§. 12. Jhrer viel von unsern Mode-Christen, die sich doch in ihren Christenthum noch besser düncken als andere ihres gleichen, und den Sonn- tag mit den äußerlichen Kirchengehen theils gantz, theils doch einiger maßen heiligen wollen, beobach- ten bey dem Kirchgehen, und bey den Handlun- gen die in der Kirche vorfallen, nicht einmahl das- jenige, was sie der Vernunfft und dem Wohl- stande nach hiebey in Obacht zu nehmen hätten. Einige kommen gantz späte hinein, wann die Pre- digt schon angangen, oder bald halb ist, und setzen dabey meistentheils des Nachmittages aus; Sie achten dieses vor eine Art einer Galanterie, und wollen sich hierinnen von dem gemeinen Mann ab- sondern, sie dencken der Gottesdienst, und sonder- lich die Prodigten, wären bloß vor dem Pöbel, sie könten sich schon selbst helsfen, sie wüsten es eben so gut als die Priester, da doch mancher von ihnen einen Unterricht im Christenthum nöthiger brauchte, als mancher armer Handwercks-Mann oder Ta- gelöhner. Wenn doch aber solche Leute nur be- dencken wolten, ob denn ihre Herrschafften wohl mit ihnen zufrieden seyn würden, wenn sie ihnen nur einen halben Tag Dienste thäten, und noch dazu auf eine gar unvollkommne Weise, und hin- gegen die andere Helffte des Tages, ihren eignen Geschäfften oder Ergötzlichkeiten bestimmen wolten, oder ob sie wohl mit ihren eignen Bedienten zufrie- den seyn würden, wenn sie ihnen ihre Dienste, die sie zu thun pflichtig, nur einen halben Tag leisten
wol-
II. Theil. I. Capitul.
§. 12. Jhrer viel von unſern Mode-Chriſten, die ſich doch in ihren Chriſtenthum noch beſſer duͤncken als andere ihres gleichen, und den Sonn- tag mit den aͤußerlichen Kirchengehen theils gantz, theils doch einiger maßen heiligen wollen, beobach- ten bey dem Kirchgehen, und bey den Handlun- gen die in der Kirche vorfallen, nicht einmahl das- jenige, was ſie der Vernunfft und dem Wohl- ſtande nach hiebey in Obacht zu nehmen haͤtten. Einige kommen gantz ſpaͤte hinein, wann die Pre- digt ſchon angangen, oder bald halb iſt, und ſetzen dabey meiſtentheils des Nachmittages aus; Sie achten dieſes vor eine Art einer Galanterie, und wollen ſich hierinnen von dem gemeinen Mann ab- ſondern, ſie dencken der Gottesdienſt, und ſonder- lich die Prodigten, waͤren bloß vor dem Poͤbel, ſie koͤnten ſich ſchon ſelbſt helſfen, ſie wuͤſten es eben ſo gut als die Prieſter, da doch mancher von ihnen einen Unterricht im Chriſtenthum noͤthiger brauchte, als mancher armer Handwercks-Mann oder Ta- geloͤhner. Wenn doch aber ſolche Leute nur be- dencken wolten, ob denn ihre Herrſchafften wohl mit ihnen zufrieden ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen nur einen halben Tag Dienſte thaͤten, und noch dazu auf eine gar unvollkommne Weiſe, und hin- gegen die andere Helffte des Tages, ihren eignen Geſchaͤfften oder Ergoͤtzlichkeiten beſtimmen wolten, oder ob ſie wohl mit ihren eignen Bedienten zufrie- den ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen ihre Dienſte, die ſie zu thun pflichtig, nur einen halben Tag leiſten
wol-
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II. Theil. I. Capitul.
§. 12. Jhrer viel von unſern Mode-Chriſten,
die ſich doch in ihren Chriſtenthum noch beſſer
duͤncken als andere ihres gleichen, und den Sonn-
tag mit den aͤußerlichen Kirchengehen theils gantz,
theils doch einiger maßen heiligen wollen, beobach-
ten bey dem Kirchgehen, und bey den Handlun-
gen die in der Kirche vorfallen, nicht einmahl das-
jenige, was ſie der Vernunfft und dem Wohl-
ſtande nach hiebey in Obacht zu nehmen haͤtten.
Einige kommen gantz ſpaͤte hinein, wann die Pre-
digt ſchon angangen, oder bald halb iſt, und ſetzen
dabey meiſtentheils des Nachmittages aus; Sie
achten dieſes vor eine Art einer Galanterie, und
wollen ſich hierinnen von dem gemeinen Mann ab-
ſondern, ſie dencken der Gottesdienſt, und ſonder-
lich die Prodigten, waͤren bloß vor dem Poͤbel, ſie
koͤnten ſich ſchon ſelbſt helſfen, ſie wuͤſten es eben ſo
gut als die Prieſter, da doch mancher von ihnen
einen Unterricht im Chriſtenthum noͤthiger brauchte,
als mancher armer Handwercks-Mann oder Ta-
geloͤhner. Wenn doch aber ſolche Leute nur be-
dencken wolten, ob denn ihre Herrſchafften wohl
mit ihnen zufrieden ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen
nur einen halben Tag Dienſte thaͤten, und noch
dazu auf eine gar unvollkommne Weiſe, und hin-
gegen die andere Helffte des Tages, ihren eignen
Geſchaͤfften oder Ergoͤtzlichkeiten beſtimmen wolten,
oder ob ſie wohl mit ihren eignen Bedienten zufrie-
den ſeyn wuͤrden, wenn ſie ihnen ihre Dienſte, die
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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