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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Erkenntnissweise der ekstatischen Erregung ist sie thätig 1),
ihr allein ist wohl auch der philosophische Tiefblick eigen, der,
über die sinnliche Auffassung eines beschränkten Erfahrungs-
gebietes hinausdringend, die Gesammtheit des Weltwesens nach
seiner wahren Beschaffenheit erkennt 2). Auf sie allein be-
ziehen sich alle Forderungen sittlich-religiöser Art; Pflichten
in diesem höheren Sinne hat nur sie; sie hat etwas von der
Natur des "Gewissens". Ihre oberste Pflicht ist, sich selbst
zu erlösen aus der unseligen Vereinigung mit dem Leibe und

1) Wenigstens sprach E. von der Ekstasis, dem furor der animi
purgamento
geschehe, und wohl zu unterscheiden sei von dem durch
alienatio mentis (phronein alloia V. 377) bewirkten. Coel. Aurel. tard. pass.
1, 144. 145. -- Ein eigenes enthousiastikon in der Seele als deren theiotaton:
Stoiker (und Plato) nach Doxogr. 639, 25. Ein eigenes, die Vereinigung
mit dem Göttlichen ermöglichendes Seelenorgan, als anthos tes ousias
emon, bei Proclus (Zeller, Phil. d. Gr.2 III 2, 738).
2) to olon, die ganze Wahrheit des Seins und Werdens in der Welt,
kann der Mensch weder in sinnlicher Wahrnehmung noch mit dem nous
erfassen: V. 36--43. Empedokles hat sie nun doch seiner Ueberzeugung
nach erfasst, er sitzt sophies ep akroisi (52), auten epaggelletai dosein ten
aletheian (Procl. in Tim. 106 E.). Woher kennt er aber diese Wahrheit,
wenn sie doch weder den Sinnen noch dem nous sich offenbart? Es sind
jedenfalls die, seinen Seelendämon aus dem Götterreich herabgeleitenden
psukhopompoi dunameis (Porphyr. de antro nymph. 8), die zu diesem sagen
(v. 43 f.): su doun epei od eliasthes (d. h. "da du hierher -- auf die
Erde -- verschlagen bist", nicht: da du es so verlangt hast, wie Bergk
opusc. 2, 23 erklärt; wobei ein schiefer Gedanke in verschrobenem Aus-
drucke herauskäme) peuseai ou pleon ee broteie metis opopen (so mit
Panzerbieter, für orore. opope wie V. 378). Demnach muss man wohl
annehmen, dass er seine höhere Weisheit (Einsicht in die mixis te dial-
laxis te migenton der Elemente, aber auch Schicksale und Aufgaben der
Seelendämonen u. s. w.), die auf Erden und im irdischen Leibe nicht zu
gewinnen ist, mitbringt aus seinem göttlichen Vorleben, dass sie also
allein dem, in den Leib versenkten Dämon oder der psukhe im alten Sinne,
eigen ist, dem Empedokles wohl eine anamnesis (sicher nur als seltene
Begabung) an die Weisheit seines früheren Lebens zutraut. (Woher sonst
auch seine Kenntniss seiner früheren ensomatoseis 11. 12?) Er weiss
sogar noch mehr und tieferes als er mittheilen darf: dass er eine letzte,
für Menschenohren nicht taugende Weisheit aus Frömmigkeit zurückhalte,
sagen doch in der That die Verse 45--51 ganz deutlich aus (insoweit
haben ihn die Gewährsmänner [-- alloi desan oi legontes --] des Sext.
Empir. adv. math. 7, 122 ganz richtig verstanden).

Erkenntnissweise der ekstatischen Erregung ist sie thätig 1),
ihr allein ist wohl auch der philosophische Tiefblick eigen, der,
über die sinnliche Auffassung eines beschränkten Erfahrungs-
gebietes hinausdringend, die Gesammtheit des Weltwesens nach
seiner wahren Beschaffenheit erkennt 2). Auf sie allein be-
ziehen sich alle Forderungen sittlich-religiöser Art; Pflichten
in diesem höheren Sinne hat nur sie; sie hat etwas von der
Natur des „Gewissens“. Ihre oberste Pflicht ist, sich selbst
zu erlösen aus der unseligen Vereinigung mit dem Leibe und

1) Wenigstens sprach E. von der Ekstasis, dem furor der animi
purgamento
geschehe, und wohl zu unterscheiden sei von dem durch
alienatio mentis (φρονεῖν ἀλλοῖα V. 377) bewirkten. Coel. Aurel. tard. pass.
1, 144. 145. — Ein eigenes ἐνϑουσιαστικόν in der Seele als deren ϑειότατον:
Stoiker (und Plato) nach Doxogr. 639, 25. Ein eigenes, die Vereinigung
mit dem Göttlichen ermöglichendes Seelenorgan, als ἄνϑος τῆς οὐσίας
ἡμῶν, bei Proclus (Zeller, Phil. d. Gr.2 III 2, 738).
2) τὸ ὅλον, die ganze Wahrheit des Seins und Werdens in der Welt,
kann der Mensch weder in sinnlicher Wahrnehmung noch mit dem νοῦς
erfassen: V. 36—43. Empedokles hat sie nun doch seiner Ueberzeugung
nach erfasst, er sitzt σοφίης ἐπ̕ ἄκροισι (52), αὐτὴν ἐπαγγέλλεται δώσειν τὴν
ἀλήϑειαν (Procl. in Tim. 106 E.). Woher kennt er aber diese Wahrheit,
wenn sie doch weder den Sinnen noch dem νοῦς sich offenbart? Es sind
jedenfalls die, seinen Seelendämon aus dem Götterreich herabgeleitenden
ψυχοπομποὶ δυνάμεις (Porphyr. de antro nymph. 8), die zu diesem sagen
(v. 43 f.): σὺ δ̕οὖν ἐπεὶ ὧδ̕ ἐλιάσϑης (d. h. „da du hierher — auf die
Erde — verschlagen bist“, nicht: da du es so verlangt hast, wie Bergk
opusc. 2, 23 erklärt; wobei ein schiefer Gedanke in verschrobenem Aus-
drucke herauskäme) πεύσεαι οὐ πλέον ἠὲ βροτείη μῆτις ὄπωπεν (so mit
Panzerbieter, für ὄρωρε. ὄπωπε wie V. 378). Demnach muss man wohl
annehmen, dass er seine höhere Weisheit (Einsicht in die μῖξίς τε διάλ-
λαξίς τε μιγέντων der Elemente, aber auch Schicksale und Aufgaben der
Seelendämonen u. s. w.), die auf Erden und im irdischen Leibe nicht zu
gewinnen ist, mitbringt aus seinem göttlichen Vorleben, dass sie also
allein dem, in den Leib versenkten Dämon oder der ψυχή im alten Sinne,
eigen ist, dem Empedokles wohl eine ἀνάμνησις (sicher nur als seltene
Begabung) an die Weisheit seines früheren Lebens zutraut. (Woher sonst
auch seine Kenntniss seiner früheren ἐνσωματώσεις 11. 12?) Er weiss
sogar noch mehr und tieferes als er mittheilen darf: dass er eine letzte,
für Menschenohren nicht taugende Weisheit aus Frömmigkeit zurückhalte,
sagen doch in der That die Verse 45—51 ganz deutlich aus (insoweit
haben ihn die Gewährsmänner [— ἄλλοι δ̕ἦσαν οἱ λέγοντες —] des Sext.
Empir. adv. math. 7, 122 ganz richtig verstanden).
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[478/0494] Erkenntnissweise der ekstatischen Erregung ist sie thätig 1), ihr allein ist wohl auch der philosophische Tiefblick eigen, der, über die sinnliche Auffassung eines beschränkten Erfahrungs- gebietes hinausdringend, die Gesammtheit des Weltwesens nach seiner wahren Beschaffenheit erkennt 2). Auf sie allein be- ziehen sich alle Forderungen sittlich-religiöser Art; Pflichten in diesem höheren Sinne hat nur sie; sie hat etwas von der Natur des „Gewissens“. Ihre oberste Pflicht ist, sich selbst zu erlösen aus der unseligen Vereinigung mit dem Leibe und 1) Wenigstens sprach E. von der Ekstasis, dem furor der animi purgamento geschehe, und wohl zu unterscheiden sei von dem durch alienatio mentis (φρονεῖν ἀλλοῖα V. 377) bewirkten. Coel. Aurel. tard. pass. 1, 144. 145. — Ein eigenes ἐνϑουσιαστικόν in der Seele als deren ϑειότατον: Stoiker (und Plato) nach Doxogr. 639, 25. Ein eigenes, die Vereinigung mit dem Göttlichen ermöglichendes Seelenorgan, als ἄνϑος τῆς οὐσίας ἡμῶν, bei Proclus (Zeller, Phil. d. Gr.2 III 2, 738). 2) τὸ ὅλον, die ganze Wahrheit des Seins und Werdens in der Welt, kann der Mensch weder in sinnlicher Wahrnehmung noch mit dem νοῦς erfassen: V. 36—43. Empedokles hat sie nun doch seiner Ueberzeugung nach erfasst, er sitzt σοφίης ἐπ̕ ἄκροισι (52), αὐτὴν ἐπαγγέλλεται δώσειν τὴν ἀλήϑειαν (Procl. in Tim. 106 E.). Woher kennt er aber diese Wahrheit, wenn sie doch weder den Sinnen noch dem νοῦς sich offenbart? Es sind jedenfalls die, seinen Seelendämon aus dem Götterreich herabgeleitenden ψυχοπομποὶ δυνάμεις (Porphyr. de antro nymph. 8), die zu diesem sagen (v. 43 f.): σὺ δ̕οὖν ἐπεὶ ὧδ̕ ἐλιάσϑης (d. h. „da du hierher — auf die Erde — verschlagen bist“, nicht: da du es so verlangt hast, wie Bergk opusc. 2, 23 erklärt; wobei ein schiefer Gedanke in verschrobenem Aus- drucke herauskäme) πεύσεαι οὐ πλέον ἠὲ βροτείη μῆτις ὄπωπεν (so mit Panzerbieter, für ὄρωρε. ὄπωπε wie V. 378). Demnach muss man wohl annehmen, dass er seine höhere Weisheit (Einsicht in die μῖξίς τε διάλ- λαξίς τε μιγέντων der Elemente, aber auch Schicksale und Aufgaben der Seelendämonen u. s. w.), die auf Erden und im irdischen Leibe nicht zu gewinnen ist, mitbringt aus seinem göttlichen Vorleben, dass sie also allein dem, in den Leib versenkten Dämon oder der ψυχή im alten Sinne, eigen ist, dem Empedokles wohl eine ἀνάμνησις (sicher nur als seltene Begabung) an die Weisheit seines früheren Lebens zutraut. (Woher sonst auch seine Kenntniss seiner früheren ἐνσωματώσεις 11. 12?) Er weiss sogar noch mehr und tieferes als er mittheilen darf: dass er eine letzte, für Menschenohren nicht taugende Weisheit aus Frömmigkeit zurückhalte, sagen doch in der That die Verse 45—51 ganz deutlich aus (insoweit haben ihn die Gewährsmänner [— ἄλλοι δ̕ἦσαν οἱ λέγοντες —] des Sext. Empir. adv. math. 7, 122 ganz richtig verstanden).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/494>, abgerufen am 22.11.2024.