culation näher bestimmt und gestaltet ist. Wie tief griechi- schem Geiste jene im letzten Grunde aus Homer ererbte An- schauungsweise eingeprägt war, zeigt sich daran, dass eine der empedokleischen nahe verwandte Vorstellung von dem zwie- fachen Ursprung, Wesen und Wirkungskreis seelischer Thätig- keit auch in geläuterter Philosophie immer wieder auftaucht, nicht nur bei Plato, sondern sogar bei Aristoteles, welcher neben der, in der leiblich-organischen Natur des Menschen waltenden und sich darstellenden "Seele" noch einen, aus gött- lichem Geschlecht stammenden, in den Menschen "von aussen" hineingetretenen, von der Seele und dem Leibe trennbarem "Geist" (nous) anerkennt, der allein auch den Tod des Menschen, dem er zuertheilt war, überdauern soll 1). Auch bei Empe- dokles ist es ein fremder Gast aus fernem Götterland, der in den Menschen eintritt, ihn zu beseelen. Er steht dem "Geist" des Aristoteles weit nach an philosophischer Würde; dennoch hat auch in der Einführung dieses Fremdlings in die aus den Elementen und deren Lebenskräften aufgebaute Welt ein Ge- fühl von der völligen Unvergleichbarkeit des Geistes mit allem Materiellen, seiner wesenhaften Verschiedenheit von diesem sich einen, wenn auch theologisch eingeschränkten Ausdruck ge- geben.
In dem Lichte theologischer Betrachtung erscheint freilich dem Empedokles die Seele wesentlich verschieden auch von ihrem Urbilde, der homerischen Psyche, die nach der Trennung vom Leibe nur noch ein schattenhaftes Traumdasein verdäm- mert. Sie ist ihm göttlichen Geschlechts, zu edel für diese Welt der Sichtbarkeit, aus der geschieden sie erst volles und wirk- liches Leben haben wird. In den Leib gebannt, hat sie darin ihr abgesondertes Wesen; nicht die alltägliche Wahrnehmung und Empfindung fällt ihr zu, auch nicht das Denken, das ja nichts anderes ist als das Herzblut; allenfalls in der "höheren"
1) Spät noch Plotin: ditton to emeis: das soma, welches ist ein therion zoothen, und der davon verschiedene alethes anthropos u. s. w. (47, 10; 35, 5 Kh).
culation näher bestimmt und gestaltet ist. Wie tief griechi- schem Geiste jene im letzten Grunde aus Homer ererbte An- schauungsweise eingeprägt war, zeigt sich daran, dass eine der empedokleischen nahe verwandte Vorstellung von dem zwie- fachen Ursprung, Wesen und Wirkungskreis seelischer Thätig- keit auch in geläuterter Philosophie immer wieder auftaucht, nicht nur bei Plato, sondern sogar bei Aristoteles, welcher neben der, in der leiblich-organischen Natur des Menschen waltenden und sich darstellenden „Seele“ noch einen, aus gött- lichem Geschlecht stammenden, in den Menschen „von aussen“ hineingetretenen, von der Seele und dem Leibe trennbarem „Geist“ (νοῦς) anerkennt, der allein auch den Tod des Menschen, dem er zuertheilt war, überdauern soll 1). Auch bei Empe- dokles ist es ein fremder Gast aus fernem Götterland, der in den Menschen eintritt, ihn zu beseelen. Er steht dem „Geist“ des Aristoteles weit nach an philosophischer Würde; dennoch hat auch in der Einführung dieses Fremdlings in die aus den Elementen und deren Lebenskräften aufgebaute Welt ein Ge- fühl von der völligen Unvergleichbarkeit des Geistes mit allem Materiellen, seiner wesenhaften Verschiedenheit von diesem sich einen, wenn auch theologisch eingeschränkten Ausdruck ge- geben.
In dem Lichte theologischer Betrachtung erscheint freilich dem Empedokles die Seele wesentlich verschieden auch von ihrem Urbilde, der homerischen Psyche, die nach der Trennung vom Leibe nur noch ein schattenhaftes Traumdasein verdäm- mert. Sie ist ihm göttlichen Geschlechts, zu edel für diese Welt der Sichtbarkeit, aus der geschieden sie erst volles und wirk- liches Leben haben wird. In den Leib gebannt, hat sie darin ihr abgesondertes Wesen; nicht die alltägliche Wahrnehmung und Empfindung fällt ihr zu, auch nicht das Denken, das ja nichts anderes ist als das Herzblut; allenfalls in der „höheren“
1) Spät noch Plotin: διττὸν τὸ ἡμεῖς: das σῶμα, welches ist ein ϑηρίον ζωωϑέν, und der davon verschiedene ἀληϑὴς ἄνϑρωπος u. s. w. (47, 10; 35, 5 Kh).
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culation näher bestimmt und gestaltet ist. Wie tief griechi-
schem Geiste jene im letzten Grunde aus Homer ererbte An-
schauungsweise eingeprägt war, zeigt sich daran, dass eine der
empedokleischen nahe verwandte Vorstellung von dem zwie-
fachen Ursprung, Wesen und Wirkungskreis seelischer Thätig-
keit auch in geläuterter Philosophie immer wieder auftaucht,
nicht nur bei Plato, sondern sogar bei Aristoteles, welcher
neben der, in der leiblich-organischen Natur des Menschen
waltenden und sich darstellenden „Seele“ noch einen, aus gött-
lichem Geschlecht stammenden, in den Menschen „von aussen“
hineingetretenen, von der Seele und dem Leibe trennbarem
„Geist“ (νοῦς) anerkennt, der allein auch den Tod des Menschen,
dem er zuertheilt war, überdauern soll 1). Auch bei Empe-
dokles ist es ein fremder Gast aus fernem Götterland, der in
den Menschen eintritt, ihn zu beseelen. Er steht dem „Geist“
des Aristoteles weit nach an philosophischer Würde; dennoch
hat auch in der Einführung dieses Fremdlings in die aus den
Elementen und deren Lebenskräften aufgebaute Welt ein Ge-
fühl von der völligen Unvergleichbarkeit des Geistes mit allem
Materiellen, seiner wesenhaften Verschiedenheit von diesem sich
einen, wenn auch theologisch eingeschränkten Ausdruck ge-
geben.
In dem Lichte theologischer Betrachtung erscheint freilich
dem Empedokles die Seele wesentlich verschieden auch von
ihrem Urbilde, der homerischen Psyche, die nach der Trennung
vom Leibe nur noch ein schattenhaftes Traumdasein verdäm-
mert. Sie ist ihm göttlichen Geschlechts, zu edel für diese Welt
der Sichtbarkeit, aus der geschieden sie erst volles und wirk-
liches Leben haben wird. In den Leib gebannt, hat sie darin
ihr abgesondertes Wesen; nicht die alltägliche Wahrnehmung
und Empfindung fällt ihr zu, auch nicht das Denken, das ja
nichts anderes ist als das Herzblut; allenfalls in der „höheren“
1) Spät noch Plotin: διττὸν τὸ ἡμεῖς: das σῶμα, welches ist ein ϑηρίον
ζωωϑέν, und der davon verschiedene ἀληϑὴς ἄνϑρωπος u. s. w. (47, 10;
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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