das rechte Tempo treffen, damit man nicht den Schein einer Ruhmräthigkeit von sich gebe, als ob man vor allen andern am würdigsten sey, zu reden, und am geschicktesten, die Gesellschafft zu unter- halten.
§. 8. Es ist überhaupt eine unangenehme Sa- che, andern Leuten zu widersprechen, wo es nicht Pflicht und Gewissen erfordert, insonderheit aber ist es wider den Wohlstand, wenn man es bey den Höhern thut, denen man Ehrerbietung schuldig ist; Solte man auch das gröste Compliment dazu machen, daß sie es einen zu Gnaden solten halten, so wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen, und vor einen sehr plumpen Menschen angesehen werden. Es gehet dieses auch so weit, daß man sie bey ihren Reden, wenn sie in einem und andern etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es wäre denn daß sie uns befragten, und wolten eines andern be- lehret seyn, alsdenn ist man verbunden, mit Höf- lichkeit, Sittsamkeit und einer guten Tour ihre Feh- le zu verbessern.
§. 9. Bißweilen finden die Höhern einen Ge- fallen drinnen, wenn sie Gelegenheit haben, mit einem vernünfftigen jungen Menschen, der in Stu- diis etwas gethan, über dieser oder jener Materie sich in einen kleinen Dispüt einzulassen, wo nun ein junger Mensch vorher weiß, daß es ein Höherer lei- den kan, wenn man ihm nicht alsofort recht giebt, oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi- derspruch, so muß er sich ihm auch hierinnen gefällig
erwei-
II. Theil. II. Capitul.
das rechte Tempo treffen, damit man nicht den Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden, und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter- halten.
§. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa- che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt; Solte man auch das groͤſte Compliment dazu machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten, ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen, und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es waͤre denn daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be- lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf- lichkeit, Sittſamkeit und einer guten Tour ihre Feh- le zu verbeſſern.
§. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge- fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in Stu- diis etwas gethan, uͤber dieſer oder jener Materie ſich in einen kleinen Diſpüt einzulaſſen, wo nun ein junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei- den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt, oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi- derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤllig
erwei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0304"n="284"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">II.</hi> Theil. <hirendition="#aq">II.</hi> Capitul.</hi></fw><lb/>
das rechte <hirendition="#aq">Tempo</hi> treffen, damit man nicht den<lb/>
Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob<lb/>
man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden,<lb/>
und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter-<lb/>
halten.</p><lb/><p>§. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa-<lb/>
che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht<lb/>
Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber<lb/>
iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den<lb/>
Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt;<lb/>
Solte man auch das groͤſte <hirendition="#aq">Compliment</hi> dazu<lb/>
machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten,<lb/>ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen,<lb/>
und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen<lb/>
werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man<lb/>ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern<lb/>
etwan gefehlet, nicht <hirendition="#aq">corrigi</hi>ren muß, es waͤre denn<lb/>
daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be-<lb/>
lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf-<lb/>
lichkeit, Sittſamkeit und einer guten <hirendition="#aq">Tour</hi> ihre Feh-<lb/>
le zu verbeſſern.</p><lb/><p>§. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge-<lb/>
fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit<lb/>
einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in <hirendition="#aq">Stu-<lb/>
diis</hi> etwas gethan, uͤber dieſer oder jener <hirendition="#aq">Materie</hi><lb/>ſich in einen kleinen <hirendition="#aq">Diſpüt</hi> einzulaſſen, wo nun ein<lb/>
junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei-<lb/>
den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt,<lb/>
oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi-<lb/>
derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤllig<lb/><fwplace="bottom"type="catch">erwei-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[284/0304]
II. Theil. II. Capitul.
das rechte Tempo treffen, damit man nicht den
Schein einer Ruhmraͤthigkeit von ſich gebe, als ob
man vor allen andern am wuͤrdigſten ſey, zu reden,
und am geſchickteſten, die Geſellſchafft zu unter-
halten.
§. 8. Es iſt uͤberhaupt eine unangenehme Sa-
che, andern Leuten zu widerſprechen, wo es nicht
Pflicht und Gewiſſen erfordert, inſonderheit aber
iſt es wider den Wohlſtand, wenn man es bey den
Hoͤhern thut, denen man Ehrerbietung ſchuldig iſt;
Solte man auch das groͤſte Compliment dazu
machen, daß ſie es einen zu Gnaden ſolten halten,
ſo wird man ihrer Ungnade doch nicht entgehen,
und vor einen ſehr plumpen Menſchen angeſehen
werden. Es gehet dieſes auch ſo weit, daß man
ſie bey ihren Reden, wenn ſie in einem und andern
etwan gefehlet, nicht corrigiren muß, es waͤre denn
daß ſie uns befragten, und wolten eines andern be-
lehret ſeyn, alsdenn iſt man verbunden, mit Hoͤf-
lichkeit, Sittſamkeit und einer guten Tour ihre Feh-
le zu verbeſſern.
§. 9. Bißweilen finden die Hoͤhern einen Ge-
fallen drinnen, wenn ſie Gelegenheit haben, mit
einem vernuͤnfftigen jungen Menſchen, der in Stu-
diis etwas gethan, uͤber dieſer oder jener Materie
ſich in einen kleinen Diſpüt einzulaſſen, wo nun ein
junger Menſch vorher weiß, daß es ein Hoͤherer lei-
den kan, wenn man ihm nicht alſofort recht giebt,
oder auch wohl gar Befehl ertheilt, zu einigem Wi-
derſpruch, ſo muß er ſich ihm auch hierinnen gefaͤllig
erwei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/304>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.