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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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II. Theil. II. Capitul.
weiblichem Geschlecht, sind in ihren Reden allzu
frey, sie plaudern stets, sie mögen sich in einer Ge-
sellschafft befinden, in welcher sie wollen, und es mag
klingen wie es will; Andere aber bilden sich ein, sie
würden vor andern das Lob davon tragen, daß sie
recht erbar wären, wenn sie gar nichts redeten, sie
dencken, der unumgängliche Wohlstand erfordere
dergleichen Stillschweigen. Will man bey ihnen,
wenn man sie gantz und gar nicht kennet, in Erfah-
rung kommen, ob sie nicht etwan von Natur gantz
und gar stumm sind, so muß man sie etwan mit Ge-
walt zu einem Ja oder Nein, oder sonst zu ein paar
Wörterchen zwingen, die sie aussprechen müssen,
und damit ist der Discours hernach geendiget.

§. 5. Ein Vernünfftiger bemühet sich in seinen
Reden das rechte Maaß und das rechte Tempo zu
treffen, er erweiset, daß er zu reden, aber auch zu
schweigen wisse, weil beydes seine Zeit hat; er trägt
von denen, die das Reden vertragen können, das
Lob der Wohlredenheit davon, wird aber deswe-
gen nicht vor einen Schwätzer angesehen. Ken-
net er die Gemüths-Beschaffenheit dersenigen, mit
denen und bey denen er redet, so richtet er sich dar-
nach, und bey der Ungewißheit spricht er lieber zu
wenig, als zu viel; er beurtheilet, ob er geschickt ge-
nug sey, andere mit Discoursen zu unterhalten, und
ob dieses von ihm gefordert werde, oder ob andere
vorhanden, denen dieses anständiger. Einige Hö-
here, auch wohl von den hohen Standes-Personen,
können es gar wohl leiden, wenn mancher, der bey

ihnen

II. Theil. II. Capitul.
weiblichem Geſchlecht, ſind in ihren Reden allzu
frey, ſie plaudern ſtets, ſie moͤgen ſich in einer Ge-
ſellſchafft befinden, in welcher ſie wollen, und es mag
klingen wie es will; Andere aber bilden ſich ein, ſie
wuͤrden vor andern das Lob davon tragen, daß ſie
recht erbar waͤren, wenn ſie gar nichts redeten, ſie
dencken, der unumgaͤngliche Wohlſtand erfordere
dergleichen Stillſchweigen. Will man bey ihnen,
wenn man ſie gantz und gar nicht kennet, in Erfah-
rung kommen, ob ſie nicht etwan von Natur gantz
und gar ſtumm ſind, ſo muß man ſie etwan mit Ge-
walt zu einem Ja oder Nein, oder ſonſt zu ein paar
Woͤrterchen zwingen, die ſie ausſprechen muͤſſen,
und damit iſt der Diſcours hernach geendiget.

§. 5. Ein Vernuͤnfftiger bemuͤhet ſich in ſeinen
Reden das rechte Maaß und das rechte Tempo zu
treffen, er erweiſet, daß er zu reden, aber auch zu
ſchweigen wiſſe, weil beydes ſeine Zeit hat; er traͤgt
von denen, die das Reden vertragen koͤnnen, das
Lob der Wohlredenheit davon, wird aber deswe-
gen nicht vor einen Schwaͤtzer angeſehen. Ken-
net er die Gemuͤths-Beſchaffenheit derſenigen, mit
denen und bey denen er redet, ſo richtet er ſich dar-
nach, und bey der Ungewißheit ſpricht er lieber zu
wenig, als zu viel; er beurtheilet, ob er geſchickt ge-
nug ſey, andere mit Diſcourſen zu unterhalten, und
ob dieſes von ihm gefordert werde, oder ob andere
vorhanden, denen dieſes anſtaͤndiger. Einige Hoͤ-
here, auch wohl von den hohen Standes-Perſonen,
koͤnnen es gar wohl leiden, wenn mancher, der bey

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[282/0302] II. Theil. II. Capitul. weiblichem Geſchlecht, ſind in ihren Reden allzu frey, ſie plaudern ſtets, ſie moͤgen ſich in einer Ge- ſellſchafft befinden, in welcher ſie wollen, und es mag klingen wie es will; Andere aber bilden ſich ein, ſie wuͤrden vor andern das Lob davon tragen, daß ſie recht erbar waͤren, wenn ſie gar nichts redeten, ſie dencken, der unumgaͤngliche Wohlſtand erfordere dergleichen Stillſchweigen. Will man bey ihnen, wenn man ſie gantz und gar nicht kennet, in Erfah- rung kommen, ob ſie nicht etwan von Natur gantz und gar ſtumm ſind, ſo muß man ſie etwan mit Ge- walt zu einem Ja oder Nein, oder ſonſt zu ein paar Woͤrterchen zwingen, die ſie ausſprechen muͤſſen, und damit iſt der Diſcours hernach geendiget. §. 5. Ein Vernuͤnfftiger bemuͤhet ſich in ſeinen Reden das rechte Maaß und das rechte Tempo zu treffen, er erweiſet, daß er zu reden, aber auch zu ſchweigen wiſſe, weil beydes ſeine Zeit hat; er traͤgt von denen, die das Reden vertragen koͤnnen, das Lob der Wohlredenheit davon, wird aber deswe- gen nicht vor einen Schwaͤtzer angeſehen. Ken- net er die Gemuͤths-Beſchaffenheit derſenigen, mit denen und bey denen er redet, ſo richtet er ſich dar- nach, und bey der Ungewißheit ſpricht er lieber zu wenig, als zu viel; er beurtheilet, ob er geſchickt ge- nug ſey, andere mit Diſcourſen zu unterhalten, und ob dieſes von ihm gefordert werde, oder ob andere vorhanden, denen dieſes anſtaͤndiger. Einige Hoͤ- here, auch wohl von den hohen Standes-Perſonen, koͤnnen es gar wohl leiden, wenn mancher, der bey ihnen

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/302>, abgerufen am 22.11.2024.