Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.selbständig seit Ewigkeit lebendiger, nicht in der Welt der Die Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der 1) epeide de ageneton esti, kai adiaphthoron auto anagke einai. Phaedr. 245 D. Der alte Schluss von der Anfangslosigkeit der Einzelseele (von ihr redet Plato) auf die Endlosigkeit ihres Lebens. 2) Dies kann Teichmüllers Ausführungen zugegeben werden. "Das
Individuum und die individuelle Seele ist nicht ein selbständiges Princip, sondern nur ein Resultat der Mischung aus Idee und dem Princip des Werdens" (wiewohl Plato es nicht so ansieht); daher bei Plato "das Individuelle nicht ewig ist (d. h. sein sollte), und die ewigen Principien nicht individuell sind." (Stud. z. Gesch. d. Begr. [1874] p. 115. 142). Aber alles was T. in diesem Sinne ausführt, dient nur einer Kritik der pla- tonischen Seelenlehre, nicht einer Richtigstellung dessen was Plato wirk- lich gelehrt hat. Er spricht von der Unsterblichkeit, d. h. Ewigkeit der individuellen Seele überall, von einer Unvergänglichkeit nur der "all- gemeinen Natur" der Seele nirgends, und dieser Thatbestand ist mit der Berücksichtigung einer von T. angerufenen, angeblichen "Orthodoxie", der Plato sich anbequeme, nicht entfernt erklärt. Dass Plato eine Vielheit individueller Seelen und deren Unvergänglichkeit annahm, würde, wenn nirgends sonsther, allein schon aus Rep. 10, 611 A vollständig bestimmt zu erkennen sein: -- aei an eien ai autai (psukhai). oute gar an pou elattous genointo medemias apollumenes, oute au pleious. Hier ist unbestreitbar Prädicat des ersten Satzes nur eien: existiren werden immer dieselben Seelen, nicht ai autai eien ("die Seelen sind immer dieselben"), wie Teich- müller, Platon. Frage 7 ff. annimmt, und es wird so deutlich wie nur möglich die Unvergänglichkeit der in begrenzter Zahl existirenden Viel- heit einzelner Seelen behauptet. selbständig seit Ewigkeit lebendiger, nicht in der Welt der Die Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der 1) ἐπειδὴ δὲ ἀγένητόν ἐστι, καὶ ἀδιάφϑορον αὐτὸ ἀνάγκη εἶναι. Phaedr. 245 D. Der alte Schluss von der Anfangslosigkeit der Einzelseele (von ihr redet Plato) auf die Endlosigkeit ihres Lebens. 2) Dies kann Teichmüllers Ausführungen zugegeben werden. „Das
Individuum und die individuelle Seele ist nicht ein selbständiges Princip, sondern nur ein Resultat der Mischung aus Idee und dem Princip des Werdens“ (wiewohl Plato es nicht so ansieht); daher bei Plato „das Individuelle nicht ewig ist (d. h. sein sollte), und die ewigen Principien nicht individuell sind.“ (Stud. z. Gesch. d. Begr. [1874] p. 115. 142). Aber alles was T. in diesem Sinne ausführt, dient nur einer Kritik der pla- tonischen Seelenlehre, nicht einer Richtigstellung dessen was Plato wirk- lich gelehrt hat. Er spricht von der Unsterblichkeit, d. h. Ewigkeit der individuellen Seele überall, von einer Unvergänglichkeit nur der „all- gemeinen Natur“ der Seele nirgends, und dieser Thatbestand ist mit der Berücksichtigung einer von T. angerufenen, angeblichen „Orthodoxie“, der Plato sich anbequeme, nicht entfernt erklärt. Dass Plato eine Vielheit individueller Seelen und deren Unvergänglichkeit annahm, würde, wenn nirgends sonsther, allein schon aus Rep. 10, 611 A vollständig bestimmt zu erkennen sein: — ἀεὶ ἂν εἶεν αἱ αὐταί (ψυχαί). οὔτε γὰρ ἄν που ἐλάττους γένοιντο μηδεμιᾶς ἀπολλυμένης, οὔτε αὖ πλείους. Hier ist unbestreitbar Prädicat des ersten Satzes nur εἶεν: existiren werden immer dieselben Seelen, nicht αἱ αὐταὶ εἶεν („die Seelen sind immer dieselben“), wie Teich- müller, Platon. Frage 7 ff. annimmt, und es wird so deutlich wie nur möglich die Unvergänglichkeit der in begrenzter Zahl existirenden Viel- heit einzelner Seelen behauptet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0586" n="570"/> selbständig seit Ewigkeit lebendiger, nicht in der Welt der<lb/> Sinnlichkeit bei der Bildung eines lebenden Wesens erst ent-<lb/> stehender Seelen, die in die Leiblichkeit wie in ein fremdes,<lb/> feindliches Element verschlossen, diese Gemeinschaft mit dem<lb/> Leibe überleben, viele Leiber durchwandern, immer aber nach<lb/> dem Zerfall eines jeden Leibes unversehrt sich erhalten, ewig,<lb/> endlos, wie sie anfangslos <note place="foot" n="1)">ἐπειδὴ δὲ ἀγένητόν ἐστι, καὶ ἀδιάφϑορον αὐτὸ ἀνάγκη εἶναι. <hi rendition="#i">Phaedr.</hi><lb/> 245 D. Der alte Schluss von der Anfangslosigkeit der Einzelseele (von<lb/> ihr redet Plato) auf die Endlosigkeit ihres Lebens.</note> und seit Ewigkeit lebendig sind.<lb/> Und zwar lebendig als geschlossene, untheilbare, persönlich be-<lb/> stimmte Einzelwesen, nicht als unselbständige Ausstrahlungen<lb/> eines einzigen allgemeinsamen Lebendigen.</p><lb/> <p>Die Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der<lb/> individuellen Seelen, von der persönlichen Unsterblichkeit der<lb/> Seelen ist mit Platos eigenster Speculation, mit der Ideenlehre,<lb/> schwer in Einklang zu bringen <note place="foot" n="2)">Dies kann Teichmüllers Ausführungen zugegeben werden. „Das<lb/> Individuum und die individuelle Seele ist nicht ein selbständiges Princip,<lb/> sondern nur ein Resultat der Mischung aus Idee und dem Princip des<lb/> Werdens“ (wiewohl Plato es nicht so ansieht); daher bei Plato „das<lb/> Individuelle nicht ewig ist (d. h. sein sollte), und die ewigen Principien<lb/> nicht individuell sind.“ (<hi rendition="#i">Stud. z. Gesch. d. Begr.</hi> [1874] p. 115. 142). Aber<lb/> alles was T. in diesem Sinne ausführt, dient nur einer Kritik der pla-<lb/> tonischen Seelenlehre, nicht einer Richtigstellung dessen was Plato wirk-<lb/> lich gelehrt hat. Er spricht von der Unsterblichkeit, d. h. Ewigkeit der<lb/> individuellen Seele überall, von einer Unvergänglichkeit nur der „all-<lb/> gemeinen Natur“ der Seele nirgends, und dieser Thatbestand ist mit der<lb/> Berücksichtigung einer von T. angerufenen, angeblichen „Orthodoxie“,<lb/> der Plato sich anbequeme, nicht entfernt erklärt. Dass Plato eine Vielheit<lb/> individueller Seelen und deren Unvergänglichkeit annahm, würde, wenn<lb/> nirgends sonsther, allein schon aus <hi rendition="#i">Rep.</hi> 10, 611 A vollständig bestimmt<lb/> zu erkennen sein: — ἀεὶ ἂν εἶεν αἱ αὐταί (ψυχαί). οὔτε γὰρ ἄν που ἐλάττους<lb/> γένοιντο μηδεμιᾶς ἀπολλυμένης, οὔτε αὖ πλείους. Hier ist unbestreitbar<lb/> Prädicat des ersten Satzes nur εἶεν: existiren werden immer dieselben<lb/> Seelen, nicht αἱ αὐταὶ εἶεν („die Seelen sind immer dieselben“), wie Teich-<lb/> müller, <hi rendition="#i">Platon. Frage</hi> 7 ff. annimmt, und es wird so deutlich wie nur<lb/> möglich die Unvergänglichkeit der in begrenzter Zahl existirenden Viel-<lb/> heit einzelner Seelen behauptet.</note>. Gleichwohl ist unbestreitbar,<lb/> dass er diese Lehre, seit er sie, und gerade in Verbindung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [570/0586]
selbständig seit Ewigkeit lebendiger, nicht in der Welt der
Sinnlichkeit bei der Bildung eines lebenden Wesens erst ent-
stehender Seelen, die in die Leiblichkeit wie in ein fremdes,
feindliches Element verschlossen, diese Gemeinschaft mit dem
Leibe überleben, viele Leiber durchwandern, immer aber nach
dem Zerfall eines jeden Leibes unversehrt sich erhalten, ewig,
endlos, wie sie anfangslos 1) und seit Ewigkeit lebendig sind.
Und zwar lebendig als geschlossene, untheilbare, persönlich be-
stimmte Einzelwesen, nicht als unselbständige Ausstrahlungen
eines einzigen allgemeinsamen Lebendigen.
Die Lehre von der Ewigkeit und Unvergänglichkeit der
individuellen Seelen, von der persönlichen Unsterblichkeit der
Seelen ist mit Platos eigenster Speculation, mit der Ideenlehre,
schwer in Einklang zu bringen 2). Gleichwohl ist unbestreitbar,
dass er diese Lehre, seit er sie, und gerade in Verbindung
1) ἐπειδὴ δὲ ἀγένητόν ἐστι, καὶ ἀδιάφϑορον αὐτὸ ἀνάγκη εἶναι. Phaedr.
245 D. Der alte Schluss von der Anfangslosigkeit der Einzelseele (von
ihr redet Plato) auf die Endlosigkeit ihres Lebens.
2) Dies kann Teichmüllers Ausführungen zugegeben werden. „Das
Individuum und die individuelle Seele ist nicht ein selbständiges Princip,
sondern nur ein Resultat der Mischung aus Idee und dem Princip des
Werdens“ (wiewohl Plato es nicht so ansieht); daher bei Plato „das
Individuelle nicht ewig ist (d. h. sein sollte), und die ewigen Principien
nicht individuell sind.“ (Stud. z. Gesch. d. Begr. [1874] p. 115. 142). Aber
alles was T. in diesem Sinne ausführt, dient nur einer Kritik der pla-
tonischen Seelenlehre, nicht einer Richtigstellung dessen was Plato wirk-
lich gelehrt hat. Er spricht von der Unsterblichkeit, d. h. Ewigkeit der
individuellen Seele überall, von einer Unvergänglichkeit nur der „all-
gemeinen Natur“ der Seele nirgends, und dieser Thatbestand ist mit der
Berücksichtigung einer von T. angerufenen, angeblichen „Orthodoxie“,
der Plato sich anbequeme, nicht entfernt erklärt. Dass Plato eine Vielheit
individueller Seelen und deren Unvergänglichkeit annahm, würde, wenn
nirgends sonsther, allein schon aus Rep. 10, 611 A vollständig bestimmt
zu erkennen sein: — ἀεὶ ἂν εἶεν αἱ αὐταί (ψυχαί). οὔτε γὰρ ἄν που ἐλάττους
γένοιντο μηδεμιᾶς ἀπολλυμένης, οὔτε αὖ πλείους. Hier ist unbestreitbar
Prädicat des ersten Satzes nur εἶεν: existiren werden immer dieselben
Seelen, nicht αἱ αὐταὶ εἶεν („die Seelen sind immer dieselben“), wie Teich-
müller, Platon. Frage 7 ff. annimmt, und es wird so deutlich wie nur
möglich die Unvergänglichkeit der in begrenzter Zahl existirenden Viel-
heit einzelner Seelen behauptet.
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