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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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aber, dass man sich von solchen Erdichtungen zumeist doch
zurückhielt. Das jenseitige Leben der Seelen, der weisen und
der unweisen, blieb inhaltlos 1) in der Vorstellung der noch auf
Erden Zurückgehaltenen.

Und die Lehre von der Fortdauer der Seelenpersönlich-
keit (die zu der Annahme einer persönlichen Unsterblichkeit
ohnehin niemals fortgebildet wurde) -- wie sie durch die meta-
physischen Grundvoraussetzungen der Schule, mit denen sie
doch in Verbindung gesetzt wurde, in Wahrheit nicht gefordert
war, ja kaum neben ihnen bestehen konnte, so hatte sie für
den Sinn und Zusammenhalt stoischer Doctrin keine wesent-
lich bestimmende Bedeutung, am wenigsten für die Ethik und
Lebensführung. Die Weisheit der Stoa ist Betrachtung des
Lebens, nicht des Todes. Im irdischen Leben und allein in
ihm kann, im Kampfe mit widerstrebenden Trieben, das Ziel
des menschlichen Bestrebens, die Wiedererzeugung göttlicher

Durch diesen vor Allen war der Vorstellung von einem Seelenreich in
der Luft Gestalt gegeben; wie eifrig seine Phantasiebilder betrachtet
wurden, zeigen noch die Anführungen aus seinem Buche von Varro bis
herunter zu Proclus und Damascius. Die vom Leibe befreiten Seelen
aufwärts schweben zu lassen (und etwa auch auf Sternen und Mond, als
bewohnten Himmelskörpern -- Doxogr. 343, 7 ff.; 356 a, 10 -- anzu-
siedeln) musste ihn -- ganz ähnlich wie nachher die Stoiker -- veran-
lassen seine Annahme, dass die Seele ein aitherion soma (Philopon.) sei
(photoeides, ein lumen [Tertull. an. 9]). Hierin folgt er einer schon im
fünften Jahrhundert (bei Xenophanes, Epicharm, Euripides: s. oben
p. 549 ff.) verbreiteten, selbst volksthümlich gewordenen Ansicht, die
gleich von Anfang an auch zu der Consequenz geführt hatte, dass die be-
freite Seele eis ton omoion aithera eingehn und sich in die oberen Regionen
(des Aethers) aufschwingen werde. Heraklides schmückt, phantastisch
philosophirend und astronomisirend, diese Vorstellungen aus; Posidonius
nimmt dessen Phantasmen auf; und so wurde, jedenfalls nicht ohne
einige Mitwirkung dieser halbphilosophischen Litteratur, der Glaube an
den Aufenthalt der "Seelen" im Aether so populär, wie die Grabschriften
erkennen lassen (s. unten). --
1) Seliges Schauen auf Erde und Gestirne dichtet, nach Posido-
nius, Cicero den Seelen im Luftraum an: Tusc. I §§ 44--47 (vgl. Seneca,
cons. ad. Marc. 25, 1. 2), ähnlich seinen Ausführungen im Somnium
Scipionis,
hier wie da entschieden in Anlehnung an Heraklides Ponticus.
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aber, dass man sich von solchen Erdichtungen zumeist doch
zurückhielt. Das jenseitige Leben der Seelen, der weisen und
der unweisen, blieb inhaltlos 1) in der Vorstellung der noch auf
Erden Zurückgehaltenen.

Und die Lehre von der Fortdauer der Seelenpersönlich-
keit (die zu der Annahme einer persönlichen Unsterblichkeit
ohnehin niemals fortgebildet wurde) — wie sie durch die meta-
physischen Grundvoraussetzungen der Schule, mit denen sie
doch in Verbindung gesetzt wurde, in Wahrheit nicht gefordert
war, ja kaum neben ihnen bestehen konnte, so hatte sie für
den Sinn und Zusammenhalt stoischer Doctrin keine wesent-
lich bestimmende Bedeutung, am wenigsten für die Ethik und
Lebensführung. Die Weisheit der Stoa ist Betrachtung des
Lebens, nicht des Todes. Im irdischen Leben und allein in
ihm kann, im Kampfe mit widerstrebenden Trieben, das Ziel
des menschlichen Bestrebens, die Wiedererzeugung göttlicher

Durch diesen vor Allen war der Vorstellung von einem Seelenreich in
der Luft Gestalt gegeben; wie eifrig seine Phantasiebilder betrachtet
wurden, zeigen noch die Anführungen aus seinem Buche von Varro bis
herunter zu Proclus und Damascius. Die vom Leibe befreiten Seelen
aufwärts schweben zu lassen (und etwa auch auf Sternen und Mond, als
bewohnten Himmelskörpern — Doxogr. 343, 7 ff.; 356 a, 10 — anzu-
siedeln) musste ihn — ganz ähnlich wie nachher die Stoiker — veran-
lassen seine Annahme, dass die Seele ein αἰϑέριον σῶμα (Philopon.) sei
(φωτοειδής, ein lumen [Tertull. an. 9]). Hierin folgt er einer schon im
fünften Jahrhundert (bei Xenophanes, Epicharm, Euripides: s. oben
p. 549 ff.) verbreiteten, selbst volksthümlich gewordenen Ansicht, die
gleich von Anfang an auch zu der Consequenz geführt hatte, dass die be-
freite Seele εἰς τὸν ὅμοιον αἰϑέρα eingehn und sich in die oberen Regionen
(des Aethers) aufschwingen werde. Heraklides schmückt, phantastisch
philosophirend und astronomisirend, diese Vorstellungen aus; Posidonius
nimmt dessen Phantasmen auf; und so wurde, jedenfalls nicht ohne
einige Mitwirkung dieser halbphilosophischen Litteratur, der Glaube an
den Aufenthalt der „Seelen“ im Aether so populär, wie die Grabschriften
erkennen lassen (s. unten). —
1) Seliges Schauen auf Erde und Gestirne dichtet, nach Posido-
nius, Cicero den Seelen im Luftraum an: Tusc. I §§ 44—47 (vgl. Seneca,
cons. ad. Marc. 25, 1. 2), ähnlich seinen Ausführungen im Somnium
Scipionis,
hier wie da entschieden in Anlehnung an Heraklides Ponticus.
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[611/0627] aber, dass man sich von solchen Erdichtungen zumeist doch zurückhielt. Das jenseitige Leben der Seelen, der weisen und der unweisen, blieb inhaltlos 1) in der Vorstellung der noch auf Erden Zurückgehaltenen. Und die Lehre von der Fortdauer der Seelenpersönlich- keit (die zu der Annahme einer persönlichen Unsterblichkeit ohnehin niemals fortgebildet wurde) — wie sie durch die meta- physischen Grundvoraussetzungen der Schule, mit denen sie doch in Verbindung gesetzt wurde, in Wahrheit nicht gefordert war, ja kaum neben ihnen bestehen konnte, so hatte sie für den Sinn und Zusammenhalt stoischer Doctrin keine wesent- lich bestimmende Bedeutung, am wenigsten für die Ethik und Lebensführung. Die Weisheit der Stoa ist Betrachtung des Lebens, nicht des Todes. Im irdischen Leben und allein in ihm kann, im Kampfe mit widerstrebenden Trieben, das Ziel des menschlichen Bestrebens, die Wiedererzeugung göttlicher 1) 1) Seliges Schauen auf Erde und Gestirne dichtet, nach Posido- nius, Cicero den Seelen im Luftraum an: Tusc. I §§ 44—47 (vgl. Seneca, cons. ad. Marc. 25, 1. 2), ähnlich seinen Ausführungen im Somnium Scipionis, hier wie da entschieden in Anlehnung an Heraklides Ponticus. 1) Durch diesen vor Allen war der Vorstellung von einem Seelenreich in der Luft Gestalt gegeben; wie eifrig seine Phantasiebilder betrachtet wurden, zeigen noch die Anführungen aus seinem Buche von Varro bis herunter zu Proclus und Damascius. Die vom Leibe befreiten Seelen aufwärts schweben zu lassen (und etwa auch auf Sternen und Mond, als bewohnten Himmelskörpern — Doxogr. 343, 7 ff.; 356 a, 10 — anzu- siedeln) musste ihn — ganz ähnlich wie nachher die Stoiker — veran- lassen seine Annahme, dass die Seele ein αἰϑέριον σῶμα (Philopon.) sei (φωτοειδής, ein lumen [Tertull. an. 9]). Hierin folgt er einer schon im fünften Jahrhundert (bei Xenophanes, Epicharm, Euripides: s. oben p. 549 ff.) verbreiteten, selbst volksthümlich gewordenen Ansicht, die gleich von Anfang an auch zu der Consequenz geführt hatte, dass die be- freite Seele εἰς τὸν ὅμοιον αἰϑέρα eingehn und sich in die oberen Regionen (des Aethers) aufschwingen werde. Heraklides schmückt, phantastisch philosophirend und astronomisirend, diese Vorstellungen aus; Posidonius nimmt dessen Phantasmen auf; und so wurde, jedenfalls nicht ohne einige Mitwirkung dieser halbphilosophischen Litteratur, der Glaube an den Aufenthalt der „Seelen“ im Aether so populär, wie die Grabschriften erkennen lassen (s. unten). — 39*

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/627>, abgerufen am 21.11.2024.