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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Ist Sophokles dieser ganzen Bewegung, die in Athen ihre
höchsten Wellen schlug, ferngeblieben, so hat sie den Euri-
pides
völlig in ihre Wirbel gezogen. Philosophen und So-
phisten hat er persönlich und in ihren Schriften aufgesucht;
sein nach Wahrheit drängender Geist folgt jedem sich dar-
bietenden Führer zu Wahrheit und Weisheit eine Strecke. Aber
er vermag nicht, Eine Richtung einzuhalten; in der Rastlosig-
keit und Rathlosigkeit des Suchens und Versuchens ist er der
rechte Sohn seiner Zeit.

Er ist soweit in Philosophie und Sophistik eingewurzelt,
dass ihm in Glauben und Herkommen seines Volkes nichts
ohne Prüfung giltig scheint. So weit es in den Schranken
dramatischer Kunst irgend möglich ist, übt er, unbedenklich

flüchtig aufgebaute Schrift darstellt, mehr zuzutheilen, als was ihm dort
ausdrücklich zugeschrieben wird: die Betrachtung über die Mühsal des
Lebens auf allen Altersstufen 366 D--367 C, und den Spruch: oti o thana-
tos oute peri tous zontas estin oute peri tous metellakhotas ktl.: 369 B.
(s. Buresch, Leipz. Stud. IX 8. 9.) Und diese beiden Abschnitte würden,
vereinigt, als Ansicht des Prodikos das Gegentheil dessen ergeben, was
ihm Welcker zuschrieb. Er würde sich als ein wahrer peisithanatos dar-
stellen (--ex ekeinou thanata mou e psukhe 366 C), der nach den Mühen des
Lebens den Tod einfach als einen Ausweg in einen empfindungslosen
Zustand, ein völliges Nichts, erscheinen lassen wollte. Aber auf die Aus-
sagen jener Schrift ist überhaupt kein Verlass, sie scheint den Prodikos,
als den bei Plato so oft erwähnten "Lehrer" des Sokrates, nur vorzu-
schieben, um einen bestimmten Gewährsmann (wie nachher den fabulosen
Gobryes) für das zu nennen, was sie den Sokrates nicht aus eigener
Autorität vorbringen lassen wollte. Der eine Ausspruch des angeblichen
Prodikos, oti o thanatos -- ist doch (wie Heinze, Ber. d. sächs. Ges. d.
Wiss.
1884, p. 332 bemerkt) gar zu deutlich aus Epikurs Kernspruch:
o thanatos ouden pros emas ktl. (p. 61, 6 ff. Us. Vgl. p. 227, 30; Usener
p. 391; 395) einfach entlehnt. Die andre Ausführung (366 D ff.) stimmt
in verdächtiger Weise mit dem, was Teles p. 38 (Hens.), wie es scheint
ganz nach Krates dem Cyniker, vorbringt: es hat alle Wahrscheinlich-
keit, dass der Verfasser des Axiochos ebenfalls den Krates oder gar (wie
schon Wyttenbach, Plut. Moral. VI, p. 41 annahm) den Teles vor Augen
hatte, und das anderswoher Entlehnte seinen "Prodikos" vortragen liess,
mit einer Fiction, wie sie die Verfasser solcher Dialoge sich nie übel
genommen haben. -- Was also Prodikos über die Seele und ihre Be-
stimmung gesagt haben mag, wissen wir nicht.

Ist Sophokles dieser ganzen Bewegung, die in Athen ihre
höchsten Wellen schlug, ferngeblieben, so hat sie den Euri-
pides
völlig in ihre Wirbel gezogen. Philosophen und So-
phisten hat er persönlich und in ihren Schriften aufgesucht;
sein nach Wahrheit drängender Geist folgt jedem sich dar-
bietenden Führer zu Wahrheit und Weisheit eine Strecke. Aber
er vermag nicht, Eine Richtung einzuhalten; in der Rastlosig-
keit und Rathlosigkeit des Suchens und Versuchens ist er der
rechte Sohn seiner Zeit.

Er ist soweit in Philosophie und Sophistik eingewurzelt,
dass ihm in Glauben und Herkommen seines Volkes nichts
ohne Prüfung giltig scheint. So weit es in den Schranken
dramatischer Kunst irgend möglich ist, übt er, unbedenklich

flüchtig aufgebaute Schrift darstellt, mehr zuzutheilen, als was ihm dort
ausdrücklich zugeschrieben wird: die Betrachtung über die Mühsal des
Lebens auf allen Altersstufen 366 D—367 C, und den Spruch: ὅτι ὁ ϑάνα-
τος οὔτε περὶ τοὺς ζῶντάς ἐστιν οὔτε περὶ τοὺς μετηλλαχότας κτλ.: 369 B.
(s. Buresch, Leipz. Stud. IX 8. 9.) Und diese beiden Abschnitte würden,
vereinigt, als Ansicht des Prodikos das Gegentheil dessen ergeben, was
ihm Welcker zuschrieb. Er würde sich als ein wahrer πεισιϑάνατος dar-
stellen (—ἐξ ἐκείνου ϑανατᾷ μου ἡ ψυχή 366 C), der nach den Mühen des
Lebens den Tod einfach als einen Ausweg in einen empfindungslosen
Zustand, ein völliges Nichts, erscheinen lassen wollte. Aber auf die Aus-
sagen jener Schrift ist überhaupt kein Verlass, sie scheint den Prodikos,
als den bei Plato so oft erwähnten „Lehrer“ des Sokrates, nur vorzu-
schieben, um einen bestimmten Gewährsmann (wie nachher den fabulosen
Gobryes) für das zu nennen, was sie den Sokrates nicht aus eigener
Autorität vorbringen lassen wollte. Der eine Ausspruch des angeblichen
Prodikos, ὅτι ὁ ϑάνατος — ist doch (wie Heinze, Ber. d. sächs. Ges. d.
Wiss.
1884, p. 332 bemerkt) gar zu deutlich aus Epikurs Kernspruch:
ὁ ϑάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς κτλ. (p. 61, 6 ff. Us. Vgl. p. 227, 30; Usener
p. 391; 395) einfach entlehnt. Die andre Ausführung (366 D ff.) stimmt
in verdächtiger Weise mit dem, was Teles p. 38 (Hens.), wie es scheint
ganz nach Krates dem Cyniker, vorbringt: es hat alle Wahrscheinlich-
keit, dass der Verfasser des Axiochos ebenfalls den Krates oder gar (wie
schon Wyttenbach, Plut. Moral. VI, p. 41 annahm) den Teles vor Augen
hatte, und das anderswoher Entlehnte seinen „Prodikos“ vortragen liess,
mit einer Fiction, wie sie die Verfasser solcher Dialoge sich nie übel
genommen haben. — Was also Prodikos über die Seele und ihre Be-
stimmung gesagt haben mag, wissen wir nicht.
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[539/0555] Ist Sophokles dieser ganzen Bewegung, die in Athen ihre höchsten Wellen schlug, ferngeblieben, so hat sie den Euri- pides völlig in ihre Wirbel gezogen. Philosophen und So- phisten hat er persönlich und in ihren Schriften aufgesucht; sein nach Wahrheit drängender Geist folgt jedem sich dar- bietenden Führer zu Wahrheit und Weisheit eine Strecke. Aber er vermag nicht, Eine Richtung einzuhalten; in der Rastlosig- keit und Rathlosigkeit des Suchens und Versuchens ist er der rechte Sohn seiner Zeit. Er ist soweit in Philosophie und Sophistik eingewurzelt, dass ihm in Glauben und Herkommen seines Volkes nichts ohne Prüfung giltig scheint. So weit es in den Schranken dramatischer Kunst irgend möglich ist, übt er, unbedenklich 1) 1) flüchtig aufgebaute Schrift darstellt, mehr zuzutheilen, als was ihm dort ausdrücklich zugeschrieben wird: die Betrachtung über die Mühsal des Lebens auf allen Altersstufen 366 D—367 C, und den Spruch: ὅτι ὁ ϑάνα- τος οὔτε περὶ τοὺς ζῶντάς ἐστιν οὔτε περὶ τοὺς μετηλλαχότας κτλ.: 369 B. (s. Buresch, Leipz. Stud. IX 8. 9.) Und diese beiden Abschnitte würden, vereinigt, als Ansicht des Prodikos das Gegentheil dessen ergeben, was ihm Welcker zuschrieb. Er würde sich als ein wahrer πεισιϑάνατος dar- stellen (—ἐξ ἐκείνου ϑανατᾷ μου ἡ ψυχή 366 C), der nach den Mühen des Lebens den Tod einfach als einen Ausweg in einen empfindungslosen Zustand, ein völliges Nichts, erscheinen lassen wollte. Aber auf die Aus- sagen jener Schrift ist überhaupt kein Verlass, sie scheint den Prodikos, als den bei Plato so oft erwähnten „Lehrer“ des Sokrates, nur vorzu- schieben, um einen bestimmten Gewährsmann (wie nachher den fabulosen Gobryes) für das zu nennen, was sie den Sokrates nicht aus eigener Autorität vorbringen lassen wollte. Der eine Ausspruch des angeblichen Prodikos, ὅτι ὁ ϑάνατος — ist doch (wie Heinze, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1884, p. 332 bemerkt) gar zu deutlich aus Epikurs Kernspruch: ὁ ϑάνατος οὐδὲν πρὸς ἡμᾶς κτλ. (p. 61, 6 ff. Us. Vgl. p. 227, 30; Usener p. 391; 395) einfach entlehnt. Die andre Ausführung (366 D ff.) stimmt in verdächtiger Weise mit dem, was Teles p. 38 (Hens.), wie es scheint ganz nach Krates dem Cyniker, vorbringt: es hat alle Wahrscheinlich- keit, dass der Verfasser des Axiochos ebenfalls den Krates oder gar (wie schon Wyttenbach, Plut. Moral. VI, p. 41 annahm) den Teles vor Augen hatte, und das anderswoher Entlehnte seinen „Prodikos“ vortragen liess, mit einer Fiction, wie sie die Verfasser solcher Dialoge sich nie übel genommen haben. — Was also Prodikos über die Seele und ihre Be- stimmung gesagt haben mag, wissen wir nicht.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/555>, abgerufen am 23.11.2024.