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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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nichts liege, in denen allein die Eitelkeit der Ueberlebenden
sich gefalle 1); dass Ehre oder Unehre den Todten nicht mehr
kümmere 2). Wie sollte das auch geschehen, wenn doch der
Verstorbene Schmerz und Lust nicht mehr empfindet, ein
Nichts ist, wie das sogar mitten in der "Alkestis" wiederholt
ausgesprochen wird 3).

Es ist klar, dass nur aus einem willkürlich eingenommenen
Standpunkte gesehen, dem Dichter die Bilder des volksthüm-
lichen Seelenglaubens und Seelencultes den Schein der Wirk-
lichkeit hatten, sonst aber ihm wie Traumbilder leicht zer-
flatterten 4). Die Lehren der Theologen gewähren ihm keinen

1) doko de tois thanousi diapherein brakhu, ei plousion tis teuxetai kte-
rismaton; kenon de gaurom esti ton zonton tode. Troad. 1237 ff.
2) fr. 176.
3) ouden esth o katthanon Alc. 392. Die Todten oi ouket ontes: 333.
tois (den Todten) men gar ouden algos apsetai pote, pollon de mokhthon
euklees epausato 943 f. Selbst der Ruhm aber ist dem Todten nichts.
Admet zu seinem Vater in jenem scurrilen Dialog: thane ge mentoi dus-
klees, otan thanes. Worauf der Alte gleichmüthig: kakos akouein ou
melei thanonti moi (737. 38).
4) Es könnte einfacher scheinen, alle mit dem herkömmlichen Glau-
ben übereinstimmenden Aeusserungen der Personen eines Dramas nur als
deren eigene, vom Ueberlieferten nicht abweichende Ansichten gelten zu
lassen, die der Dichter keineswegs für seine eigenen Ansichten ausgeben
wolle. Nicht aus seinen, nur aus ihren eigenen Vorstellungen und Mo-
tiven heraus können ja doch seine frei hingestellten und selbständig
agirenden Figuren reden und handeln. Aber im antiken Drama gilt
diese völlige Ablösung der Erscheinungen des dramatischen Bildes von
dem Bildner, dem Dichter des Dramas, nur in eingeschränktem Sinne.
Viel einschneidender als die Grössten unter den Neueren übt der antike
Dramatiker sein Richteramt: der Verlauf seines Gedichtes zeigt deutlich
an, welche Thaten und Charaktere ihm als verwerflich gelten, aber auch
welche Meinungsäusserungen/choice> er billigt, welche nicht. Man denke etwa
an die Ausfälle des Oedipus und der Iokaste gegen die Götterwahrsprüche
im Oed. Tyr. (oder an die Erzählung des Seneca, epist. 115, 14: Eurip.
fr. 324). So darf man solche Aussprüche der Bühnenpersonen, die ohne
thatsächliche oder ausgesprochene Correctur bleiben, als solche ansehn,
die dem Dichter selbst nicht als verwerflich gelten. Euripides vollends
lässt seine Personen so häufig Meinungen und Lehren vortragen, die nur
seine eigenen Ansichten und Stimmungen ausdrücken können, dass man
auch da, wo ihre Aeusserungen mit den Annahmen des überlieferten

nichts liege, in denen allein die Eitelkeit der Ueberlebenden
sich gefalle 1); dass Ehre oder Unehre den Todten nicht mehr
kümmere 2). Wie sollte das auch geschehen, wenn doch der
Verstorbene Schmerz und Lust nicht mehr empfindet, ein
Nichts ist, wie das sogar mitten in der „Alkestis“ wiederholt
ausgesprochen wird 3).

Es ist klar, dass nur aus einem willkürlich eingenommenen
Standpunkte gesehen, dem Dichter die Bilder des volksthüm-
lichen Seelenglaubens und Seelencultes den Schein der Wirk-
lichkeit hatten, sonst aber ihm wie Traumbilder leicht zer-
flatterten 4). Die Lehren der Theologen gewähren ihm keinen

1) δοκῶ δὲ τοῖς ϑανοῦσι διαφέρειν βραχύ, εἰ πλουσίων τις τεύξεται κτε-
ρισμάτων· κενὸν δὲ γαύρωμ̕ ἐστὶ τῶν ζώντων τόδε. Troad. 1237 ff.
2) fr. 176.
3) οὐδὲν ἔσϑ̕ ὁ κατϑανών Alc. 392. Die Todten οἱ οὐκέτ̕ ὄντες: 333.
τοῖς (den Todten) μὲν γὰρ οὐδὲν ἄλγος ἅψεταί ποτε, πολλῶν δὲ μόχϑων
εὐκλεὴς ἐπάυσατο 943 f. Selbst der Ruhm aber ist dem Todten nichts.
Admet zu seinem Vater in jenem scurrilen Dialog: ϑάνῃ γε μέντοι δυσ-
κλεής, ὅταν ϑάνῃς. Worauf der Alte gleichmüthig: κακῶς ἀκούειν οὐ
μέλει ϑανόντι μοι (737. 38).
4) Es könnte einfacher scheinen, alle mit dem herkömmlichen Glau-
ben übereinstimmenden Aeusserungen der Personen eines Dramas nur als
deren eigene, vom Ueberlieferten nicht abweichende Ansichten gelten zu
lassen, die der Dichter keineswegs für seine eigenen Ansichten ausgeben
wolle. Nicht aus seinen, nur aus ihren eigenen Vorstellungen und Mo-
tiven heraus können ja doch seine frei hingestellten und selbständig
agirenden Figuren reden und handeln. Aber im antiken Drama gilt
diese völlige Ablösung der Erscheinungen des dramatischen Bildes von
dem Bildner, dem Dichter des Dramas, nur in eingeschränktem Sinne.
Viel einschneidender als die Grössten unter den Neueren übt der antike
Dramatiker sein Richteramt: der Verlauf seines Gedichtes zeigt deutlich
an, welche Thaten und Charaktere ihm als verwerflich gelten, aber auch
welche Meinungsäusserungen/choice> er billigt, welche nicht. Man denke etwa
an die Ausfälle des Oedipus und der Iokaste gegen die Götterwahrsprüche
im Oed. Tyr. (oder an die Erzählung des Seneca, epist. 115, 14: Eurip.
fr. 324). So darf man solche Aussprüche der Bühnenpersonen, die ohne
thatsächliche oder ausgesprochene Correctur bleiben, als solche ansehn,
die dem Dichter selbst nicht als verwerflich gelten. Euripides vollends
lässt seine Personen so häufig Meinungen und Lehren vortragen, die nur
seine eigenen Ansichten und Stimmungen ausdrücken können, dass man
auch da, wo ihre Aeusserungen mit den Annahmen des überlieferten
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[544/0560] nichts liege, in denen allein die Eitelkeit der Ueberlebenden sich gefalle 1); dass Ehre oder Unehre den Todten nicht mehr kümmere 2). Wie sollte das auch geschehen, wenn doch der Verstorbene Schmerz und Lust nicht mehr empfindet, ein Nichts ist, wie das sogar mitten in der „Alkestis“ wiederholt ausgesprochen wird 3). Es ist klar, dass nur aus einem willkürlich eingenommenen Standpunkte gesehen, dem Dichter die Bilder des volksthüm- lichen Seelenglaubens und Seelencultes den Schein der Wirk- lichkeit hatten, sonst aber ihm wie Traumbilder leicht zer- flatterten 4). Die Lehren der Theologen gewähren ihm keinen 1) δοκῶ δὲ τοῖς ϑανοῦσι διαφέρειν βραχύ, εἰ πλουσίων τις τεύξεται κτε- ρισμάτων· κενὸν δὲ γαύρωμ̕ ἐστὶ τῶν ζώντων τόδε. Troad. 1237 ff. 2) fr. 176. 3) οὐδὲν ἔσϑ̕ ὁ κατϑανών Alc. 392. Die Todten οἱ οὐκέτ̕ ὄντες: 333. τοῖς (den Todten) μὲν γὰρ οὐδὲν ἄλγος ἅψεταί ποτε, πολλῶν δὲ μόχϑων εὐκλεὴς ἐπάυσατο 943 f. Selbst der Ruhm aber ist dem Todten nichts. Admet zu seinem Vater in jenem scurrilen Dialog: ϑάνῃ γε μέντοι δυσ- κλεής, ὅταν ϑάνῃς. Worauf der Alte gleichmüthig: κακῶς ἀκούειν οὐ μέλει ϑανόντι μοι (737. 38). 4) Es könnte einfacher scheinen, alle mit dem herkömmlichen Glau- ben übereinstimmenden Aeusserungen der Personen eines Dramas nur als deren eigene, vom Ueberlieferten nicht abweichende Ansichten gelten zu lassen, die der Dichter keineswegs für seine eigenen Ansichten ausgeben wolle. Nicht aus seinen, nur aus ihren eigenen Vorstellungen und Mo- tiven heraus können ja doch seine frei hingestellten und selbständig agirenden Figuren reden und handeln. Aber im antiken Drama gilt diese völlige Ablösung der Erscheinungen des dramatischen Bildes von dem Bildner, dem Dichter des Dramas, nur in eingeschränktem Sinne. Viel einschneidender als die Grössten unter den Neueren übt der antike Dramatiker sein Richteramt: der Verlauf seines Gedichtes zeigt deutlich an, welche Thaten und Charaktere ihm als verwerflich gelten, aber auch welche Meinungsäusserungen/choice> er billigt, welche nicht. Man denke etwa an die Ausfälle des Oedipus und der Iokaste gegen die Götterwahrsprüche im Oed. Tyr. (oder an die Erzählung des Seneca, epist. 115, 14: Eurip. fr. 324). So darf man solche Aussprüche der Bühnenpersonen, die ohne thatsächliche oder ausgesprochene Correctur bleiben, als solche ansehn, die dem Dichter selbst nicht als verwerflich gelten. Euripides vollends lässt seine Personen so häufig Meinungen und Lehren vortragen, die nur seine eigenen Ansichten und Stimmungen ausdrücken können, dass man auch da, wo ihre Aeusserungen mit den Annahmen des überlieferten

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/560>, abgerufen am 23.11.2024.