ist, vom Leibe umfangen, in die Leiblichkeit verflochten. Es besteht hier nicht der starre unvermittelbare Gegensatz zwischen "Leib" und "Seele", wie er auf dem Standpunkt der theolo- gischen Betrachtung erscheint. Die Elemente des Leibes, Wasser und Erde, sind ja entstanden und entstehen fortwäh- rend aus dem Feuer, das sich gegen alles umtauscht und gegen alles eingetauscht wird (fr. 22). So ist es die "Seele", das bildende Feuer, die sich selbst den Körper baut. "Seele", d. i. Feuer, wandelt sich unaufhörlich in die niederen Elemente; es findet nicht ein Gegensatz zwischen jenen und diesen, son- dern ein fliessender Uebergang statt.
Auch im Leibe gefangen ist die "Seele" in rastloser Um- wandlung begriffen. Sie nicht minder als alles andere. Kein Ding in der Welt kann sich auch nur einen Augenblick in dem Bestand seiner Theile unverändert erhalten; an der stetigen Bewegung und Wandlung seines Wesens hat es sein Leben. Die Sonne selbst, der grösste Feuerkörper, wird jeden Tag eine andere (fr. 32). So ist auch die Seele zwar, vom Leibe unterschieden, eine für sich bestehende Substanz, aber eine solche, die sich selbst niemals gleich bleibt. In unaufhörlichem Stoffwechsel verändert, verschiebt sich immerfort ihr Bestand. Sie verliert ihr Lebensfeuer an die niederen Elemente; sie gewinnt neues Feuer hinzu aus dem lebendigen Feuer des Alls, das sie umfängt. Von bleibender Identität der Seele, der see- lischen Person mit sich selbst kann nicht die Rede sein. Was in dem ununterbrochenen Process des Ab- und Zuströmens wie Eine Person sich zu erhalten scheint, ist in Wahrheit eine Reihe von Personen und Seelen, die sich ablösen, eine der anderen sich nach und nach unterschieben.
So stirbt die Seele schon im Leben fortwährend, um immer wieder neu aufzuleben, das abgehende Seelenleben durch neues zu ergänzen, zu ersetzen. So lange sie sich aus dem umgebenden Weltfeuer ergänzen kann, lebt das Individuum. Absonderung von dem Quell alles Lebens, dem lebendigen All- feuer der Welt, wäre sein Tod. Zeitweilig verliert die Einzel-
ist, vom Leibe umfangen, in die Leiblichkeit verflochten. Es besteht hier nicht der starre unvermittelbare Gegensatz zwischen „Leib“ und „Seele“, wie er auf dem Standpunkt der theolo- gischen Betrachtung erscheint. Die Elemente des Leibes, Wasser und Erde, sind ja entstanden und entstehen fortwäh- rend aus dem Feuer, das sich gegen alles umtauscht und gegen alles eingetauscht wird (fr. 22). So ist es die „Seele“, das bildende Feuer, die sich selbst den Körper baut. „Seele“, d. i. Feuer, wandelt sich unaufhörlich in die niederen Elemente; es findet nicht ein Gegensatz zwischen jenen und diesen, son- dern ein fliessender Uebergang statt.
Auch im Leibe gefangen ist die „Seele“ in rastloser Um- wandlung begriffen. Sie nicht minder als alles andere. Kein Ding in der Welt kann sich auch nur einen Augenblick in dem Bestand seiner Theile unverändert erhalten; an der stetigen Bewegung und Wandlung seines Wesens hat es sein Leben. Die Sonne selbst, der grösste Feuerkörper, wird jeden Tag eine andere (fr. 32). So ist auch die Seele zwar, vom Leibe unterschieden, eine für sich bestehende Substanz, aber eine solche, die sich selbst niemals gleich bleibt. In unaufhörlichem Stoffwechsel verändert, verschiebt sich immerfort ihr Bestand. Sie verliert ihr Lebensfeuer an die niederen Elemente; sie gewinnt neues Feuer hinzu aus dem lebendigen Feuer des Alls, das sie umfängt. Von bleibender Identität der Seele, der see- lischen Person mit sich selbst kann nicht die Rede sein. Was in dem ununterbrochenen Process des Ab- und Zuströmens wie Eine Person sich zu erhalten scheint, ist in Wahrheit eine Reihe von Personen und Seelen, die sich ablösen, eine der anderen sich nach und nach unterschieben.
So stirbt die Seele schon im Leben fortwährend, um immer wieder neu aufzuleben, das abgehende Seelenleben durch neues zu ergänzen, zu ersetzen. So lange sie sich aus dem umgebenden Weltfeuer ergänzen kann, lebt das Individuum. Absonderung von dem Quell alles Lebens, dem lebendigen All- feuer der Welt, wäre sein Tod. Zeitweilig verliert die Einzel-
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[439/0455]
ist, vom Leibe umfangen, in die Leiblichkeit verflochten. Es
besteht hier nicht der starre unvermittelbare Gegensatz zwischen
„Leib“ und „Seele“, wie er auf dem Standpunkt der theolo-
gischen Betrachtung erscheint. Die Elemente des Leibes,
Wasser und Erde, sind ja entstanden und entstehen fortwäh-
rend aus dem Feuer, das sich gegen alles umtauscht und gegen
alles eingetauscht wird (fr. 22). So ist es die „Seele“, das
bildende Feuer, die sich selbst den Körper baut. „Seele“,
d. i. Feuer, wandelt sich unaufhörlich in die niederen Elemente;
es findet nicht ein Gegensatz zwischen jenen und diesen, son-
dern ein fliessender Uebergang statt.
Auch im Leibe gefangen ist die „Seele“ in rastloser Um-
wandlung begriffen. Sie nicht minder als alles andere. Kein
Ding in der Welt kann sich auch nur einen Augenblick in dem
Bestand seiner Theile unverändert erhalten; an der stetigen
Bewegung und Wandlung seines Wesens hat es sein Leben.
Die Sonne selbst, der grösste Feuerkörper, wird jeden Tag
eine andere (fr. 32). So ist auch die Seele zwar, vom Leibe
unterschieden, eine für sich bestehende Substanz, aber eine
solche, die sich selbst niemals gleich bleibt. In unaufhörlichem
Stoffwechsel verändert, verschiebt sich immerfort ihr Bestand.
Sie verliert ihr Lebensfeuer an die niederen Elemente; sie
gewinnt neues Feuer hinzu aus dem lebendigen Feuer des Alls,
das sie umfängt. Von bleibender Identität der Seele, der see-
lischen Person mit sich selbst kann nicht die Rede sein. Was
in dem ununterbrochenen Process des Ab- und Zuströmens
wie Eine Person sich zu erhalten scheint, ist in Wahrheit eine
Reihe von Personen und Seelen, die sich ablösen, eine der
anderen sich nach und nach unterschieben.
So stirbt die Seele schon im Leben fortwährend, um
immer wieder neu aufzuleben, das abgehende Seelenleben durch
neues zu ergänzen, zu ersetzen. So lange sie sich aus dem
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/455>, abgerufen am 22.11.2024.
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