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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Vom Gottesdienst.
Andere gehen mit so frechen und wilden Geberden
zu dem Beichtstuhl, daß es nicht scheinet, als ob ih-
nen ihre Sünden leyd wären, sondern, als ob sie den
Vorsatz hätten, so bald sie die Kirche verlassen, ihre
alten Sünden mit neuen zu häuffen; Sie machen
eine solche Mine, als ob sie zum Dantz gehen wol-
ten. Viele von dem Frauenzimmer wollen als
bußfertige Sünderinnen erscheinen, und entblösen
doch dasjenige, was die Zucht und Schamhafftig-
keit zu bedecken befiehlt, auf eine so schandbare
Weise, daß es nicht selten dem Beicht-Vater und
ihren Neben-Christen zum Aergerniß gereicht;
Sie wollen aus blossem Hochmuth und Eigensinn,
damit sie vor andern und vor den gemeinen Leuten
etwas besonders haben, die bunten Parade-Klei-
der auch zu dieser Zeit nicht ablegen. Die meisten
lauffen aus blosser Gewohnheit zu dem Beichtstuhl.
Sie rechnen entweder in dem Calender nach, ob
diejenige Zeit, die sie hierzu bestimmen, bereits ver-
flossen, oder sie geben Acht auf andere, nach denen
sie sich etwan in diesem Stück zu richten pflegen.
Am allerschändlichsten aber ist, daß einige, die sonst
mit der wilden Ganß in die Wette zu leben ge-
wohnt, sich zu Ablegung des Bekänntnisses ihrer
Sünden alsbald entschlüßen, wenn sie bey einem
Besuch gewahr werden, daß einer von ihren Came-
rad
en, oder so genannten guten Freunden zum
Beichtstuhl gehen will. Es fällt ihnen dasjeni-
ge alsdenn ein, wessen sie sich sonst nicht erinnert
hätten, und sie gehen par Compagnie, wie sie

wohl
S

Vom Gottesdienſt.
Andere gehen mit ſo frechen und wilden Geberden
zu dem Beichtſtuhl, daß es nicht ſcheinet, als ob ih-
nen ihre Suͤnden leyd waͤren, ſondern, als ob ſie den
Vorſatz haͤtten, ſo bald ſie die Kirche verlaſſen, ihre
alten Suͤnden mit neuen zu haͤuffen; Sie machen
eine ſolche Mine, als ob ſie zum Dantz gehen wol-
ten. Viele von dem Frauenzimmer wollen als
bußfertige Suͤnderinnen erſcheinen, und entbloͤſen
doch dasjenige, was die Zucht und Schamhafftig-
keit zu bedecken befiehlt, auf eine ſo ſchandbare
Weiſe, daß es nicht ſelten dem Beicht-Vater und
ihren Neben-Chriſten zum Aergerniß gereicht;
Sie wollen aus bloſſem Hochmuth und Eigenſinn,
damit ſie vor andern und vor den gemeinen Leuten
etwas beſonders haben, die bunten Parade-Klei-
der auch zu dieſer Zeit nicht ablegen. Die meiſten
lauffen aus bloſſer Gewohnheit zu dem Beichtſtuhl.
Sie rechnen entweder in dem Calender nach, ob
diejenige Zeit, die ſie hierzu beſtimmen, bereits ver-
floſſen, oder ſie geben Acht auf andere, nach denen
ſie ſich etwan in dieſem Stuͤck zu richten pflegen.
Am allerſchaͤndlichſten aber iſt, daß einige, die ſonſt
mit der wilden Ganß in die Wette zu leben ge-
wohnt, ſich zu Ablegung des Bekaͤnntniſſes ihrer
Suͤnden alsbald entſchluͤßen, wenn ſie bey einem
Beſuch gewahr werden, daß einer von ihren Came-
rad
en, oder ſo genannten guten Freunden zum
Beichtſtuhl gehen will. Es faͤllt ihnen dasjeni-
ge alsdenn ein, weſſen ſie ſich ſonſt nicht erinnert
haͤtten, und ſie gehen par Compagnie, wie ſie

wohl
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[273/0293] Vom Gottesdienſt. Andere gehen mit ſo frechen und wilden Geberden zu dem Beichtſtuhl, daß es nicht ſcheinet, als ob ih- nen ihre Suͤnden leyd waͤren, ſondern, als ob ſie den Vorſatz haͤtten, ſo bald ſie die Kirche verlaſſen, ihre alten Suͤnden mit neuen zu haͤuffen; Sie machen eine ſolche Mine, als ob ſie zum Dantz gehen wol- ten. Viele von dem Frauenzimmer wollen als bußfertige Suͤnderinnen erſcheinen, und entbloͤſen doch dasjenige, was die Zucht und Schamhafftig- keit zu bedecken befiehlt, auf eine ſo ſchandbare Weiſe, daß es nicht ſelten dem Beicht-Vater und ihren Neben-Chriſten zum Aergerniß gereicht; Sie wollen aus bloſſem Hochmuth und Eigenſinn, damit ſie vor andern und vor den gemeinen Leuten etwas beſonders haben, die bunten Parade-Klei- der auch zu dieſer Zeit nicht ablegen. Die meiſten lauffen aus bloſſer Gewohnheit zu dem Beichtſtuhl. Sie rechnen entweder in dem Calender nach, ob diejenige Zeit, die ſie hierzu beſtimmen, bereits ver- floſſen, oder ſie geben Acht auf andere, nach denen ſie ſich etwan in dieſem Stuͤck zu richten pflegen. Am allerſchaͤndlichſten aber iſt, daß einige, die ſonſt mit der wilden Ganß in die Wette zu leben ge- wohnt, ſich zu Ablegung des Bekaͤnntniſſes ihrer Suͤnden alsbald entſchluͤßen, wenn ſie bey einem Beſuch gewahr werden, daß einer von ihren Came- raden, oder ſo genannten guten Freunden zum Beichtſtuhl gehen will. Es faͤllt ihnen dasjeni- ge alsdenn ein, weſſen ſie ſich ſonſt nicht erinnert haͤtten, und ſie gehen par Compagnie, wie ſie wohl S

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/293>, abgerufen am 22.11.2024.