auch die Jonier Kleinasiens nachweislich manchen Götterdienst ihrer alten Heimath in das neue Land verpflanzt, so muss doch diese Auswanderung (die ja überhaupt die Bande zwischen dem alten und dem neuen Lande keineswegs so eng bestehen liess, wie Colonieführungen späterer Zeit) viele locale Culte zugleich mit der Preisgebung des Locals, an das sie gebunden waren, abgerissen haben. Ein Localcult, an die Grabstätten der Vorfahren gebunden, war aber vor Allem der Ahnen- cult. Verpflanzen liess sich wohl das Andenken der Ahnen, aber nicht der religiöse Dienst, der nur an dem Orte ihnen gewidmet werden konnte, der ihre Leiber barg, und den man zurückgelassen hatte im Feindesland. Die Thaten der Vor- fahren lebten im Gesange weiter, aber sie selbst verfielen nun eben der Poesie, die Phantasie schmückte ihr irdisches Leben, aber der Verehrung ihrer abgeschiedenen Seelen entwöhnte sich eine Welt, die durch keine regelmässig wiederholten Begehungen mehr an deren Macht erinnert wurde. Und wenn so die ge- steigerte Art des Seelencultes, die Ahnenverehrung, abstarb, so wird für die Erhaltung und kräftigere Ausbildung des allgemeinen Seelencultes, des Cultes der Seelen der drüben im neuen Lande gestorbenen und begrabenen Geschlechter, das stärkste Hinder- niss in der Gewöhnung an die Verbrennung der Leichen gelegen haben. Wenn wahrscheinlich der Grund der Einführung dieser Art der Bestattung, wie oben ausgeführt ist, in dem Wunsche lag, die Seelen völlig und schnell aus dem Bereiche der Leben- den abzudrängen, so ist ganz zweifellos die Folge dieser Sitte diese gewesen, dass der Glaube an die Nähe der abgeschie- denen Seelen, an die Verpflichtung zu deren religiöser Ver- ehrung keinen Halt mehr fand und abwelkte.
3.
So lässt sich wenigstens ahnend verstehen, wie durch die eigenen Erlebnisse, durch die veränderte Sitte der Bestattung das ionische Volk des homerischen Zeitalters zu derjenigen Ansicht vom Seelenwesen gelangen konnte, die wir aus den
auch die Jonier Kleinasiens nachweislich manchen Götterdienst ihrer alten Heimath in das neue Land verpflanzt, so muss doch diese Auswanderung (die ja überhaupt die Bande zwischen dem alten und dem neuen Lande keineswegs so eng bestehen liess, wie Colonieführungen späterer Zeit) viele locale Culte zugleich mit der Preisgebung des Locals, an das sie gebunden waren, abgerissen haben. Ein Localcult, an die Grabstätten der Vorfahren gebunden, war aber vor Allem der Ahnen- cult. Verpflanzen liess sich wohl das Andenken der Ahnen, aber nicht der religiöse Dienst, der nur an dem Orte ihnen gewidmet werden konnte, der ihre Leiber barg, und den man zurückgelassen hatte im Feindesland. Die Thaten der Vor- fahren lebten im Gesange weiter, aber sie selbst verfielen nun eben der Poesie, die Phantasie schmückte ihr irdisches Leben, aber der Verehrung ihrer abgeschiedenen Seelen entwöhnte sich eine Welt, die durch keine regelmässig wiederholten Begehungen mehr an deren Macht erinnert wurde. Und wenn so die ge- steigerte Art des Seelencultes, die Ahnenverehrung, abstarb, so wird für die Erhaltung und kräftigere Ausbildung des allgemeinen Seelencultes, des Cultes der Seelen der drüben im neuen Lande gestorbenen und begrabenen Geschlechter, das stärkste Hinder- niss in der Gewöhnung an die Verbrennung der Leichen gelegen haben. Wenn wahrscheinlich der Grund der Einführung dieser Art der Bestattung, wie oben ausgeführt ist, in dem Wunsche lag, die Seelen völlig und schnell aus dem Bereiche der Leben- den abzudrängen, so ist ganz zweifellos die Folge dieser Sitte diese gewesen, dass der Glaube an die Nähe der abgeschie- denen Seelen, an die Verpflichtung zu deren religiöser Ver- ehrung keinen Halt mehr fand und abwelkte.
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So lässt sich wenigstens ahnend verstehen, wie durch die eigenen Erlebnisse, durch die veränderte Sitte der Bestattung das ionische Volk des homerischen Zeitalters zu derjenigen Ansicht vom Seelenwesen gelangen konnte, die wir aus den
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auch die Jonier Kleinasiens nachweislich manchen Götterdienst
ihrer alten Heimath in das neue Land verpflanzt, so muss doch
diese Auswanderung (die ja überhaupt die Bande zwischen
dem alten und dem neuen Lande keineswegs so eng bestehen
liess, wie Colonieführungen späterer Zeit) viele locale Culte
zugleich mit der Preisgebung des Locals, an das sie gebunden
waren, abgerissen haben. Ein Localcult, an die Grabstätten
der Vorfahren gebunden, war aber vor Allem der Ahnen-
cult. Verpflanzen liess sich wohl das Andenken der Ahnen,
aber nicht der religiöse Dienst, der nur an dem Orte ihnen
gewidmet werden konnte, der ihre Leiber barg, und den man
zurückgelassen hatte im Feindesland. Die Thaten der Vor-
fahren lebten im Gesange weiter, aber sie selbst verfielen nun
eben der Poesie, die Phantasie schmückte ihr irdisches Leben,
aber der Verehrung ihrer abgeschiedenen Seelen entwöhnte sich
eine Welt, die durch keine regelmässig wiederholten Begehungen
mehr an deren Macht erinnert wurde. Und wenn so die ge-
steigerte Art des Seelencultes, die Ahnenverehrung, abstarb, so
wird für die Erhaltung und kräftigere Ausbildung des allgemeinen
Seelencultes, des Cultes der Seelen der drüben im neuen Lande
gestorbenen und begrabenen Geschlechter, das stärkste Hinder-
niss in der Gewöhnung an die Verbrennung der Leichen gelegen
haben. Wenn wahrscheinlich der Grund der Einführung dieser
Art der Bestattung, wie oben ausgeführt ist, in dem Wunsche
lag, die Seelen völlig und schnell aus dem Bereiche der Leben-
den abzudrängen, so ist ganz zweifellos die Folge dieser Sitte
diese gewesen, dass der Glaube an die Nähe der abgeschie-
denen Seelen, an die Verpflichtung zu deren religiöser Ver-
ehrung keinen Halt mehr fand und abwelkte.
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So lässt sich wenigstens ahnend verstehen, wie durch die
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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