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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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im Tode, der auch dieser monistisch angelegten Lehre doch
wieder, nach einer, eigentlich nur einem naiven oder bewussten

Die Ausdrucksweise und Vorstellung lehnt sich vielmehr an das an, was
verbreiteter Volksglaube von dem Schutzgeist des Menschen zu sagen
wusste. apanti daimon andri sumparistatai euthus genomeno mustagogos tou biou
Menander, Mein. Com. IV 238 (hier wird bereits die Vorstellung von
zwei dämonischen Lebensbegleitern abgewiesen, von der schon Euklides
der Sokratiker redete: Censorin. d. d. nat. 3, 3. Anders doch Phokylid.
fr. 15). Schon Plato redet (mit einem legetai) von dem daimon osper
zonta eilekhei (und die abgeschiedene Seele in den Hades geleite): Phae-
don
107 D. Aber der Glaube muss viel älter sein; er spricht sich ziem-
lich deutlich aus in Pindars Worten, Ol. 13, 27: (Zeu pater) Ksenophontos
euthune daimonos ouron, in denen der Uebergang zu der Bedeutung: Schicksal
in dem Worte daimon noch nicht ganz gemacht ist, der dann (bei Tra-
gikern u. a. Dichtern) sehr gewöhnlich gemacht wird, immer aber als voraus-
liegend den Glauben an solchen persönlichen dämonischen Lebensgenossen
zu denken nöthigt, ohne dessen Vorangang er gar nicht geschehen konnte
(daimon = potmos Pindar P. 5, 114 f. und schon Theognis 161. 163. Wenn
Heraklit sagt: ethos anthropo daimon [fr. 121], so heisst ihm daimon das
Lebensgeschick. Und ethos und Lebenslage zugleich bedeutet es dem
Plato, Rep. 10, 617 D; oukh umas daimon lexetai, all umeis daimona aire-
sesthe: wo die Herleitung dieser metonymischen Anwendung des W. daimon
aus dem Glauben an den persönlichen Specialdämon des Einzelnen noch
sehr deutlich durchscheint. Aehnlich [Lys.] epitaph. 78. Die Metonymie
aber schon in der Ilias 8, 166 paros toi daimona doso = potmon epheso.)
Dieser Specialdämon des Einzelnen, der sich ihm persönlich gegenüber-
stellen kann (wie dem Brutus sein daimon kakos: Plut. Brut. 36) ist von
dessen psukhe verschieden, wiewohl sich denken liesse, dass er eigentlich
nur aus einer Projicirung der allzu selbständig gedachten eigenen psukhe
ausserhalb des Menschen entstanden sein möge (ähnlich dem römischen
genius. -- Die dämonischen phulakes des Hesiod [oben p. 89 ff.] gehören in
andre Vorstellungsreihen). Den Stoikern also wird dieser Volksglaube als
Analogon vorgeschwebt haben, wenn sie von dem par ekasto daimon als
etwas von dem Menschen und seinem egemonikon noch Verschiedenem reden.
Aber sie bedienen sich dieser Vorstellung doch nur als eines Bildes.
Eigentlich soll ihnen der daimon des Einzelnen bezeichnen dessen "urbild-
liche, ideale Persönlichkeit, gegenüber seiner empirischen Persönlichkeit"
(so sehr richtig Bonhöffer a. O. 84), das was der Mensch als intelligibler
Charakter ist, als empirischer erst werden soll (genoi oios essi --). So
ist der daimon verschieden von der psukhe (dianoia) und doch wieder mit
ihr identisch. Es wird ein halb allegorisches Spiel mit dem daimon als
Specialgenius und zugleich als Krone der menschlichen Person getrieben,
wie vorübergehend schon bei Plato ähnlich, Tim. 90 A. Schliesslich ist

im Tode, der auch dieser monistisch angelegten Lehre doch
wieder, nach einer, eigentlich nur einem naiven oder bewussten

Die Ausdrucksweise und Vorstellung lehnt sich vielmehr an das an, was
verbreiteter Volksglaube von dem Schutzgeist des Menschen zu sagen
wusste. ἅπαντι δαίμων ἀνδρὶ συμπαρίσταται εὐϑὺς γενομένῳ μυσταγωγὸς τοῦ βίου
Menander, Mein. Com. IV 238 (hier wird bereits die Vorstellung von
zwei dämonischen Lebensbegleitern abgewiesen, von der schon Euklides
der Sokratiker redete: Censorin. d. d. nat. 3, 3. Anders doch Phokylid.
fr. 15). Schon Plato redet (mit einem λέγεται) von dem δαίμων ὅςπερ
ζῶντα εἰλήχει (und die abgeschiedene Seele in den Hades geleite): Phae-
don
107 D. Aber der Glaube muss viel älter sein; er spricht sich ziem-
lich deutlich aus in Pindars Worten, Ol. 13, 27: (Ζεῦ πάτερ) Ξενοφῶντος
εὔϑυνε δαίμονος οὖρον, in denen der Uebergang zu der Bedeutung: Schicksal
in dem Worte δαίμων noch nicht ganz gemacht ist, der dann (bei Tra-
gikern u. a. Dichtern) sehr gewöhnlich gemacht wird, immer aber als voraus-
liegend den Glauben an solchen persönlichen dämonischen Lebensgenossen
zu denken nöthigt, ohne dessen Vorangang er gar nicht geschehen konnte
(δαίμων = πότμος Pindar P. 5, 114 f. und schon Theognis 161. 163. Wenn
Heraklit sagt: ἦϑος ἀνϑρώπῳ δαίμων [fr. 121], so heisst ihm δαίμων das
Lebensgeschick. Und ἦϑος und Lebenslage zugleich bedeutet es dem
Plato, Rep. 10, 617 D; οὐχ ὑμᾶς δαίμων λήξεται, ἀλλ̕ ὑμεῖς δαίμονα αἱρή-
σεσϑε: wo die Herleitung dieser metonymischen Anwendung des W. δαίμων
aus dem Glauben an den persönlichen Specialdämon des Einzelnen noch
sehr deutlich durchscheint. Aehnlich [Lys.] epitaph. 78. Die Metonymie
aber schon in der Ilias 8, 166 πάρος τοι δαίμονα δώσω = πότμον ἐφήσω.)
Dieser Specialdämon des Einzelnen, der sich ihm persönlich gegenüber-
stellen kann (wie dem Brutus sein δαίμων κακός: Plut. Brut. 36) ist von
dessen ψυχή verschieden, wiewohl sich denken liesse, dass er eigentlich
nur aus einer Projicirung der allzu selbständig gedachten eigenen ψυχή
ausserhalb des Menschen entstanden sein möge (ähnlich dem römischen
genius. — Die dämonischen φύλακες des Hesiod [oben p. 89 ff.] gehören in
andre Vorstellungsreihen). Den Stoikern also wird dieser Volksglaube als
Analogon vorgeschwebt haben, wenn sie von dem παρ̕ ἑκάστῳ δαίμων als
etwas von dem Menschen und seinem ἡγεμονικόν noch Verschiedenem reden.
Aber sie bedienen sich dieser Vorstellung doch nur als eines Bildes.
Eigentlich soll ihnen der δαίμων des Einzelnen bezeichnen dessen „urbild-
liche, ideale Persönlichkeit, gegenüber seiner empirischen Persönlichkeit“
(so sehr richtig Bonhöffer a. O. 84), das was der Mensch als intelligibler
Charakter ist, als empirischer erst werden soll (γένοι̕ οἷος ἐσσί —). So
ist der δαίμων verschieden von der ψυχή (διάνοια) und doch wieder mit
ihr identisch. Es wird ein halb allegorisches Spiel mit dem δαίμων als
Specialgenius und zugleich als Krone der menschlichen Person getrieben,
wie vorübergehend schon bei Plato ähnlich, Tim. 90 A. Schliesslich ist
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[607/0623] im Tode, der auch dieser monistisch angelegten Lehre doch wieder, nach einer, eigentlich nur einem naiven oder bewussten 3) 3) Die Ausdrucksweise und Vorstellung lehnt sich vielmehr an das an, was verbreiteter Volksglaube von dem Schutzgeist des Menschen zu sagen wusste. ἅπαντι δαίμων ἀνδρὶ συμπαρίσταται εὐϑὺς γενομένῳ μυσταγωγὸς τοῦ βίου Menander, Mein. Com. IV 238 (hier wird bereits die Vorstellung von zwei dämonischen Lebensbegleitern abgewiesen, von der schon Euklides der Sokratiker redete: Censorin. d. d. nat. 3, 3. Anders doch Phokylid. fr. 15). Schon Plato redet (mit einem λέγεται) von dem δαίμων ὅςπερ ζῶντα εἰλήχει (und die abgeschiedene Seele in den Hades geleite): Phae- don 107 D. Aber der Glaube muss viel älter sein; er spricht sich ziem- lich deutlich aus in Pindars Worten, Ol. 13, 27: (Ζεῦ πάτερ) Ξενοφῶντος εὔϑυνε δαίμονος οὖρον, in denen der Uebergang zu der Bedeutung: Schicksal in dem Worte δαίμων noch nicht ganz gemacht ist, der dann (bei Tra- gikern u. a. Dichtern) sehr gewöhnlich gemacht wird, immer aber als voraus- liegend den Glauben an solchen persönlichen dämonischen Lebensgenossen zu denken nöthigt, ohne dessen Vorangang er gar nicht geschehen konnte (δαίμων = πότμος Pindar P. 5, 114 f. und schon Theognis 161. 163. Wenn Heraklit sagt: ἦϑος ἀνϑρώπῳ δαίμων [fr. 121], so heisst ihm δαίμων das Lebensgeschick. Und ἦϑος und Lebenslage zugleich bedeutet es dem Plato, Rep. 10, 617 D; οὐχ ὑμᾶς δαίμων λήξεται, ἀλλ̕ ὑμεῖς δαίμονα αἱρή- σεσϑε: wo die Herleitung dieser metonymischen Anwendung des W. δαίμων aus dem Glauben an den persönlichen Specialdämon des Einzelnen noch sehr deutlich durchscheint. Aehnlich [Lys.] epitaph. 78. Die Metonymie aber schon in der Ilias 8, 166 πάρος τοι δαίμονα δώσω = πότμον ἐφήσω.) Dieser Specialdämon des Einzelnen, der sich ihm persönlich gegenüber- stellen kann (wie dem Brutus sein δαίμων κακός: Plut. Brut. 36) ist von dessen ψυχή verschieden, wiewohl sich denken liesse, dass er eigentlich nur aus einer Projicirung der allzu selbständig gedachten eigenen ψυχή ausserhalb des Menschen entstanden sein möge (ähnlich dem römischen genius. — Die dämonischen φύλακες des Hesiod [oben p. 89 ff.] gehören in andre Vorstellungsreihen). Den Stoikern also wird dieser Volksglaube als Analogon vorgeschwebt haben, wenn sie von dem παρ̕ ἑκάστῳ δαίμων als etwas von dem Menschen und seinem ἡγεμονικόν noch Verschiedenem reden. Aber sie bedienen sich dieser Vorstellung doch nur als eines Bildes. Eigentlich soll ihnen der δαίμων des Einzelnen bezeichnen dessen „urbild- liche, ideale Persönlichkeit, gegenüber seiner empirischen Persönlichkeit“ (so sehr richtig Bonhöffer a. O. 84), das was der Mensch als intelligibler Charakter ist, als empirischer erst werden soll (γένοι̕ οἷος ἐσσί —). So ist der δαίμων verschieden von der ψυχή (διάνοια) und doch wieder mit ihr identisch. Es wird ein halb allegorisches Spiel mit dem δαίμων als Specialgenius und zugleich als Krone der menschlichen Person getrieben, wie vorübergehend schon bei Plato ähnlich, Tim. 90 A. Schliesslich ist

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/623>, abgerufen am 22.11.2024.