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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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Von dem Aufenthalt an Höfen.
Zweck, den sie sich eingebildet. Jhre grosse Ver-
wunderung, die sie bey dergleichen Gelegenheiten
an Tag legen, wird vor ein Kennzeichen ihrer Ein-
falt und Unwissenheit gehalten, und man glaubt von
ihnen, daß sie noch nicht gar viel müsten in der Welt
gesehen haben. Weiß man aber sonst von ihnen,
daß sie in der Welt gewesen, so hält man sie vor
Schmeichler und falsche Leute.

§. 16. Jst es an einem Ort, da man nöthig hat,
seine Stärcke und Schwäche kennen zu lernen, und
jene zu erweisen, diese aber zu verbergen, so ist es an
den Höfen, da man allenthalben mit den schärffsten
Aufmerckern umringet ist. Es ist nicht möglich,
daß man von alle dem, was die heutige Welt von
von einem Hof-Mann und galant homme erfor-
dert, eine gleiche Erkäntniß haben kan, indem es ei-
nem entweder an der Gelegenheit gefehlet, sich auf
dieses oder jenes zu appliciren, oder an der Lust und
natürlichen Geschicklichkeit. Wenn einem nun die
Herrschafft, oder ein Minister, oder vornehme Da-
me,
zu einem und andern invitiren solte, worinnen
wir doch keine Geschicklichkeit erweisen würden, so
ist es ja weit besser, wenn man sich auf eine höfliche
Art entschuldiget, seine Unwissenheit und Ungeschick-
lichkeit bekennt, als daß man aus einer allzu grossen
Begierde, sich gefällig zu machen, etwas unter-
nimmt, so man nicht versteht, und wobey man sich
zum Gelächter macht. Es ist ein grosser Fehler,
daß einige junge Leute dencken, sie müsten der Herr-
schafft, oder einigen Hofleuten zu Gefallen, alles

mit-
O 2

Von dem Aufenthalt an Hoͤfen.
Zweck, den ſie ſich eingebildet. Jhre groſſe Ver-
wunderung, die ſie bey dergleichen Gelegenheiten
an Tag legen, wird vor ein Kennzeichen ihrer Ein-
falt und Unwiſſenheit gehalten, und man glaubt von
ihnen, daß ſie noch nicht gar viel muͤſten in der Welt
geſehen haben. Weiß man aber ſonſt von ihnen,
daß ſie in der Welt geweſen, ſo haͤlt man ſie vor
Schmeichler und falſche Leute.

§. 16. Jſt es an einem Ort, da man noͤthig hat,
ſeine Staͤrcke und Schwaͤche kennen zu lernen, und
jene zu erweiſen, dieſe aber zu verbergen, ſo iſt es an
den Hoͤfen, da man allenthalben mit den ſchaͤrffſten
Aufmerckern umringet iſt. Es iſt nicht moͤglich,
daß man von alle dem, was die heutige Welt von
von einem Hof-Mann und galant homme erfor-
dert, eine gleiche Erkaͤntniß haben kan, indem es ei-
nem entweder an der Gelegenheit gefehlet, ſich auf
dieſes oder jenes zu appliciren, oder an der Luſt und
natuͤrlichen Geſchicklichkeit. Wenn einem nun die
Herrſchafft, oder ein Miniſter, oder vornehme Da-
me,
zu einem und andern invitiren ſolte, worinnen
wir doch keine Geſchicklichkeit erweiſen wuͤrden, ſo
iſt es ja weit beſſer, wenn man ſich auf eine hoͤfliche
Art entſchuldiget, ſeine Unwiſſenheit und Ungeſchick-
lichkeit bekennt, als daß man aus einer allzu groſſen
Begierde, ſich gefaͤllig zu machen, etwas unter-
nimmt, ſo man nicht verſteht, und wobey man ſich
zum Gelaͤchter macht. Es iſt ein groſſer Fehler,
daß einige junge Leute dencken, ſie muͤſten der Herr-
ſchafft, oder einigen Hofleuten zu Gefallen, alles

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O 2
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[211/0231] Von dem Aufenthalt an Hoͤfen. Zweck, den ſie ſich eingebildet. Jhre groſſe Ver- wunderung, die ſie bey dergleichen Gelegenheiten an Tag legen, wird vor ein Kennzeichen ihrer Ein- falt und Unwiſſenheit gehalten, und man glaubt von ihnen, daß ſie noch nicht gar viel muͤſten in der Welt geſehen haben. Weiß man aber ſonſt von ihnen, daß ſie in der Welt geweſen, ſo haͤlt man ſie vor Schmeichler und falſche Leute. §. 16. Jſt es an einem Ort, da man noͤthig hat, ſeine Staͤrcke und Schwaͤche kennen zu lernen, und jene zu erweiſen, dieſe aber zu verbergen, ſo iſt es an den Hoͤfen, da man allenthalben mit den ſchaͤrffſten Aufmerckern umringet iſt. Es iſt nicht moͤglich, daß man von alle dem, was die heutige Welt von von einem Hof-Mann und galant homme erfor- dert, eine gleiche Erkaͤntniß haben kan, indem es ei- nem entweder an der Gelegenheit gefehlet, ſich auf dieſes oder jenes zu appliciren, oder an der Luſt und natuͤrlichen Geſchicklichkeit. Wenn einem nun die Herrſchafft, oder ein Miniſter, oder vornehme Da- me, zu einem und andern invitiren ſolte, worinnen wir doch keine Geſchicklichkeit erweiſen wuͤrden, ſo iſt es ja weit beſſer, wenn man ſich auf eine hoͤfliche Art entſchuldiget, ſeine Unwiſſenheit und Ungeſchick- lichkeit bekennt, als daß man aus einer allzu groſſen Begierde, ſich gefaͤllig zu machen, etwas unter- nimmt, ſo man nicht verſteht, und wobey man ſich zum Gelaͤchter macht. Es iſt ein groſſer Fehler, daß einige junge Leute dencken, ſie muͤſten der Herr- ſchafft, oder einigen Hofleuten zu Gefallen, alles mit- O 2

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/231>, abgerufen am 21.11.2024.