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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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nysos", des Zeus und der Semele Sohn, in dem Zagreus wieder
auflebt.

Die Sage von der Zerreissung des Zagreus durch die
Titanen hatte schon Onomakritos dichterisch dargestellt 1); sie
blieb der Zielpunkt auf den die orphischen Lehrdichtungen
ausliefen; nicht allein in den Rhapsodien 2), sondern auch in
älteren, von diesen ganz unabhängigen Ausbildungen orphischer
Sage kam sie vor 3). Dies ist eine im engeren Sinne religiöse
Sage. Deutlich tritt ihr aetiologischer Charakter hervor 4), ihre
Bestimmung, die heilige Handlung der Zerreissung des Gott-
stieres in den nächtlichen Bakchosfeiern aus der Legende von
den Leiden des Dionysos-Zagreus nach ihrer religiösen Be-
deutung zu erläutern.

Wurzelt aber hiernach die Sage in altthrakisch rohem
Opferbrauche 5), so steht sie mit ihrer Ausführung ganz in

1) Paus. 8, 37, 5.
2) S. Procl. in fr. 195. 198. 199. Jedenfalls also den Rhapsodien
folgt Nonnus, Dionys. 6, 169 ff.
3) Kallimachos, Euphorion wussten von der Zerreissung des Gottes
durch die Titanen: Tzetz. ad Lycophr. 208 (aus dem vollständigeren
Etymol. M). Jedenfalls nicht aus den Rhapsodien kennen diese Sage
auch Diodor 5, 75, 4; Cornut. 30 (p. 62, 10 Lang); Plutarch de es. carn.
1, 7, p. 996 C; de Is. et Osir. 35 p. 364 F; Clemens Alex. (Orph. fr.
196. 200). -- Eine flüchtige carrikaturartige Zeichnung auf einer in Rhodos
gefundenen, vielleicht in Attika verfertigten Hydria aus dem Anfang des
4. Jahrhunderts wird im Journal of hell. studies XI (1890) p. 343 ff. als
eine Darstellung der Zerreissung des Zagreus nach orphischer Dichtung
gefasst. Aber das Bild stimmt in keinem einzigen Punkte mit dem an-
geblich darauf dargestellten Gegenstand überein; die Deutung kann nicht
richtig sein.
4) Ein richtiger ieros logos (wie ihn Orphiker z. B. auch über das
Verbot, in Wollenkleidern sich bestatten zu lassen, hatten. Herodot
2, 81 extr.), d. h. eine mythisch-legendarische Begründung ritualer Acte.
5) Dass auch die orphischen orgia die Zerreissung des Stiers, nach
altthrakischem Gebrauch, kannten, lässt sich vielleicht daraus schliessen,
dass den Orpheus selbst in der Sage Zerreissung durch die Maenaden
trifft. Der Priester tritt an die Stelle des Gottes, erleidet was nach den
von ihm celebrirten dromena der Gott erleidet: so geschieht es ja viel-
fach. So denn Orpheus ate ton Dionusou teleton egemon genomenos ta omoia
pathein legetai to sphetero theo (Procl. ad Plat. Remp. p. 398). Dass der

nysos“, des Zeus und der Semele Sohn, in dem Zagreus wieder
auflebt.

Die Sage von der Zerreissung des Zagreus durch die
Titanen hatte schon Onomakritos dichterisch dargestellt 1); sie
blieb der Zielpunkt auf den die orphischen Lehrdichtungen
ausliefen; nicht allein in den Rhapsodien 2), sondern auch in
älteren, von diesen ganz unabhängigen Ausbildungen orphischer
Sage kam sie vor 3). Dies ist eine im engeren Sinne religiöse
Sage. Deutlich tritt ihr aetiologischer Charakter hervor 4), ihre
Bestimmung, die heilige Handlung der Zerreissung des Gott-
stieres in den nächtlichen Bakchosfeiern aus der Legende von
den Leiden des Dionysos-Zagreus nach ihrer religiösen Be-
deutung zu erläutern.

Wurzelt aber hiernach die Sage in altthrakisch rohem
Opferbrauche 5), so steht sie mit ihrer Ausführung ganz in

1) Paus. 8, 37, 5.
2) S. Procl. in fr. 195. 198. 199. Jedenfalls also den Rhapsodien
folgt Nonnus, Dionys. 6, 169 ff.
3) Kallimachos, Euphorion wussten von der Zerreissung des Gottes
durch die Titanen: Tzetz. ad Lycophr. 208 (aus dem vollständigeren
Etymol. M). Jedenfalls nicht aus den Rhapsodien kennen diese Sage
auch Diodor 5, 75, 4; Cornut. 30 (p. 62, 10 Lang); Plutarch de es. carn.
1, 7, p. 996 C; de Is. et Osir. 35 p. 364 F; Clemens Alex. (Orph. fr.
196. 200). — Eine flüchtige carrikaturartige Zeichnung auf einer in Rhodos
gefundenen, vielleicht in Attika verfertigten Hydria aus dem Anfang des
4. Jahrhunderts wird im Journal of hell. studies XI (1890) p. 343 ff. als
eine Darstellung der Zerreissung des Zagreus nach orphischer Dichtung
gefasst. Aber das Bild stimmt in keinem einzigen Punkte mit dem an-
geblich darauf dargestellten Gegenstand überein; die Deutung kann nicht
richtig sein.
4) Ein richtiger ἱερὸς λόγος (wie ihn Orphiker z. B. auch über das
Verbot, in Wollenkleidern sich bestatten zu lassen, hatten. Herodot
2, 81 extr.), d. h. eine mythisch-legendarische Begründung ritualer Acte.
5) Dass auch die orphischen ὄργια die Zerreissung des Stiers, nach
altthrakischem Gebrauch, kannten, lässt sich vielleicht daraus schliessen,
dass den Orpheus selbst in der Sage Zerreissung durch die Maenaden
trifft. Der Priester tritt an die Stelle des Gottes, erleidet was nach den
von ihm celebrirten δρώμενα der Gott erleidet: so geschieht es ja viel-
fach. So denn Ὀρφεὺς ἅτε τῶν Διονύσου τελετῶν ἡγεμὼν γενόμενος τὰ ὅμοια
παϑεῖν λέγεται τῷ σφετέρῳ ϑεῷ (Procl. ad Plat. Remp. p. 398). Dass der
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[411/0427] nysos“, des Zeus und der Semele Sohn, in dem Zagreus wieder auflebt. Die Sage von der Zerreissung des Zagreus durch die Titanen hatte schon Onomakritos dichterisch dargestellt 1); sie blieb der Zielpunkt auf den die orphischen Lehrdichtungen ausliefen; nicht allein in den Rhapsodien 2), sondern auch in älteren, von diesen ganz unabhängigen Ausbildungen orphischer Sage kam sie vor 3). Dies ist eine im engeren Sinne religiöse Sage. Deutlich tritt ihr aetiologischer Charakter hervor 4), ihre Bestimmung, die heilige Handlung der Zerreissung des Gott- stieres in den nächtlichen Bakchosfeiern aus der Legende von den Leiden des Dionysos-Zagreus nach ihrer religiösen Be- deutung zu erläutern. Wurzelt aber hiernach die Sage in altthrakisch rohem Opferbrauche 5), so steht sie mit ihrer Ausführung ganz in 1) Paus. 8, 37, 5. 2) S. Procl. in fr. 195. 198. 199. Jedenfalls also den Rhapsodien folgt Nonnus, Dionys. 6, 169 ff. 3) Kallimachos, Euphorion wussten von der Zerreissung des Gottes durch die Titanen: Tzetz. ad Lycophr. 208 (aus dem vollständigeren Etymol. M). Jedenfalls nicht aus den Rhapsodien kennen diese Sage auch Diodor 5, 75, 4; Cornut. 30 (p. 62, 10 Lang); Plutarch de es. carn. 1, 7, p. 996 C; de Is. et Osir. 35 p. 364 F; Clemens Alex. (Orph. fr. 196. 200). — Eine flüchtige carrikaturartige Zeichnung auf einer in Rhodos gefundenen, vielleicht in Attika verfertigten Hydria aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts wird im Journal of hell. studies XI (1890) p. 343 ff. als eine Darstellung der Zerreissung des Zagreus nach orphischer Dichtung gefasst. Aber das Bild stimmt in keinem einzigen Punkte mit dem an- geblich darauf dargestellten Gegenstand überein; die Deutung kann nicht richtig sein. 4) Ein richtiger ἱερὸς λόγος (wie ihn Orphiker z. B. auch über das Verbot, in Wollenkleidern sich bestatten zu lassen, hatten. Herodot 2, 81 extr.), d. h. eine mythisch-legendarische Begründung ritualer Acte. 5) Dass auch die orphischen ὄργια die Zerreissung des Stiers, nach altthrakischem Gebrauch, kannten, lässt sich vielleicht daraus schliessen, dass den Orpheus selbst in der Sage Zerreissung durch die Maenaden trifft. Der Priester tritt an die Stelle des Gottes, erleidet was nach den von ihm celebrirten δρώμενα der Gott erleidet: so geschieht es ja viel- fach. So denn Ὀρφεὺς ἅτε τῶν Διονύσου τελετῶν ἡγεμὼν γενόμενος τὰ ὅμοια παϑεῖν λέγεται τῷ σφετέρῳ ϑεῷ (Procl. ad Plat. Remp. p. 398). Dass der

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/427>, abgerufen am 22.11.2024.