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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Neben solchen Ausführungen überrascht es, zu vernehmen,
dass Parmenides von der "Seele" auch dieses ausgesagt habe,
dass die weltregierende Gottheit sie "bald aus dem Sichtbaren
in das Unsichtbare sende, bald umgekehrt" 1). Hier wird die
Seele nicht mehr als ein Mischungsverhältniss der Stoffe ge-
dacht, sondern als ein selbständiges Wesen, dem eine Prae-
existenz vor seinem Eintritt in das "Sichtbare", d. h. vor dem
Leben im Leibe zugetraut wird, und eine Fortdauer nach dem
Abscheiden aus dem Reiche der Sichtbarkeit, ja ein mehrmals
wechselnder Aufenthalt hier und dort. Unterscheidet Parme-
nides diese selbständig existirende Seele von dem, was in der
Mischung der Elemente wahrnimmt und als Geist (noos) denkt,
an die Elemente und ihre Zusammenfügung zum Leibe aber
auch, mit seiner Existenz, gebunden ist? Offenbar ist jeden-
falls, dass von der, wechselnd im Sichtbaren und im Unsicht-
baren lebenden Psyche Parmenides nicht als Physiologe redet,
sondern wie ein Anhänger orphisch-pythagoreischer Theosophie.
Er konnte, indem er sein Wissen um die "Wahrheit", das un-
veränderliche Sein, sich selbst vorbehielt, unter den "Meinungen
der Menschen" da, wo er nur hypothetisch redete, eine beliebige
Auswahl treffen; wo er als Praktiker in ethisch gerichtetem Sinne
redete, mochte er sich den Vorstellungen der Pythagoreer an-
schliessen, mit denen er in engem Zusammenhang lebte 2).

ek ton proeiremenon kata medenos touton epikratesin. Zeno bei Laert.
9, 29. Die vier Grundbestandtheile, statt der zwei des Parmenides, mag
Zeno in Anlehnung an die vier "Wurzeln" des Empedokles (deren je eine
durch eine der vier Eigenschaften thermon ktl. bezeichnet wird) festgesetzt
haben. Auch das die psukhe aus der gleichmässigen Mischung der vier
Eigenschaften entstehen soll, erinnert an Bestimmungen des Empedokles
vom phronein (Theophr. de sens. 10. 23 f.). Andrerseits überträgt Zeno auf
die psukhe das, was von der ugieia der pythagorisirende Arzt Alkmaeon
sagte (Doxogr. p. 442. Vgl. Aristot. de an. 408 a, 1); seine Ansicht
kommt schon fast der jener Pythagoreer gleich, denen die "Seele" als
eine armonia des Kalten, Warmen u. s. w. galt (s. unten p. 462, 1). Sie
mag ihm (der als "Pythagoreer" gilt: Strab. 6, 252) in der That aus den
Kreisen pythagorisirender Physiologen zugekommen sein.
1) Simplic. ad Aristot. Phys. p. 39 D.
2) Parm., Schüler des Pythagoreers Diochaites, und des Ameinias,
Rohde, Seelencult. 29

Neben solchen Ausführungen überrascht es, zu vernehmen,
dass Parmenides von der „Seele“ auch dieses ausgesagt habe,
dass die weltregierende Gottheit sie „bald aus dem Sichtbaren
in das Unsichtbare sende, bald umgekehrt“ 1). Hier wird die
Seele nicht mehr als ein Mischungsverhältniss der Stoffe ge-
dacht, sondern als ein selbständiges Wesen, dem eine Prae-
existenz vor seinem Eintritt in das „Sichtbare“, d. h. vor dem
Leben im Leibe zugetraut wird, und eine Fortdauer nach dem
Abscheiden aus dem Reiche der Sichtbarkeit, ja ein mehrmals
wechselnder Aufenthalt hier und dort. Unterscheidet Parme-
nides diese selbständig existirende Seele von dem, was in der
Mischung der Elemente wahrnimmt und als Geist (νόος) denkt,
an die Elemente und ihre Zusammenfügung zum Leibe aber
auch, mit seiner Existenz, gebunden ist? Offenbar ist jeden-
falls, dass von der, wechselnd im Sichtbaren und im Unsicht-
baren lebenden Psyche Parmenides nicht als Physiologe redet,
sondern wie ein Anhänger orphisch-pythagoreischer Theosophie.
Er konnte, indem er sein Wissen um die „Wahrheit“, das un-
veränderliche Sein, sich selbst vorbehielt, unter den „Meinungen
der Menschen“ da, wo er nur hypothetisch redete, eine beliebige
Auswahl treffen; wo er als Praktiker in ethisch gerichtetem Sinne
redete, mochte er sich den Vorstellungen der Pythagoreer an-
schliessen, mit denen er in engem Zusammenhang lebte 2).

ἐκ τῶν προειρημένων κατὰ μηδενὸς τούτων ἐπικράτησιν. Zeno bei Laert.
9, 29. Die vier Grundbestandtheile, statt der zwei des Parmenides, mag
Zeno in Anlehnung an die vier „Wurzeln“ des Empedokles (deren je eine
durch eine der vier Eigenschaften ϑερμόν κτλ. bezeichnet wird) festgesetzt
haben. Auch das die ψυχή aus der gleichmässigen Mischung der vier
Eigenschaften entstehen soll, erinnert an Bestimmungen des Empedokles
vom φρονεῖν (Theophr. de sens. 10. 23 f.). Andrerseits überträgt Zeno auf
die ψυχή das, was von der ὑγίεια der pythagorisirende Arzt Alkmaeon
sagte (Doxogr. p. 442. Vgl. Aristot. de an. 408 a, 1); seine Ansicht
kommt schon fast der jener Pythagoreer gleich, denen die „Seele“ als
eine ἁρμονία des Kalten, Warmen u. s. w. galt (s. unten p. 462, 1). Sie
mag ihm (der als „Pythagoreer“ gilt: Strab. 6, 252) in der That aus den
Kreisen pythagorisirender Physiologen zugekommen sein.
1) Simplic. ad Aristot. Phys. p. 39 D.
2) Parm., Schüler des Pythagoreers Diochaites, und des Ameinias,
Rohde, Seelencult. 29
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[449/0465] Neben solchen Ausführungen überrascht es, zu vernehmen, dass Parmenides von der „Seele“ auch dieses ausgesagt habe, dass die weltregierende Gottheit sie „bald aus dem Sichtbaren in das Unsichtbare sende, bald umgekehrt“ 1). Hier wird die Seele nicht mehr als ein Mischungsverhältniss der Stoffe ge- dacht, sondern als ein selbständiges Wesen, dem eine Prae- existenz vor seinem Eintritt in das „Sichtbare“, d. h. vor dem Leben im Leibe zugetraut wird, und eine Fortdauer nach dem Abscheiden aus dem Reiche der Sichtbarkeit, ja ein mehrmals wechselnder Aufenthalt hier und dort. Unterscheidet Parme- nides diese selbständig existirende Seele von dem, was in der Mischung der Elemente wahrnimmt und als Geist (νόος) denkt, an die Elemente und ihre Zusammenfügung zum Leibe aber auch, mit seiner Existenz, gebunden ist? Offenbar ist jeden- falls, dass von der, wechselnd im Sichtbaren und im Unsicht- baren lebenden Psyche Parmenides nicht als Physiologe redet, sondern wie ein Anhänger orphisch-pythagoreischer Theosophie. Er konnte, indem er sein Wissen um die „Wahrheit“, das un- veränderliche Sein, sich selbst vorbehielt, unter den „Meinungen der Menschen“ da, wo er nur hypothetisch redete, eine beliebige Auswahl treffen; wo er als Praktiker in ethisch gerichtetem Sinne redete, mochte er sich den Vorstellungen der Pythagoreer an- schliessen, mit denen er in engem Zusammenhang lebte 2). 2) 1) Simplic. ad Aristot. Phys. p. 39 D. 2) Parm., Schüler des Pythagoreers Diochaites, und des Ameinias, 2) ἐκ τῶν προειρημένων κατὰ μηδενὸς τούτων ἐπικράτησιν. Zeno bei Laert. 9, 29. Die vier Grundbestandtheile, statt der zwei des Parmenides, mag Zeno in Anlehnung an die vier „Wurzeln“ des Empedokles (deren je eine durch eine der vier Eigenschaften ϑερμόν κτλ. bezeichnet wird) festgesetzt haben. Auch das die ψυχή aus der gleichmässigen Mischung der vier Eigenschaften entstehen soll, erinnert an Bestimmungen des Empedokles vom φρονεῖν (Theophr. de sens. 10. 23 f.). Andrerseits überträgt Zeno auf die ψυχή das, was von der ὑγίεια der pythagorisirende Arzt Alkmaeon sagte (Doxogr. p. 442. Vgl. Aristot. de an. 408 a, 1); seine Ansicht kommt schon fast der jener Pythagoreer gleich, denen die „Seele“ als eine ἁρμονία des Kalten, Warmen u. s. w. galt (s. unten p. 462, 1). Sie mag ihm (der als „Pythagoreer“ gilt: Strab. 6, 252) in der That aus den Kreisen pythagorisirender Physiologen zugekommen sein. Rohde, Seelencult. 29

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/465>, abgerufen am 22.11.2024.