener Materie
sich in einen kleinen Dispüt einzulassen, wo nun ein
junger Mensch vorher weiß, daß es ein Höherer lei-
den kan, wenn man ihm nicht alsofort recht giebt,
oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi-
derspruch, so muß er sich ihm auch hierinnen gefällig

erwei-

II. Theil. II. Capitul.
das rechte Tempo treffen, damit man nicht den
Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob
man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden,
und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter-
halten.

§. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa-
che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht
Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber
iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den
Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt;
Solte man auch das groͤſte Compliment dazu
machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten,
ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen,
und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen
werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man
ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern
etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es waͤre denn
daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be-
lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf-
lichkeit, Sittſamkeit und einer guten Tour ihre Feh-
le zu verbeſſern.

§. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge-
fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit
einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in Stu-
diis
etwas gethan, uͤber dieſer oder jener Materie
ſich in einen kleinen Diſpüt einzulaſſen, wo nun ein
junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei-
den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt,
oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi-
derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤllig

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[284/0304] II. Theil. II. Capitul. das rechte Tempo treffen, damit man nicht den Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden, und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter- halten. §. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa- che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt; Solte man auch das groͤſte Compliment dazu machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten, ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen, und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es waͤre denn daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be- lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf- lichkeit, Sittſamkeit und einer guten Tour ihre Feh- le zu verbeſſern. §. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge- fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in Stu- diis etwas gethan, uͤber dieſer oder jener Materie ſich in einen kleinen Diſpüt einzulaſſen, wo nun ein junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei- den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt, oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi- derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤllig erwei-

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/304>, abgerufen am 22.11.2024.